Lokalradios im Visier
Fijáte 378 vom 7. Februar 2007, Artikel 1, Seite 1
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Lokalradios im Visier
Die repressive Politik gegenüber den Lokalradios in Guatemala geht weiter. Während dem Jahr 2006 hat die Staatsanwaltschaft über 60 Radios wegen "illegalen Sendens" geschlossen, für 2007 ist keine Änderung dieser Politik in Sicht. VertreterInnen der Staatsanwaltschaft argumentieren, dass sie einzig die Anwendung des Telekommunikationsgesetzes garantieren, das eine strafrechtliche Vorfolgung von Radios vorschreibt, die nicht über eine entsprechende Erlaubnis verfügen, um die Radiofrequenzen zu benutzen. Seit längerem sind AktivistInnen daran, ein Projekt zum Schutz der Lokalradios auszuarbeiten, das den internationalen Standards in Sachen Menschenrechten entspricht und verhindert, dass wirtschaftlich stärkere Sektoren bei der Vergabe (an den Meistbietenden) von Radiofrequenzen begünstigt werden. Auch wenn diese Gesetzesvorlage auf positive Reaktionen stösst, ist nicht damit zu rechnen, dass sie im Jahr 2007 vom guatemaltekischen Kongress behandelt wird. Nicht nur, weil dieses Jahr ein Wahljahr ist, sondern auch, weil dem Thema generell keine grosse Beachtung geschenkt wird, auch nicht innerhalb der sozialen Organisationen. Wir veröffentlichen einen Text, der in Inforpress Centroamericana Nr. 1687 erschienen ist. Regionaler Kontext"Ohne ihr die Möglichkeit zu geben, alternative Entwürfe und Kritiken zu formulieren, kann man nicht von einer demokratischen Gesellschaft sprechen. Die sozialen Kommunikationsmedien, vor allem das Radio, finden breite Anerkennung als Vehikel für die freie Meinungsäusserung. Die kommunalen und Volksradios entstanden aus der Überzeugung, dass mittels der Übertragung von Radiosendungen die menschliche Entwicklung der Gemeinden und deren BewohnerInnen gefördert werden kann." So beginnt der regionale Bericht über die Reglementierung der Radiodiffusion in Zentralamerika mit dem Titel "Das Wort demokratisieren". Im Dokument heisst es weiter: "…Man muss sich fragen, ob die geltenden Gesetze in der Region adäquat sind, um das Funktionieren und Verbreiten von Kommunalradios zu fördern, oder ob sie nicht im Gegenteil ein Hindernis sind, das der Umsetzung der sozialen Ziele dieser alternativen Medien im Weg steht." Es scheint, dass genau dies in allen Ländern des Isthmus der Fall ist, wo die Praxis und gewisse rechtliche Vorschriften - wie z.B. diejenige, dass eine Radiofrequenz vermietet, verkauft oder vererbt werden kann - den öffentlichen Charakter des radioelektrischen Spektrums ins Absurde führt. "So lange es Gesetze gibt, die einer kaufmännischen Logik folgen und Radiofrequenzen per Versteigerung vergeben, haben trotz aller technischen Verbesserungen, um die Kapazität des Spektrums zu erweitern, die kommerziellen Unternehmen einen Vorteil beim Zugang zu Frequenzen", schreibt der Anwalt und Autor des Berichts, Carlos Interiano. Kampf für eine GesetzesänderungIn Guatemala begann der Kampf um eine Reform des Gesetzes, das die Radiodiffusion reguliert, vor ca. acht Jahren und erlebte im Juli 2006 einen Höhepunkt, als offiziell das Projekt zum Schutz und der Förderung der legitimen Rechte der Kommunalradios in Guatemala lanciert wurde. Dieses Projekt wurde initiiert von der Weltweiten Vereinigung der Kommunalradios (AMARC), dem Netzwerk Open Society Institute (OSI) und der Soros-Stiftung Guatemala und will eine klare Unterscheidung machen zwischen den wirklichen Kommunalradios und den religiösen und/oder kommerziellen sowie anderen Radios, die sich aufgrund welcher Kriterien auch immer als Kommunalradios bezeichnen. In Guatemala gibt es laut Daten der AMARC 1200 nicht autorisierte Radios und davon entsprechen nur gut 100 den Kriterien eines wirklichen Kommunalradios. In diesem Zusammenhang und auf Anregung der Empfehlungen des Sonderberichterstatters zu Meinungsfreiheit der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH) wurden verschiedene Aktivitäten gestartet. Unter anderem heisst es in diesen Empfehlungen, dass "die Umsetzung der Politiken