Freihandel stolpert kurz vor der Abstimmung
Fijáte 359 vom 10. Mai 2006, Artikel 4, Seite 4
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Freihandel stolpert kurz vor der Abstimmung
Guatemala, 07. Mai. "Ihre Antwort ist nicht zufrieden stellend", war der wiederholte Kommentar auf die Erklärungen von Wirtschaftsminister Marcios Cuevas, die er in der vergangenen Woche auf letztendlich rund 60 Fragen gab, die der Kongress ihm hinsichtlich des Freihandelsvertrages zwischen den USA, Zentralamerika und der Dominkanischen Republik (DR-CAFTA) stellte. Die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) hatte die Parlamentarische Anfrage im Rahmen der Diskussion um das nötige Implementierungs-Gesetz für den CAFTA beantragt. Mit diesem Erlass, bestehend aus 10 Kapiteln und 142 Artikeln, von denen 84 dem Thema des Intellektuellen Eigentums, vier der Umwelt und ausser drei Erwägungen kein einziger Artikel dem Thema der Arbeit gewidmet sind, werden nach Billigung zwei nationale Kodices und mindestens 16 Gesetze geändert, darunter der Straf- und der Handelskodex sowie das Telekommunikationsgesetz. Eine Woche bleibt dem Kongress, bevor er sich seine parlamentarische Pause gönnt, entsprechend verärgert war Präsident Berger, als der Billigungsprozess nach der ersten erfolgreichen Lektüre ins Stocken geriet, provoziert durch verschiedene kleine Erdbeben: die USA schickte einmal mehr neue Veränderungswünsche für das Gesetz - auf Englisch -; die seit längerem gärenden Konfrontationen innerhalb der Regierungspartei äusserten sich darin, dass einige der Abgeordneten den Saal verliessen und somit das Quorum brachen und schliesslich stellte das Plenum auf einmal fest, dass es zum einen das zu verabschiedende Gesetz sowie die Reformvorschläge nicht kenne und dann doch erst analysieren und diskutieren müsse, bevor es darüber abstimme. Somit ist das In-Kraft-Treten des Freihandelsvertrages erneut auf unbestimmt verschoben. Die ausweichenden und oberflächlichen Antworten desjenigen der Regierung, der das Vorhaben doch kennen sollte, namentlich der Wirtschaftsminister, werden das Ihre dazu beitragen, das Hin und Her zu nähren, auch wenn die Verabschiedung früher oder später sehr wahrscheinlich ist. Die URNG bemängelte die teils schwerwiegenden Ungenauigkeiten von Cuevas, hatten sie doch ihre Fragen extra 36 Stunden vorher eingereicht. Widersprüche und Aufregung begleiteten den Funktionär auf seinem Termin im Kongress, bei dem er auf der Verteidigung des Freihandelvertrags beharrte - mit wenig überzeugendem Erfolg, hat er doch laut Pablo Duarte, Chef des Unionista-Blocks, der in Bezug auf den CAFTA eigentlich an der Seite der Regierung steht, mit seinen Antworten "die ganze Arbeit über Bord geschmissen", die bislang in Sachen CAFTA-Lobby realisiert wurde. Jorge Ríos von der Wirtschaftskommission des Kongresses brachte das Schiff schliesslich ernsthaft in Schwanken mit seiner Frage nach der Notwendigkeit der Veränderung von Gesetzen, die überhaupt nichts mit dem Freihandel zu tun haben. Beispielsweise spielten die Modifizierung der Erwerbssteuer, der Mehrwertsteuer und des Gesetzes zu Finanzprodukten überhaupt keine Rolle bei Finanztransaktionen, sollen aber im CAFTA-Paket klammheimlich durchgewunken werden. Auch die Sichtweise des Ministers in Bezug auf die Auswirkungen des Handelsprojekts, lassen die Expertise und das Verantwortungsgefühl des staatlichen Mit-Hauptverantwortlichen für die entsprechende Zukunft des Landes in Zweifel ziehen. Eine der gestellte Fragen lautete: "Hat man die Menge der Menschen in Betracht gezogen, die - (nach und wegen In-Kraft-Tretens des CAFTA, die Red.) - keine Einkommensquelle haben wird? Darauf Cuevas: "Gemäss einigen Studien sind es etwa 60%, aber es wäre sehr gewagt eine präzise Zahl zu nennen, die ich in diesem Moment nicht an der Hand habe." Nach oben |
Dabei wurde gerade in den letzte Wochen die Pro-CAFTA-Kampagne noch einmal intensiviert, angeführt von der Kleidungs- und Textilkommission VESTEX und dem Gremium der Exporteure Nicht-traditioneller Produkte AGEXPRONT, während die wahren Interessenten, die Führungsspitze des Unternehmenssektors, dahinter stecken. Erpressung, Druck und Drohung sind ihre Methoden der Überredungskunst, skizzieren sie doch das Szenario der Massenarbeitslosigkeit und der Abwanderung von Arbeitsplätzen, sollte der Zug des CAFTA an Guatemala vorbeiziehen. Erwin Pérez stellt in incidencia democrática diese Argumentation in Frage, sei es doch unverständlich, dass die textileros das tapfere Schneiderlein in Sachen Verteidigung des CAFTA vorgeben, während ihre Gewinne empfindliche Schläge gerade durch die Globalisierung der Märkte einstecken mussten. Die Verluste der Textilindustrie hätten an zahlreichen Faktoren gelegen und nicht an dem Fehlen eines Handelsabkommens. Vielmehr sei die Invasion von chinesischen Produkten auf den US-amerikanischen und europäischen Markt eine der Hauptursachen für den Rückgang des Verkaufs, zu dem sich die mangelnde Initiative der guatemaltekischen UnternehmerInnen geselle, neue Märkte zu erschliessen: 90% der Textilien werden in die USA geschickt. Pérez entmythifiziert einen weiteren Aspekt: Die "besorgniserregende" Situation, dass die maquiladoras (Lohnveredelungsbetriebe, die Red.) es vorziehen, in andere Länder zu gehen, sollte eigentlich kein Grund dafür sein, Alarm zu schlagen, da die maquilas ohnehin sehr wenig Gewinn für das Land abwürfen. Zum einen genössen sie Steuerbefreiungen und -privilegien und zum anderen böten sie zwar zahlreiche Arbeitsplätze für GuatemaltekInnen an, seien in Wirklichkeit jedoch die Ausbeutungszentren schlechthin, die schlecht bezahlten und mörderische Arbeitszeiten einforderten. Etliche Arbeiterinnen in maquilas berichten von Missbräuchen von Seiten der Arbeitgebenden, die sie dazu zwängen, Medikamente zu schlucken, um während der Nachtschichten wach zu bleiben, und die Frauen kurzerhand kündigten, wenn diese schwanger seien. In gewisser Weise verständlich ist dennoch der Unmut sowohl von Präsident Berger als auch von Minister Cuevas - der nebenbei bemerkt bis 2003 als Präsident der AGEXPRONT fungierte - hinsichtlich dem Stolpern des Prozesses, sind doch beide nicht nur mit persönlichen Unternehmensinteressen am CAFTA interessiert, sondern massiven Druck von aussen und aus dem eigenen Kabinett ausgeliefert. Jetzt müssen aber erst die neuen Wünsche der USA übersetzt werden, um weiter diskutieren zu können. |
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