Alle Jahre wieder: Die Haushaltsdebatte
Fijáte 424 vom 03. Dezember 2008, Artikel 3, Seite 3
Original-PDF 424 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte
Alle Jahre wieder: Die Haushaltsdebatte
Guatemala, 28. Nov. Sogar noch eine Woche vor dem traditionellen Ultimatum, nach dem der Kongress den Haushalt für das folgende Jahr bis 24 Uhr am 30. November abzusegnen hat, hat es Präsident Álvaro Colom dank vorheriger Vereinbarung, die Sache unter nationaler Dringlichkeit zu behandeln geschafft, seinen Vorstellungen entsprechend die Finanzlage seiner Regierung für 2009 zu sichern. Nach drei Tagen intensiver Diskussion um die einzelnen Artikel und unverhohlener Kritik seitens Unternehmensverband CACIF und der Patriotischen Partei (PP), die der letzten Abstimmung im Plenum denn auch fern blieb, stimmten die Abgeordneten der Regierungspartei Nationale Einheit der Hoffnung (UNE), Republikanische Front Guatemalas (FRG), Einheit des Nationalen Wandels (UCN), die Bancada Guatemala sowie die Partei Unionistas für den neuen Etat über 49´723´107´623 Quetzales (ca. US-$ 6,8 Mrd.). Dagegen stimmten neben den PatriotInnen die Partei Encuentro por Guatemala, in Person von Nineth Montenegro und die Partei CASA. Somit stehen der Regierung im nächsten Jahr etwa 13,2% mehr Gelder zur Verfügung als dieses Jahr, in dem sich der Haushalt auf rund 43 Mrd. Quetzales belief. In der Billigung des Etats inbegriffen - und Grund für die Kritik durch CACIF und PP - ist die Reduzierung der Solidaritätssteuer (ISO) von 1,25% auf 1%, die die nach einiger Verlängerung endgültig im Dezember 2008 auslaufende Ausserordentliche Steuer zur Unterstützung der Umsetzung der Friedensverträge (IETAAP) ablöst und ein dadurch entstehendes staatliches Einkommensloch von jährlich 2 Mrd. Quetzales füllen muss. Langfristig soll auch die ISO wieder ersetzt werden und zwar durch eine reformierte Einkommenssteuer und einen ausgearbeiteten Steuerpakt, die entsprechenden Verhandlungen sind direkt eingeläutet. Ein weiterer Dorn im Auge der KritikerInnen ist, dass der gebilligte Etat allein durch vier gleich mit verabschiedeten Krediten und somit zusätzlicher Neuverschuldung über 820 Mio.US-$ gestemmt werden kann. Der CACIF verurteilt die angekündigte Steuerreform und die Höhe des Gesamthaushaltes als völlig überzogen - gerade auch angesichts der weltweiten Finanzkrise. Die Patriotische Partei verweigert der Haushaltsinitiative ihre Unterstützung mit der Begründung, dass vom laufenden Haushalt 20% noch gar nicht ausgegeben seien. Ausserdem sei die Verschuldung gegenüber der Bevölkerung nicht zu verantworten und würde Programme finanzieren, über die es keine fiskalische Kontrolle gebe. Der Wink auf den von Coloms Frau Sandra Torres geleiteten Kohäsionsrat, über den zahlreiche soziale, aber vor allem palliativ wirkende Sach- und Geldspendenprogramme durchgeführt werden, war nicht misszuverstehen. Bisher sieht der verabschiedete Etat vor, dass der Kongress 11 Mio. Quetzales mehr für das eigene Konto beantragt und bewilligt hat, die den Verlust der Zinsen durch die bislang abgeschriebenen 82 Mio. ausmachen, die mittels des Aktienhauses MDF hinterzogen worden sind. Das Aussenministerium muss - nicht nur sehr zum Bedauern der USA, die auf die Stärkung der Grenzen zur Eindämmung des Verkehrs von nicht-dokumentierten MigrantInnen und Drogen Richtung Norden gehofft hatten - auf 90 Mio. Quetzales der beantragten Summe verzichten. Und das Verteidigungsministerium bekommt anstatt der bereits vom Dachverband der indigenen und BäuerInnen-Organisationen (CONIC) kritisierten 1,21 Mrd. Quetzales sogar mehr als 1,3 Mrd. und hofft gleichzeitig, diesen noch auf die beantragten 2,3 Mrd. aufstocken zu können. Unrealistisch ist dieser Wunsch nicht, weil nämlich das Haushaltspaket auch gleich den Passus beinhaltet, der die Verschiebung von Geldern innerhalb der jetzt aufgestellten Posten je nach Bedarf und "Bedürftigkeit" ermöglicht. CONIC bemerkte zudem, dass der Haushaltsvorschlag keine Rubrik für die Indigenen Völker und eine Landpolitik vorgesehen hat. Nichtsdestotrotz fand sich auch die CONIC neben Gewerkschaftsverbänden, LehrerInnengremien, indigenen Organisationen und nicht organisierten Gemeinden aus dem ganzen Land ein, um am 18. November zum Kongress zu marschieren und Druck auf den Kongress auszuüben, den von der