Der Fall Rosenberg wird zur Schlammschlacht
Fijáte 437 vom 17. Juni 2009, Artikel 3, Seite 3
Original-PDF 437 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 --- Nächstes Fijáte
Der Fall Rosenberg wird zur Schlammschlacht
Guatemala, 12. Juni. Die Morde an dem Unternehmer Khalil Musa im April und dem Anwalt Rodrigo Rosenberg im Mai, die gleich schwerwiegende politische Konsequenzen nach sich gezogen haben, bieten gleichzeitig den Nährboden für heftige parteipolitische Auseinandersetzungen. Inforpress Centroamericana versuchte in einem Artikel seiner letzten Ausgabe, auf den wir hier zurückgreifen, das chaotische Geflecht zu entwirren, zu dem sich die Ereignisse entwickelt haben (siehe ¡Fijáte! 435 und 436). Die wichtigsten politischen Parteien, die Nationale Einheit der Hoffnung (UNE) in der Regierung, und die Patriotische Partei (PP) in der Opposition, haben sich seit dem Mord an Rosenberg in die ersten Vorwahlkämpfe hineingesteigert, die sich seit dem Auftauchen eines vermeintlichen Zeugen noch einmal verschärft haben. Einen Monat später unterliegt jegliche Information bezüglich der Ermittlungen weiterhin rechtlicher Reserve, zugleich steigt der Druck gegenüber der Staatsanwaltschaft sowie gegenüber der die Ermittlungen begleitende Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG), den Fortschritt der Untersuchungen bekannt zu geben. Und bislang ist kein einziges der Originaldokumente aufgetaucht, von denen Rosenberg in seinem posthumen Video spricht und die die Verwicklung von Präsident Colom, dessen Gattin Sandra Torres, Coloms Privatsekretär Gustavo Alejos sowie dessen Geschäftspartner Gregorio Valdés sowohl in den Mord an den Musas als auch an ihm selber belegen sollen. Inzwischen wurde bekannt, dass bereits zwei Tage nach dem Mord an Rosenberg, ein gewisser Ovidio Batz Tax, gebürtig aus einem Vorort von Quetzaltenango, vor dem örtlichen Menschenrechtsprokurat (PDH) aussagt, ein Freund habe ihm einen Tag zuvor von einem Plan erzählt, gemäss dem der oberste Parteiboss der Patriotischen Partei, Otto Pérez Molina und die kürzlich zur Generalsekretärin dieser Partei ernannte Roxana Baldetti ermordet werden sollten. Wenig später sagt derselbe Zeuge vor der Staatsanwaltschaft aus, dieses Mal unter dem Namen Juan Pérez León. Laut diesem sei der genannte Freund Juan Ordóñez, Anführer der Verbrecherbande "Los Pitágoras". Kurz darauf wird Ordóñez festgenommen, identifiziert als ehemaliges Mitglied der (ehemaligen) militärischen Geheimdienstabteilungen G2 bzw. D2. Die PDH informierte die Patriotische Partei hinsichtlich des Mordplans, Batz Tax wurde zum geschützten Zeugen, dem die Partei vollsten Glauben schenkte und dessen Aussage sie dazu verwendete zu behaupten, dass eine nicht näher beschriebenen politische Gruppe in Regierungsnähe, die "Pitágoras" beauftragt habe, die Morde auszuführen. Nur wenige Tage später wendete sich auch dieses Blatt um 180 Grad. Derselbe geschützte Zeuge, dieses Mal unter dem Namen José Pérez León, denunzierte im Radiosender Radio Stereo 100 von Quetzaltenango, dass "Los Pitágoras" die Mörder von Rodrigo Rosenberg seien und die intellektuellen Verantwortlichen für diese Tat die Führungsriege der Patriotischen Partei. Als direkte Beteiligte nannte er Pérez Molina und den PP-Abgeordneten für Quetzaltenango, Armando Paniagua, Präsident der Kongress-kommission für Prävention und Soziale Sicherheit. "Los Pitágoras" sind derweil als Bande bekannt, der zahlreiche Morde und Entführungen zu geschrieben werden. Einige ihrer Mitglieder sind derzeit in Haft und in Gerichtsprozesse involviert. Die CICIG bestätigte mittlerweile die Aussage von Pérez León, der ihr als Beweismaterial ein Mobiltelefon mit relevanten Kurznachrichten, eine Daten-CD und Informationen über Wohnungen und Fahrzeuge überreichte. Laut Pérez León, dessen Beteiligung an den Ereignissen noch nicht geklärt ist, habe Paniagua ihm 200´000 Quetzales, ein Auto und ein Auslandsvisum angeboten, um ihn zum Schweigen zu bringen. Erste Informationen besagten, dass Pérez León an die Presse getreten war, weil dieses "Angebot" nicht eingehalten worden war. Nach der Beweisübergabe sah sich die CICIG zu einer öffentlichen und deutlichen Stellungnahme gezwungen. Angesichts der Tatsache, dass offenbar Details hinsichtlich dieses Kontaktes im Vorfeld bekannt geworden waren, resultierte die Übergabe in einer Pressekonferenz. Die CICIG kritisierte in Folge die Filtrierung von Informationen und rief die Gesellschaft und im speziellen die Medien keine Desinformation und Verwirrung zu betreiben, indem Aussagen von mutmasslichen Zeugen verbreitet würden. Ausserdem sollten "mit tiefem Respekt vor der Presse- und Meinungsfreiheit, gewisse Informationen eingeschätzt werden, ob es sich - solange sie nicht bestätigt sind - um wahrheitsgetreue Informationen handelt." "Die Medien ihrerseits müssen sich bewusst sein, dass sie nicht erlauben dürfen, durch parteiliche oder verzerrte Interessen, die nicht das allgemeine Interesse der guatemaltekischen Gesellschaft widerspiegeln, manipulieren zu lassen." Nach oben |
Die Mediatisierung der Zeugenaussagen führte dazu, dass der Fall Rosenberg verstärkt politisiert wurde. Die UNE betrachtet die Deklaration von Pérez León - gegen die Patriotische Partei - als wahr und forderte tiefgehende Ermittlungen. Dagegen bezeichnet die Patriotische Partei die Situation als Inszenierung und beschuldigt jetzt den vormals respektierten Pérez León als kriminell und Erpresser mit einer weitreichenden Verbrechensliste. Gleichwohl war es die Patriotische Partei, welche die schärfste Zunge gegen die Regierung geführt hatte und als erste Präsident Coloms Rücktritt forderte. Für die UNE bietet sich indes die Gelegenheit, um zu kontern und politischen Raum zurückzugewinnen, den sich die Patriotische Partei mittels des vermeintlichen Mordkomplotts gegen sie erobert hatte. Gemäss der CICIG ist Pérez León nicht länger geschützter Zeuge. Verschiedene Zeitungen gaben derweil an, er habe mit seiner Familie das Land Richtung Mexiko verlassen. Die richterliche Verfügung die anordnet, die Ermittlungen in den Fällen Rosenberg und Musa diskret zu halten, um zu verhindern, dass noch mehr über Informationen spekuliert wird und die Politisierung des Falles zunimmt und in der Absicht, bessere Ermittlungsbedingungen zu schaffen, löste vielmehr das Gegenteil aus: Vielfältige Interpretationen verschleiern das Panorama. So haben sowohl die politischen Kräfte wie die Unternehmenseliten, getrieben von ihren jeweiligen Interessen und ihrer Rivalität, verschiedene Erklärungsszenarien aufgebaut, die das Vorankommen der Arbeit der CICIG erschweren. Diese sieht sich derweil vor der Herausforderung, in diesen turbulenten Wassern zu navigieren, in denen der Verwaltungsapparat der Justiz und vor allem die Staatsanwaltschaft die schwere Last tragen, in diesen Fällen zu ermitteln. Das Engagement der CICIG, die immer wieder die Notwendigkeit der juristisch-professionellen