Aus fürs PN-Archiv oder gar für den MR-Prokurator?
Fijáte 438 vom 01. Juli 2009, Artikel 2, Seite 3
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Aus fürs PN-Archiv oder gar für den MR-Prokurator?
Guatemala, 19. Juni. Elf Tage vor Monatsende wurde dem gesamten Personal, das in der Aufarbeitung und Digitalisierung des Archivs der Nationalpolizei (PN) arbeitet, von ihrem Arbeitgeber, dem Menschenrechtsprokurat (PDH), mitgeteilt, dass ihre Verträge Ende Juni fristlos auslaufen. Erst ein Brief der Vorsitzenden des Internationalen Beratungsstabes des Archivs, Kate Doyle vom National Security Archive der George Washington Universität, klärt wenige Tage später auf, dass das vermeintlich plötzliche Vertragsende zusammenfällt mit der Beendigung der ersten Projektphase, der bergenden Rettung der Dokumente, die 2005 begonnen wurde. Dieser ersten soll planmässig die zweite Phase folgen, welche die Stabilisierung und Institutionalisierung des Archivs enthält. Neben der Tatsache, dass die Praxis willkürlicher Entscheidungen von Seiten der PDH bereits bekannt ist, ist die offizielle Version, es sei kein Geld mehr da, wenig glaubwürdig, gerade weil die Archivkonservierung ein Projekt ist, das durch Gelder der internationalen Zusammenarbeit finanziert wird. Sollten tatsächlich die Gelder ausgegangen sein, stellen sich nun viele Fragen: Sind die Gelder von der Kooperation womöglich begründet gestrichen worden? Und warum wurde nicht - das von der Institution zu erwartende Interesse an der Fortsetzung der Arbeit vorausgesetzt - beizeiten eine Verlängerung beantragt, neue Financiers gesucht oder schlicht PDH-eigene Gelder umgeschichtet? Diese Fragen scheinen berechtigt zu sein angesichts aktueller Nachrichten. Erneut ist nämlich die Rede davon, dass der Bericht über die Funde im PN-Archiv, den Menschenrechtsprokurator Sergio Morales im März der Öffentlichkeit präsentiert hatte, zensiert worden sei (¡Fijáte! 434). Auch hier kennt Kate Doyle die Details, da sie die Vorversion des gedruckten Berichtes gelesen hat. Sie zählt die wesentlichen vier Aspekte auf, die im präsentierten Bericht fehlen. Aus ihr unerfindlichen Gründen - und selbst auf persönliche Nachfrage ihrerseits verweigerte Sergio Morales ihr die Erklärung - hat der Menschenrechtsprokurator, der in einem folgenden Interview klar äusserte, dass in dem Bericht stehe, was ER wollte, aus dem Originalbericht Informationen gestrichen die 1. in Verbindung stehen mit der Rolle, die die USA gespielt hat in Bezug auf die Finanzierung, Ausbildung und Ausrüstung der Nationalpolizei ab Mitte der 60er Jahre in der Absicht, die Polizei auf Aufstandsbekämpfungsoperationen auszurichten; die 2. in Zusammenhang stehen mit der Kontrolle, die das Militär über die Nationalpolizei ausgeübt hat, um diese einzubinden in die Strategien und Taktiken der Aufstandsbekämpfung, die mit roher Gewalt und unrechtmässig gegen das guatemaltekische Volk ausgeübt wurde; und die 3. aufschlussreich sind hinsichtlich der spezifischen Struktur und der Rangordnung der Offiziere in der Hierarchie der Nationalpolizei - darunter beispielsweise die explizite Nennung der ranghöheren Militärs, die das Verschwinden des Gewerkschafters und Studierendenführers Fernando García angeordnet haben. Und schliesslich wurde, so Doyle das komplette vierte Kapitel gestrichen, das eine tiefgehende Analyse von neun Fällen der Verletzung der Menschenrechte darbot, die alle von