gewährleistet werden muss, die demokratische und gleichberechtigte Möglichkeiten bei der Vergabe von Radio- und Fernsehfrequenzen garantieren, eine Verpflichtung, die der Staat mit der Unterzeichnung der Friedensabkommen im Jahr 1996 eingegangen ist". Eine dieser Aktivitäten ist die Einsetzung eines Nationalen Rundtisches für Kommunalradios, dessen Ziel die Ausarbeitung der Reform des oben erwähnten Telekommunikationsgesetzes ist, das mit internationalen Gesetzen und den Menschenrechten kompatibel ist. AMARC hat einen Bericht verfasst über die Kriminalisierung der Kommunalradios in Guatemala und versucht, juristische Grundlagen für den Staat zu erarbeiten, an die dieser sich bei der Strafverfolgung derjenigen Kommunalradios halten muss, die ohne Sendebewilligung in den Äther gehen. "Bisher wurde das Vorgehen der Staatsanwaltschaft durch das Verfassungsgericht gedeckt, aber im Zusammenhang mit den Kompetenzen, die der Staatsanwaltschaft zugestanden werden, im Zusammenhang mit Beschlagnahmungen und Schliessungen von Radiosendern, die ohne Bewilligung senden, wurde bisher nie verfassungsrechtlich geklärt, ob die Benutzung einer Radiofrequenz ohne Bewilligung überhaupt ein Delikt ist", erklärte Romeo Monterrosa, Anwalt von AMARC. Laut Monterrosa sind die Fortschritte im Moment gering, aber signifikant für den ganzen Prozess. "Und dies anbetracht der Tatsache, dass es der guatemaltekischen Regierung an politischem Willen fehlt, das Thema zu verfolgen", ergänzte er. Der Direktor von AMARC Guatemala, Ricardo Sandoval, macht geltend, dass die Arbeit seiner Organisation im Kontext von Druckversuchen seitens der Staatsanwaltschaft, (die mit der Schliessung der Kommunalradios fortfährt), der totalen Abwesenheit der staatlichen Institutionen bei der Diskussion und der Apathie derjenigen Stelle, die für die Administration von Radiofrequenzen zuständig ist, stattfindet. Offizielle AntwortenAls Antwort auf die Kritik von AMARC entgegnete Rolando Rodenas, zuständiger Anwalt der Staatsanwaltschaft, dass er nichts anderes tue als das Gesetz zu befolgen. "Wir sind eine apolitische Institution", erklärte Rodenas. "Wir müssen den Anzeigen nachgehen, die bei uns eingereicht werden (vom Superintendanten für Telekommunikation (SIT), der sog. Diffusionskammer und von Einzelpersonen). Dabei interessiert es uns nicht, ob ein Radio kommunal ist oder nicht." Seiner Meinung nach ist das Ganze eine Angelegenheit für die Gerichte, inklusive des Verfassungsgerichts, welches entschieden hat, dass die Frequenzen ein Gut des Staates sind und dass Radios, die ohne Erlaubnis senden, "…sich an staatlichem Eigentum vergreifen. Es geht uns nicht darum, Kommunalradios anzugreifen, wir führen einfach unsere Ermittlungen durch … und in den meisten Fällen ertappen wir die Radios auf frischer Tat." Nach oben |
Im Jahr 2006 wurden 60 Radios untersucht, bei knapp der Hälfte (28) kam es zu Verurteilungen. Willy Cabañas, zuständig für die Regulierung der Frequenzen bei der SIT, will gegenüber Inforpress auch keine Stellung zu den Schliessungen der Kommunalradios beziehen, weil es ein politisches Thema sei und die SIT sich nur um technische Belange kümmere. In diesem Zusammenhang erwähnte er, dass seine Institution in Diskussion mit der Präsidialen Menschenrechtskommission COPREDEH stehe, um zu schauen, wie das Thema weiter verfolgt werden könne. "Seit 2005 betrieb die SIT Feldforschung, um herauszufinden, wie das radioelektrische Spektrum am besten genutzt werden kann, und wir haben unsere entsprechenden Vorschläge Mitte 2006 der COPREDEH vorgestellt." Kernpunkt dieser Empfehlungen ist ein technischer Vorschlag, um die Belegung der Frequenzen zu erhöhen, damit "die Mehrheit der Gemeinden (220 von 333) davon profitieren können". Verschiedene Analysten stellen die vermeintliche Unparteilichkeit der Staatsanwaltschaft und der SIT in Frage. "Es ist absurd, dass eine Institution, die gegründet wurde, um die JournalistInen zu schützen (die zuständige Abteilung innerhalb der Staatsanwaltschaft, siehe ¡Fijáte! 