Was geschah in El Pavon?
Fijáte 375 vom 27. Dezember 2006, Artikel 5, Seite 5
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Was geschah in El Pavon?
Guatemala, 18. Dez. Was gerüchtemässig schon seit längerem die Runde machte, scheint sich immer deutlicher zu bestätigen: Ein Bericht der Menschenrechtsombudstelle (PDH) verstärkt nun endgültig die These, dass sich die sieben hochrangigen Gefangenen, die am 25. September bei der "Stürmung" oder "Befreiung" des Hochsicherheitsgefängnisses El Pavon durch Sicherheitskräfte umkamen (siehe ¡Fijáte! 369), in keiner Weise gewehrt haben, wie es in der Version des Polizeidirektors, des Innenministeriums und der Gefängnisbehörde heisst, sondern schlicht und einfach hingerichtet wurden. Mitgefangene bestätigten, dass es keinen Widerstand seitens der Gefängnisinsassen gab. Als die Polizei das Gefängnis stürmte, hätten sie sich ergeben, doch ohne irgendeine Erklärung oder Warnung hätten die Polizisten wie verrückt um sich geschossen. Während sich die Gefangenen in Reihen aufstellen, um in das nebenan gelegene Untersuchungsgefängnis Pavoncito verlegt zu werden, seien die sechs der sieben Gefangenen von einem Kommando vermummter Männer aufgerufen und abgeführt worden. Der siebte, Jorge Batres, wurde zuerst tatsächlich in das Pavoncito verlegt. Dort wurde er per Lautsprecher ausgerufen, er solle sich bei den Gefängnisbehörden melden, da seine Anwältin ihn sprechen wolle. Seine Zellengenossen haben als Beweis dafür, dass er lebend nach "El Pavoncito" gebracht wurde, seine Jacke, denn nachdem er sich den Gefängnisbehörden gestellt hatte, wurde er nicht mehr lebend gesehen. Sein toter Körper wurde in seinem Haus im gestürmten "Pavon" gefunden. Ebenfalls per Lautsprecher ausgerufen worden ist offenbar der für die Ermordung der Anthropologin Myrna Mack verurteilte Militärspezialist Noel de Jesús Beteta, doch habe sich dieser den Gefängnisbehörden nicht gestellt und sich so wahrscheinlich das Leben gerettet. Die Gefangenen seien "mit Gewehren und Handgranaten in den Händen" gestorben, lautet die Version der Polizei. Umso eigenartiger ist es, dass gemäss dem Bericht der PDH bei keinem der Toten die entsprechenden Spurenproben genommen wurden, um festzustellen, ob sie Schwarzpulverspuren an ihren Händen hatten. Gemäss Autopsieberichten starben drei der Gefangenen durch Schüsse in die Brust und in den Bauch, die anderen drei durch Schüsse in den Hals, den Kopf und in die Schläfe. Ihre toten Körper wurden an verschiedenen Orten geborgen. Die PDH beklagt sich darüber, dass ihr die detaillierten Autopsieberichte vorenthalten wurden. Forensische Untersuchungen von Fotos, die JournalistInnen von den Örtlichkeiten gemacht hatten, wo die Ermordeten gefunden wurden, kommen zu dem Schluss, dass gemäss der Art der Blutspuren, die tödlichen Schüsse aus nächster Nähe abgegeben wurden. Widersprüchliche Aussagen gab es auch über einen vermeintlich verletzten Polizisten. Während die eine offizielle Version, die auch von den Medien wiedergegeben wurde, lautet, der Polizist sei von Schüssen seitens der Gefangenen verletzt worden, will der Sicherheitschef der Nationalen Zivilpolizei (PNC) nichts von einem Verletzten in seinen Reihen wissen. Eine Reportage der Prensa Libre-Journalistin Claudia Méndez Arriaza, die sich selber als Pavon-Kennerin bezeichnet, da sie seit Jahren zu diesem Thema recherchiert, weist in die selbe Richtung wie der PDH-Bericht. Méndez Arriaza