Arbeit in den Vordergrund stellt, die Ermittlungsbemühungen, die unternommen werden, unterstreicht und ihre eigene Neutralitätsverpflichtung verkörpert, hat unterdessen dazu beigetragen, die Krise, die die Regierung über sich kommen sah, abzuwenden und die politische Instabilität etwas zu reduzieren. Präsident Colom beobachtet, dass das Image der Regierung innerhalb des Landes inzwischen wieder etwas gestiegen sei, während dessen hinsichtlich des Auslandes noch eine Menge zu tun sei, um dieses einigermassen wieder herzustellen. Der Privatsektor bekundet indes seine Unterstützung der CICIG, stellt jedoch die Staatsanwaltschaft in Frage. Auf der anderen Seite forderte der Unternehmensverband CACIF in bezahlten Anzeigen in der Presse die gerichtliche Rechnungsprüfung der im Video von Rodrigo Rosenberg illegaler Geschäfte beschuldigten Ländlichen Entwicklungsbank (BANRURAL) und speziell die Ermittlung der Treuhandfonds, die in Verbindung mit dem Kaffee-Sektor stehen. Bankenaufsichtschef Edgar Barquín versichert derweil, in der BANRURAL würde kein Geld gewaschen. Er fügt hinzu: "Wenn der CACIF Beweise für seine Vorwürfe illegaler Geschäfte hat, soll er bei der Staatsanwaltschaft Anzeige erstatten, anstatt Anzeigen in der Presse zu schalten." Die Landwirtschaftskammer hat ihrerseits den Rücktritt des Generalstaatsanwalts Amílcar Velásquez Zárate gefordert, da bislang die ProtagonistInnen der Regierung, die Rosenberg in seinem Video nennt, noch nicht vernommen worden seien. Velásquez verteidigt sich indes, dass weder die CICIG noch die Staatsanwaltschaft die genannten Personen nicht vorgeladen habe, da, im Sinne des Prozesses und aufgrund von Ermittlungsangelegenheiten, noch nicht der geeignete Moment dafür gekommen sei. Ausgeschlossen ist diese Option aber nie gewesen. Unklar bleibt damit, wie viel Glaubwürdigkeit den Aussagen des vermeintlichen Zeugen Pérez León geschenkt wird, die die Beteiligung von hohen RegierungsfunktionärInnen ausschliesst und die Verantwortung der Patriotischen Partei überträgt, der Akteurin, die von der Regierung beschuldigt wird, Pläne zur Destabilisierung des Landes anzuführen. Parallel dazu gibt es noch einen Nebenschauplatz der Beschuldigungen. Der Unternehmer Gregorio Valdés O´Connell (siehe Hintergrundartikel) reichte mittels seines Anwalts, dem ehemaligen Abgeordneten Telésforo Guerra, Anzeige gegen den Sicherheitsexperten Luis Mendizábal ein, der sich als Freund von Rosenberg bezeichnete und als solcher nach dem Mord an diesem die Kopien des Videos verteilte. Die Anzeige lautet auf unterlassene Anzeige und Beihilfe, denn, so Anwalt Guerra, "Mendizábal wusste von den kriminellen Taten, die der Anwalt denunzierte, und hat nichts gesagt, und damit hätte er dessen Tod verhindern können". Valdés O´Connell, der von Rosenberg in dessen Video als einer derjenigen bezeichnet wird, die seinen (Rosenbergs) Mord organisiert hätten, versichert unterdessen, dass die Aussagen von Mendizábal vor der Staatsanwaltschaft ihn mit Taten in Verbindung bringen, die er "niemals" begangen habe. Ausserdem wies er die Durchsuchungen seiner Firmen zurück, die nichts mit den mutmasslich denunzierten Tatsachen zu tun hätten. Was Mendizábal ausgesagt haben soll, verschweigt Valdés hingegen. Doch ist öffentlich bekannt, dass beide Personen eine dunkle Vergangenheit haben, die bislang wenig untersucht wurde. |
Original-PDF 437 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 --- Nächstes Fijáte