nationaler Bedeutung sind. Claudia Méndez Arriaza, die auch im Fall Gerardi involvierte Journalistin (siehe Hintergrundartikel), schreibt in der Tageszeitung elPeriódico, dass seit Anfang letzter Woche in DiplomatInnenkreisen und internationalen Geldgeberinstitutionen der PDH einige Briefe kursieren. Antonio González Quintana und Fina Solá, Mitglieder des Internationalen Beratungsstabs des Aufarbeitungsprojekts des PN-Archivs, sprechen in dem ihren von einer Krise, die das Menschenrechtsprokurat durchlaufe. Selbst seine engsten MitarbeiterInnen würden Prokurator Morales alles anerkennen, doch Fleiss und Ehrlichkeit gehörten nicht dazu. Ein Brief, geschrieben von Gustavo Meoño, der vormals Direktor des Archivprojekts war, dann jedoch zum Koordinator degradiert wurde, da die Direktion von der von Morales vorgeschlagenen Vizeprokuratorin besetzt werden sollte - ohne dass das jemals in der Öffentlichkeit bekannt wurde -, weist denn auch auf Fälle von Vetternwirtschaft, Scheinarbeitsplätze und, schlimmer noch, Fälle hin, in denen die Aufklärung von Menschenrechtsverletzungen blockiert werden. Wenige Tage zuvor hat die Menschenrechtskommission des Kongresses Morales bereits zu einer Aussprache zitiert, die möglicherweise in der Absetzung des Prokurators gipfeln kann. Anlass sind die Ermittlungsergebnisse des mutmasslichen Entführungs- und Vergewaltigungsfalls an Morales Gattin Gladys Monterroso (¡Fijáte! 436 und 437). Die Kongresskommission fordert nun die Untersuchungsberichte des Menschenrechtsprokurats, das seinerseits Ermittlungen in dem Fall angestellt hatte und deswegen von der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG), die sich des Falls angenommen hat, in Frage gestellt wurde. Die Untersuchungsergebnisse der PDH stellen derweil die Grundlage für die bisher einzige Festnahme eines Verdächtigen, Óscar Martín Gutiérrez Valle. Der zuständige Richter lehnte die von der CICIG wegen fehlender Beweise geforderte Freilassung von Gutiérrez inzwischen ab. Doch die Untersuchungen, die die PDH durchgeführt und veranlasst hat, scheinen nicht dem rechtlichen Prozedere zu entsprechen und sind möglicherweise als Beweismaterial nichtig. Die Internationale Kommission wurde unterdessen als Nebenklägerin im Prozess gegen Gutiérrez zugelassen. Was hingegen Gladys Monterroso dazu bewegt hat, sich an dem von der CICIG aufgedeckten Spiel zu beteiligen, unterliegt Spekulationen: Eine Version vermutet, sie habe sich zum Opfer machen wollen, um damit Aufmerksamkeit und die Finanzierung zur Gründung einer eigenen Stiftung zu erreichen, eine andere These meint, sie wolle ihr Gesicht bekannt machen, um bei den Wahlen in 2011 als Kandidatin zur Kongressabgeordneten für die Partei Encuentro por Guatemala anzutreten. Und eine weitere Hypothese bringt sie doch in Verbindung mit Sergio Morales, mit dem sie gemeinsame Kinder hat, fand die angebliche Entführung doch einen Tag nach Präsentation des PDH-Berichts über das PN-Archiv statt. Nach oben |
Miguel Ángel Sandoval berichtet im Diario de Centro América schliess-lich von weiteren dunklen Flecken, die die PDH belasten. Demnach werfen RegierungsfunktionärInnen der PDH mindestens ein schweres Vergehen vor: die Geheimhaltung von Informationen im Rahmen der Ermittlungen des Falls Rosenberg (¡Fijáte! 435 ff.), speziell vor der CICIG. Offenbar hielt die PDH eine Woche lang den Zeugen des Mordes an Anwalt Rosenberg zurück. Dieser hatte sich im PDH-Büro in Quetzaltenango gemeldet und später ausgesagt, die Patriotische Partei habe eine Bande von Auftragsmördern angeheuert, Rosenberg zu töten, doch dann habe die Partei einen Rückzieher gemacht und wollte die versprochene Gegenleistung nicht erbringen. Erwin Pérez macht in seinem Artikel in Incidencia Democrática vom 26. Juni dann das öffentlich, was sich mehr und mehr zum offenen Geheimnis entwickelt hat bzw. längst bekannt ist. Die Erklärungen für Morales Handlungen sind derweil rein politischer Natur. Pérez erinnert dabei an die Wiederwahl des Menschenrechtsprokurators im April 2007, die bereits damals begleitet war von einer Welle von Kritik in Bezug auf die wenig transparenten Umstände der Wahl. Dabei war die Rede von Stimmenkauf, Manipulationen, Lügen und politischen Geschäften, in denen nicht nur partielle und sektorielle Interessen im Vordergrund standen, sondern in deren Zuge auch das Verhältnis zwischen der Institution und den zivilgesellschaftlichen Menschenrechtsorganisationen ins Schwanken geriet. Morales wurde wiedergewählt, doch sowohl er selbst als auch die von ihm repräsentierte Institution erlitten erheblichen Reputationsschaden, von ihrer Legitimität nicht zu reden. In Folge der Wiederwahl war die Rückzahlung von Gefälligkeiten nicht zu übersehen. Von heute auf Morgen entliess Morales beispielsweise eine ganze Gruppe von MitarbeiterInnen und ersetzte sie durch ParteigängerInnen der Republikanischen Front Guatemalas (FRG), die entscheidend war für Morales Amtsweiterführung - und deren oberster Chef, Efraín Ríos Montt, einer der Hauptangeklagten wegen Genozids und einer lange Reihe von Menschenrechtsverletzungen während des internen bewaffneten Konflikts ist, entledigte sich somit eines möglichen Gegners. Und nun scheint ein weiterer pensionierter General, der eine aktive Rolle während des Konflikts innehatte, sich Morales zum Spiessgesellen gemacht zu haben: In zahlreichen Kreisen wird spekuliert, dass der Menschenrechtsprokurator Aspirationen hat, seinen aktuellen Posten als Katapult zu nutzen, sich für ein politisches Amt - potentiell gar als Kandidat für die Präsidentschaft, so wie es einer seiner Vorgänger, Ramiro de León Carpio 1993 mit Erfolg geschafft hat - aufstellen zu lassen. Und warum nicht für die Patriotische Partei? Die Geheimhaltung des Zeugen im Fall Rosenberg jedenfalls fiel eindeutig zugunsten dieser Partei aus. Doch angesichts der sich häufenden Skandale, die zudem publik geworden sind, und in denen Sergio Morales ganz offensichtlich persönlich involviert ist, schwimmen diesem derzeit die Felle davon. Alles deutet darauf hin, dass zumindest ausreichend Material vorhanden ist, Morales vor Gericht zu bringen. In Menschenrechtskreisen werden bereits Wetten abgeschlossen, ob er noch bis zum 7. oder doch bis zum 15. des Monats im Amt bleibt. Klar ist auch, dass die Liste der von ihm gedeckten Menschenrechtsverletzungen ohne Schwierigkeiten verlängerbar ist, steht er erst einmal am Pranger. In Bezug auf das Projekt des Nationalpolizeiarchvis ist indes die Rede davon, dieses dem Archivo General de Centroamérica zuzuweisen, dem Staatsarchiv, das zur Bewahrung des dokumentierten Erbes der Nation zuständig ist. Just in diesen Tagen wurde bekannt gegeben, dass dieses Archiv inzwischen auch im Internet zu besuchen ist, und zwar unter: www.archivogeneraldecentroamerica.com |
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