¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Don Alfonso will nicht mit aufs Foto
Fijáte 423 vom 19. November 2008, Artikel 5, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Don Alfonso will nicht mit aufs Foto
Zwischen den Monaten September und November haben wir in Guatemala den "revolutionären Oktober". September ist der Monat der Unabhängigkeit von Spanien, November derjenige unserer Toten, unserer schmerzhaften Erinnerung, der versteckten Tränen und dem öffentlichen Schweigen, unserer wahrhaftigsten Alltäglichkeiten. Der Oktober hingegen ist der Monat unseres Projekts einer misslungenen Nation. Im Verlauf drei aufeinanderfolgender Monate also die ganze Sage Guatemalas. Generell konstruieren die Völker ihre Identität rund um einen heroischen Moment ihrer Vergangenheit, dem sie einen funktionalen Charakter geben. Aber Guatemala hat nach wie vor keinen solchen Moment: Es gibt kein geeintes Volk, das sich auf denselben historischen, identitätsstiftenden Moment einigen könnte. Ein solches Vorkommnis fehlt uns noch. Am ehesten könnte ein solcher historischer Moment die Oktoberrevolution sein. Doch auch sie ist es nicht, denn es war eine Revolution der Ladinos, in der unsere Maya-, Garífuna- und Xinca-MitbürgerInnen keine Rolle hatten. Mehr als der Hälfte der Bevölkerung blieb eine Rolle als ProtagonistInnen dieser Revolution verschlossen. Diesen Oktober hat uns die Regierung von Álvaro Colom überrascht mit ihren Ehrerweisungen an die Überlebenden dieses Jahrzehnts des "demokratischen Frühlings". Wir hatten uns daran gewöhnt, nach den militaristischen Defilees von September, die bis in die Schulstuben vordringen (eine schlechte Angewohnheit aus der Zeit, als Ubico die Schulen militarisierte), wieder ins traurige Schweigen zurückzufallen, das wir alltäglich einatmen. Dieses Jahr aber wurde an der Fassade des Präsidentenpalast (ebenfalls eine Erbe Ubicos) riesige Plastik-Plakate mit den Konterfeis von Juan José Arévalo, Jacobo Arbenz und Oliverio Castañeda sowie ein Gedicht von Luis de Lión aufgehängt. Man hat Tränen gesehen im Zentralpark der Hauptstadt und sicher andernorts im Lande auch. Der Präsident wollte eine Gruppe von Bürgern und BürgerInnen ehren, welche eine herausragende Rolle in den revolutionären Regierungen des demokratischen Jahrzehnts gespielt hatten. Ebenfalls zum ersten Mal veröffentlichte eine Regierung Werbebotschaften, in denen sie das einzige demokratische Experiment unserer Geschichte lobpreist, das am 20. Oktober 1944 begann und mit der Söldnerinvasion der CIA im Juni 1954 beschnitten wurde. Es stimmt, dass die Feierlichkeiten rund um diesen revolutionären Oktober als ein berechtigtes Sehnen nach einer Gegenwart verstanden werden kann, die uns fehlt. Darin liegen wohl auch die Tränen und die Sentimentalitäten begründet, die diese bei uns ausgelöst haben. Aber das Adjektiv "sozialdemokratisch", mit dem unsere Behörden den Anlass haben schmücken wollen, provoziert - ebenfalls berechtigt - unseren Protest. Denn abgesehen vom Novum, dieser Geste: Was haben WIR neues davon? Angesichts dieser Farce wächst die Vermutung, dass einmal mehr die Strategen versucht haben, unsere Gefühle zu ihrem Vorteil zu manipulieren. Wenn die Rituale keinen Inhalt haben, sondern blosse Lügen sind; wenn ihr Inhalt das Gegenteil von dem aussagt, was er eigentlich bedeutet, macht das wütend. Als Ex-Präsident Portillo damals auf dem Foto erschien, gekleidet als Maya und sich von einem Maya-Priester läutern liess, fühlten viele von uns Ekel. Ähnlich wie Jahre zuvor, als wir sahen, wie das Militär Maya-Namen und Symbole missbrauchte, um ihre Genozidoperationen zu tarnen. Etwas von diesem Ekel drückten die Jugendlichen von HIJOS direkt und hemmungslos aus. Etwas von diesem Ekel kommt auch in der Weigerung von Don Alfonso zum Ausdruck, an diesen besagten Ehrungen teilzunehmen. Nach oben |
Wie war das mit der Überwindung des Militarismus, wenn die Regierung weiterhin die unantastbare und straflose Armee privilegiert? Wie war das mit den Arbeitsrechten, wenn das Arbeitsgesetz vor dem neoliberalen Kannibalismus in die Knie geht? Wie war das mit der staatlichen Souveränität, wenn wir heute nichts anderes als eine Prostituierte der USA und der Ressourcen- und Nahrungsmittelmultis sind? Wie war das mit der Landreform, wenn heute die Bauernführer, die sich seit der Landreform von 1944 für eine solche einsetzen, kriminalisiert werden? Wie war das mit der Gerechtigkeit, solange uns die Straflosigkeit der Angst- und Drogenhändler in Schrecken versetzten? Es scheint fast, als wäre die erwähnte Ehrung nichts anderes als eine kohärente politische Geste unserer Regierung, ein Trauerkranz auf der Beerdigung unserer Vergangenheit, wie wenn ein Stratege gesagt hätte: "Bauen wir ein Denkmal auf, um sie darunter zu begraben". Sollen diese Ehrungen ein Ventil für unsere revolutionären Gefühle sein und unsere verzerrten Erinnerungen besänftigen solange es geht? Die Sklavenhalter wissen, dass die Sklaven die Ketten nicht zerreissen, solange sie damit beschäftigt sind, von der Freiheit zu singen, wie schon Unamuno sagte. Es wäre nicht erstaunlich, wenn eines der infamen Unternehmen, die uns das Blut aussaugen, grosszügigerweise das Geld für diese Ehrungen zur Verfügung gestellt hätte. Sie wissen hinterlistig genau, wie sie ihre riesigen Gewinne einsetzen können. Sie haben es mit dem damaligen Präsidenten Juan José Arévalo versucht, wie dieser 1948 selber schrieb: "Der Wirtschaftsminister (niemand anderer als unser Don Alfonso Bauer Paiz!) machte einen Gesetzesvorschlag zur Nutzung der Ölressourcen, das rigoros unseren nationalen Reichtum schützt. Die nordamerikanischen Unternehmen waren empört ... Eines dieser Unternehmen liess sich dies nicht gefallen und offerierte mir auf Lebzeiten 10% der Einkünfte. Dieses Angebot machten sie mir im Präsidentenpalast. Ich bin sofort zum Büro des Wirtschaftsministers gegangen. Der Gesetzesentwurf wurde sofort als Gesetz erlassen. Die Türen blieben verschlossen für die Versuchung und die Korruptionsangebot, denen übrigens nicht nur ich ausgesetzt war. Der nordamerikanische Botschafter (Richard) Patterson, immer leicht rot im Gesicht, wurde bleich: "Für wen schützt ihr dieses Erdöl?" - "Für Guatemala", antwortete ich. (Zitiert von Luis Solana in "Guatemala, petróleo y mineria en las entrañas del poder", Inforpress Centroaméricana 2005.) Hallo, ihr Herren und Frauen in der Regierung? Hallo, ihr Herren und Frauen Abgeordnete? Zu Recht wollte Don Alfonso nicht mit aufs Foto. |
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