375, die Red.), sich plötzlich in die Verfolgung der Kommunalradios einmischt. Soweit zum Kräfteverhältnis…", kritisierte Ileana Alamilla, Direktorin der alternativen Nachrichtenagentur CERIGUA. Myrna Ponce, Präsidentin der Menschenrechtskommission des Kongresses findet, dass in den kommerziellen und politischen Kreisen Unklarheit darüber herrsche, was Kommunalradios eigentlich seien und dass ihre eigentliche soziale Funktion missverstanden würde. "Sie spielen eine wichtige Rolle in den Beziehungen der ländlichen Gemeinden und sie haben nichts mit den grossen, kommerziellen Sendern zu tun wie z.B. Emisoras Unidas, die sich auch in keiner Weise bedroht fühlen müssen", erklärte Ponce. Die Kongressabgeordnete erwähnte das Beispiel des Kommunalradios von Cubilzuiz, dessen Senderadius ausschliesslich Gemeinden abdeckte, in denen Q'eqchi gesprochen wird. "Welche Konkurrenz bedeutet ein solches Radio für Emisoras Unidas? Hier wird einem Zwerg mit einem Goliath Angst eingejagt." Beim Goliath handelt es sich in diesem Fall um Ángel González, einem mexikanischen Unternehmer, der in Miami lebt, zahlreiche Medien in Guatemala besitzt und diese gemäss seinen politischen Interessen nutzt. Alfonso Gumucio, Exekutivdirektor von Kommunikation für soziale Veränderung (CCCS) sagt über González: "Seine Macht ist dermassen gross, dass ihn die Präsidentschaftskandidaten aller traditioneller Parteien besuchen, um sich seine Gunst zu erwerben. "Der Staat ist Gefangener der privaten Medien. Es genügt, Emisoras Unidas zu hören, die einen aggressiven Werbespot gegen die Kommunalradios ausstrahlen, in dem sie die Regierung auffordern, diese Sender zu schlissen, deren Direktoren einzusperren und die technischen Apparate zu beschlagnahmen. Ein Druck dieser Art auf den Staat findet seinen Ausdruck in Form ungerechtfertigter Polizeiaktionen wieder." Bezüglich der Konfiszierungen der Apparaturen meinte die Kongressabgeordnete Ponce, sie wisse nicht, ob dies legitim sei oder nicht, auf alle Fälle widerspreche es gewissen Standards in Sachen Meinungsfreiheit. Ein schwieriger WegDie Vertreter von AMARC, Alvarado und Monterrosa, zeigen sich zuversichtlich bezüglich der Zukunft ihres Projekts. Sie haben bereits einen ersten Entwurf für eine Reform des Telekommunikationsgesetzes, die, wie sie sagen, dieses Jahr die Diskussion bestimmen wird. "80% derer, die an den Rundtischen teilnehmen, sind mit dem Vorschlag einverstanden und das ist ein bedeutender Fortschritt", sagte Monterrosa. Die Aktivisten gehen davon aus, dass das radioelektrische Spektrum zwischen 5 - 15% freie Frequenzen hat, dass aber mit der Digitalisierung des Spektrums in einigen Jahren noch viel mehr "Platz" frei wird. "Wir träumen davon, dass wir diese Möglichkeiten ausschöpfen können, so wie das in Mexiko bereits der Fall ist", erklärte Alvardo. Die Abgeordnete Ponce sieht durchaus eine Chance, dass der Vorschlag in dieser Legislaturperiode eingereicht und im Jahr 2008 diskutiert wird. "Dieses Jahr wird es etwas schwierig, denn das Thema hat sich durch seine Brisanzgewinnung in Bezug auf die Wahlen verkompliziert." Auch Alamilla teilt diese Einschätzung, aber sie glaubt, dass die Konjunktur nicht nur in Guatemala, sondern gegen die Kommunalradios weltweit läuft und es die grossen, transnationalen Unternehmen sind, welche "die Frequenzen auffressen". Die Medienexpertin glaubt, dass es sehr wichtig sei, die Kräfte zu bündeln, dies sei aber schwierig, solange die sozialen Bewegungen ihre Meinungsfreiheit nicht einfordern und untereinander gespalten sind. "Häufig werden die Begriffe Meinungs- und Pressefreiheit miteinander verwechselt und deshalb gibt es keine Medien, die die Stimme der ausgeschlossenen Sektoren repräsentieren." Gumucio gibt zu, dass die Bewegung der Kommunalradios in Guatemala nie in der Lage war, eine einheitliche Meinung zu vertreten. "Es gibt zu viele verschiedene Fraktionen für ein so kleines Land, und keine ist stark genug, um Einfluss zu nehmen. Jede kümmert sich nur um sich selber, um die Ecke, in der sie überlebt - im Schatten der Angst, die Stimme zu erheben." |
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