Globalisierung und Abkoppelung
Fijáte 424 vom 03. Dezember 2008, Artikel 2, Seite 2
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Globalisierung und Abkoppelung
Eine Krise, wie sie jetzt in den Vereinigten Staaten und weltweit stattfindet, stellt nicht nur das wirtschaftliche System in Frage, sondern auch die theoretisch-ideologischen Ansätze, welche dieses Modell legitimieren. Die Krise macht die Fehler dieses Systems sichtbar, ebenso die Missverhältnisse und ideologischen Fallen, die darin stecken. Es gibt eine ganze Tradition kritischer DenkerInnen, die das Funktionieren, die Machbarkeit und die Legitimität des Kapitalismus schon immer in Frage gestellt haben. Die Krise ist eine Gelegenheit, diese Kritik zu vertiefen und auszuweiten und die Fehler und Perversionen des Kapitalismus greifbar zu machen. Es ist eine Gelegenheit, um gewisse "Selbstverständlichkeiten" zu diskutieren, die sich seit dem Fall der Berliner Mauer verbreitet haben, als wären sie "Die Wahrheit". So war es zum Beispiel eine von den Medien und von den wirtschaftlichen und politischen Eliten weit verbreitete "Selbstverständlichkeit", dass es eine riesige Dummheit sei, sich gegen die Globalisierung zu wehren und mögliche negative Effekte davon überhaupt zu denken. Die Welt, so das selbstverständliche Denken, ist eine globale Welt voller Verbindungen, und wer nicht am Globalisierungsprozess mitmacht, ist verloren und geht zugrunde. Nur marginalisierte und irrende Bewegungen stellten sich gegen die Globalisierung. Man war nicht nur dumm, sondern dachte und handelte anachronistisch und verwehrte sich dem "Fortschritt" und der wirtschaftlichen Entwicklung. Regierende wie Hugo Chávez in Venezuela oder Evo Morales in Bolivien, die sich für eine Verstaatlichung der Ressourcen aussprachen und auf ihre Souveränität pochten, wurden als Demagogen, Einfaltspinsel und Ignoranten bezeichnet. Dies indizierte, dass der Diskurs über die Globalisierung nichts anderes als eine Beschreibung der "globalen Realität" sei. Es war gleichzeitig ein Befehl: "Man muss sich globalisieren!" Über Globalisierung zu reden bedeutete, darüber zu reden, wie die Welt in Wirklichkeit sei, was in der Welt zu geschehen hatte, was die Welt zu sein hatte. Die Ideologie hinter diesem Konzept verdeckte die "globalisierte" Realität. (...) Der dominante Diskurs über die Globalisierung machte aus ihr einen absolut notwendigen - und selbstverständlich wünschenswerten - Prozess. Die Idee war, dass es uns desto besser gehe, je "verbundener" - sprich globalisierter - wir seien. Was uns die Krise nun zeigt, ist, dass diese "Verbundenheit" und das Globalisiert-sein gefährlich ist, um es sachte auszudrücken. Wer eine radikale Perspektive einnimmt, merkt, dass diese Globalisierung in erster Linie globale Probleme schafft und Auswirkungen hat auf die AfrikanerInnen im subsaharischen Raum, auf die Indígenas in Lateinamerika und auf Millionen von Armen auf der ganzen Welt, die nichts mit dem zu tun haben, was an der Wall Street geschieht. Die "Globalisierung" und die entsprechende Ökonomie verschärfen die Umweltkrise, die unseren Planeten bedroht. Es wird evident, dass dieses ökonomische Modell nicht nachhaltig ist und dass, nebst geopolitischen und sozialen Realitäten, die kapitalistische Euphorie bereits zu lange andauert. Nach oben |
Es zeigt sich heute, dass die Globalisierung in Wirklichkeit ein Prozess der weltweiten Verbreitung des Kapitalismus ist und globale Risiken in sich birgt. Dies hat zur Folge, dass immer mehr Menschen gar nicht "so sehr" globalisiert sein wollen, was wiederum den hegemonialen Diskurs in Frage stellt und alternative Projekte stärkt. In erster Linie stärkt dies die Position der Linken und der sozialen Bewegungen. Sie spüren seit Jahren die Auswirkungen der Globalisierung und leiden darunter, dass alles zu Handelsgut wird, dass die Produktions- und Konsumsysteme natürliche Ressourcen und Identitäten zerstören und strukturelle Verarmung hervorrufen. Mindestens auf diskursiver Ebene sind sie heute in einer besseren Position innerhalb der Globalisierungsdebatte. Die Idee der Ernährungssouveränität zum Beispiel scheint in diesem Moment an Attraktivität zu gewinnen: Jedes Land soll mindestens die Lebensmittel produzieren können, die zur Ernährung der Bevölkerung notwendig sind, und nicht von Importprodukten abhängig sein, die wegen der Konkurrenz mit den Agrotreibstoffen und wegen der Spekulation verteuert sind. Jede Person soll Zugang zu genügend Nahrung haben. Die Forderung nach "Nahrung für alle" ist zu einer konkreten Alternative geworden und zählt nicht mehr zu den unrealisierbaren Utopien. Solche Konzepte stärken die Idee der Abkoppelung. Zweitens beginnen konservative Sektoren wie einige lateinamerikanischen Oligarchien zu merken, dass mit der Globalisierung nicht alles zum Besten läuft. Viele globalisierte Bank- und Kaufhäuser wollen gar nicht mehr derart globalisiert sein. Die Banken eines kleinen Landes wie Guatemala verkünden mit viel publizistischem Aufwand, dass sie keine Risikoinvestitionen im US-Wirtschaftssystem getätigt haben. Sie versuchen ihre SparerInnen damit zu beruhigen, dass sie in die "soliden" Staatsanleihen der USA investiert haben. Es scheint, dass aufgrund der aktuellen Krise der Globalisierungsdiskurs zu zerbröckeln beginnt. Wer spricht heute noch von den Wohltaten der Globalisierung? Die harte Realität schreit so laut, dass selbst diejenigen, die sich bis heute taub gestellt haben, hinhören müssen. Dies heisst noch nicht, dass die Eliten sich ändern, aber es bedeutet, dass der hegemoniale Diskurs in Frage gestellt wird und dass Modelle wie Abkoppelung und Dezentralisierung überhaupt breiter diskutiert werden können und als wünschenswerte und notwendige Alternative zur Globalisierung gesehen werden können. |
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