kritisiert in ihrem Artikel vom 4. Dezember die Doppelmoral, mit der die Regierung dem Jahrelangen Treiben in dem Gefängnis, das als ein "Staat im Staat" beschrieben wird, zugesehen und indirekt davon profitiert hat. "Durch welche Tore sind die Baumaterialien hereingekommen, mit denen die Gefangenen ihre Häuser bauten? Durch welche Tore kamen die sieben Telfonkabinen, die im Pavón funktierten, all die Computer, der Schnaps, die gestohlenen Autos?" fragt die Journalistin. Ihren BerufskollegInnen, die im Vorfeld der Aktion über die skandalöse Situation, die in Pavon herrschte, berichteten und den "Überfall" medial begleiteten, wirft sie vor, durch eine einseitige und unkritische Berichterstattung über das (demokratisch gewählte) gefängnisinterne Ordnungskomittee COD, eine Stimmung in der Öffentlichkeit verbreitet zu haben, die der Ermordung der sieben Gefangenen zu breiter Akzeptanz und Legitimation verhalf. Wenn das offizielle Ziel tatsächlich war, das COD zu zerstören und die Kontrolle über das Gefängnis wieder zu erlangen, erstaunt es ein wenig zu erfahren, dass von den sieben getöteten Männern sechs überhaupt nie Mitglieder des COD waren. Nach oben |
Der Kolumbianer Jorge Batres zum Beispiel wurde im Jahr 2001 wegen Drogenhandels zu 12 Jahren verurteilt. Sein Anwalt war daran, für ihn eine Haftumwandlung zu beantragen, und mit etwas Glück hätte er den Rest seiner Strafe ab dem 5. November 2006 in bedingter Form absolvieren können. Die Geldstrafe, die er für seinen Prozess bezahlen musste, hatte er bereits vor einem Jahr beglichen. Carlos Barrientos, ein anderer Häftling, der bei den "Ereignissen vom 25. September", wie der Überfall in die Gefängnisgeschichte einging, ums Leben kam, wurde im Jahr 2000 wegen Mordes verurteilt. Noch in Untersuchungshaft geriet er in einen handgreiflichen Streit Byron Lima, der später als Mittäter für die Ermordung von Bischof Gerardi zu 20 Jahren verurteilt wurde. Bei diesem Streit stahl Barrientos die Agenda von Lima und überreichte diese den Anwälten, die den Fall Gerardi untersuchten. Im Falle des ebenfalls kolumbianischen Häftlings Gustavo Alfonso Correa heisst es, dass er wahrscheinlich verwechselt wurde und das eigentliche Ziel Ricardo Ortega del Cid hätte sein sollen. Del Cid sitzt eine Strafe ab wegen der Ermordung einer Studentin, ein Fall, der in den 90er Jahren für Aufsehen sorgte, während Correa als ein angenehmer und ruhiger Häftling bekannt war, der in keinerlei illegaler Geschäfte verwickelt war und seine Zeit mit Bilder malen verbrachte. Die Frage der Journalistin Claudia Méndez Arriaza ist durchaus berechtigt: Was geschah in El Pavón? Eine abschliessende Antwort wird man wohl auf diese Frage nie bekommen. Der Phantasie sind jedoch keine Grenzen gesetzt und um sie noch etwas anzutreiben, ein letztes Detail: Eigentlich muss, wenn die Sicherheitskräfte einen geplanten Einsatz durchführen, das Menschenrechtsprokurat PDH beigezogen werden, um zu garantieren, dass es zu keinen Menschenrechtsverletzungen kommt. Im Fall von El Pavón wurde die PDH jedoch nicht "eingeladen", um die Aktion zu monitorieren. Dies übernahm freiwillig und in Kompetenzüberschreitung ihrer Funktion, die Präsidiale Menschenrechtskommission COPREDEH unter Leitung von Frank LaRue. Anders als die PDH kam sie in ihrem Bericht zum Schluss, es sei am 25. September alles mit rechten Dingen zu- und hergegangen. |
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