Exekutive vorgelegten und von der Finanzkommission gebilligten Haushaltsvorschlag zu verabschieden. Am Wochenende zuvor hatten sowohl Colom als auch seine Frau die Bevölkerung noch inständig um Unterstützung zugunsten des Etats gebeten. Und es war an jenem Dienstag wohl auch nicht zu übersehen, dass es sich um eine Demonstration handelte, die von der Regierung initiiert worden war. Ganze Busladungen voller Menschen waren auf Staatskosten herangekarrt und unter einem Vorwand in die Stadt gelockt worden, so die Beschwerde von Gemeindemitgliedern aus Sololá, die in dem Glauben gelassen wurden, sie müssten zur Klärung von beantragten Projekten in die Hauptstadt. Die Fraktionschefin der Patriotischen Partei, Roxana Baldetti, gab nur wenige Tage später bekannt, Unterlagen gefunden zu haben, laut denen der Transport und die Verpflegung der Colom-UnterstützerInnen mit Geldern vom Konto des Friedenssekretariats (SEPAZ) und aus dem Topf des Friedensfonds (FONAPAZ) bezahlt worden seien. Nach oben |
Colom hat mit dieser Aktion tatsächlich eine Gradwanderung unternommen und konnte sich der Kritik nicht entziehen, es handele sich mit dieser Demo-Organisation um eine eindeutige Einmischung der Exekutive in die Belange der Legislative. Colom dagegen betrachtet das Ereignis als Pulsmessung hinsichtlich der Unterstützung, auf die er in der Zivilgesellschaft bauen kann. Und tatsächlich kann man bei der diesjährigen Haushaltsdebatte von zwei neuen Lagern sprechen, die sich hervortun: Während CACIF und Patriotische Partei als Vertreter der konservativen Oligarchie- und Militärfraktion auftreten, steht die Bevölkerung doch mehrheitlich auf Seiten der Regierung. Nichtsdestotrotz sind in den drei Tagen der permanenten Sitzung im Kongress viele Aspekte andiskutiert worden, wurden jedoch schliesslich offensichtlich "verhandelt" bzw. als Druckmittel durchgewunken. So beinhaltet die Etataufstellung Geldzuweisungen für rund 37 Nicht-Regierungsorganisationen, von denen zahlreiche erst kürzlich gegründet worden sind und von denen manche eindeutig mit bestimmten Abgeordneten in Verbindung stehen. An die Öffentlichkeit getragen wurde mindestens ein Zwist zwischen Fraktionschef der UNE Mario Taracena und Nineth Montenegro, wobei Taracena nicht nur Montenegro vorwarf, Druck auszuüben, um den NRO-Artikel zu modifizieren, und gleichzeitig Gelder für die von ihr gegründeten Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) beantragte, die seit Jahren von ihrem Ehemann Mario Polanco geleitet wird. Daraufhin beschuldigte Montenegro Taracena, eine Schmutzkampagne gegen sie zu fahren, sie habe Anrufe von Unbekannten bekommen, die sie einzuschüchtern versuchten. Taracena verteilte daraufhin Kopien des Antrags von Mario Polanco um Unterstützung für zwei Projekte der GAM. Als das grosse und unter Beweis gestellte Problem bei den Zuwendungen an Nicht-Regierungsorganisationen gilt deren Möglichkeit, als nicht staatliche Akteure die öffentlichen Ausschreibungen und Vertragsprozedere nicht einhalten zu müssen und somit eine attraktive Korruptions- und Vetternwirtschaftsquelle darstellen, von denen die Abgeordneten selbst gerne profitieren. Den staatlichen Geldern sind dagegen im Haushaltsprojekt offenbar recht starre Transparenzregeln auferlegt, die bereits von Colom selbst kritisiert wurden, sie sollten doch flexibler gehandhabt werden, um die staatlichen Investitionen zu erleichtern. Schon vor der Verabschiedung hatte die Patriotische Partei angekündigt, Finanzminister Alberto Fuentes Knight zu interpellieren, damit er den Haushalt rechtfertige und erläutere. Doch obwohl er die kritischen Fragen nicht wirklich überzeugend zu parieren wusste, verzichtete die PP auf ein Vertrauensvotum. So gestand Fuentes Knight selbst ein, dass nicht nur der Etat, der dem Innenministerium zugewiesen ist, gar nicht ausreicht, die Regierungsvorhaben zur Stärkung der Inneren Sicherheit tatsächlich umzusetzen. Etwas wundern lassen in dem Zusammenhang - aber den guatemaltekischen Politikapparat kennend auch nicht wirklich - die Zusage der staatlichen Subvention des Hauptstädtischen Transmetro, dem relativ neuen Busverkehrssystem im Süden der Stadt, und ein als hoher Anteil benannter Posten für Regierungspropaganda bei generell wenig Kontrollmechanismen. |
Original-PDF 424 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte