¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Gold und Wasser
Fijáte 439 vom 15. Juli 2009, Artikel 8, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Gold und Wasser
Sie beide sind möglicherweise die wichtigsten Elemente der Menschheitsgeschichte. Das Wasser ist unentbehrlich für das Leben; sein Mangel bedeutet unweigerlich Durst, Hunger und Tod - alle drei in schreckenserregenden Großbuchstaben geschrieben. Deshalb teilt das Wasser mit der Erde den Platz der dringlichsten menschlichen Bedürfnisse, den Ort, wo die Körper schmerzen, wo die Narben länger leben als das Vergessen, wo das zerrissene Fleisch schreit, wo Beleidigung Wut erzeugt, wo die unbegrabenen Knochen nie ruhen… Die menschliche Nische, in der das Wasser lebt, ist jene der wahrhaften Realitäten, die mit keinem Diskurs und mit keiner Repräsentation, so erhaben sie auch seien, erreicht werden kann. Gold kann man nicht essen, es hat keinen Wert an sich, sondern nur durch die Bedeutung, die wir ihm verleihen. Seinen Wert haben ihm die Kulturen verliehen, er ist reine Repräsentation. So kam es zum Beispiel, dass die Invasoren, als sie unser Land einnahmen, ihre Glasscherben gegen das Gold unserer Grossmütter und Grossväter eintauschten. Nicht weil diese ignorant gewesen wären, wie ich letzthin einen Lehrer zu seinen SchülerInnen sagen hörte, sondern weil das Gold in der Kultur unserer Grosseltern eine andere Bedeutung hatte: Es war Zierrat, ein Wert ohne Ertrag. Unsere Grosseltern waren nicht so verwirrt, dass sie verrückt nach Profit gewesen wären. Wie das Gold und das Wasser gab es auch schon immer zweierlei Sorten von Menschen: jene, erkrankt an alten Frustrationen, die sie bezwingen mussten, um sich als Jemand zu fühlen. Und jene, die damit in Ruhe leben konnten. Das Gold ist seit jeher Komplize der ersteren: Sie brauchten es, um sich der Illusion hingeben zu können, sie seien mehr und besser als die anderen. Denn Gold ist nur dies: ein täuschendes Metall. Ob dieser soziologischen Eigenschaft haben Wasser und Gold auf ihre Art jene zwei Grundtypen der Menschheit schon immer begleitet: jene, die auf reale Bedürfnisse reagieren, und jene, die Herrschaftsillusionen verfolgen. Dazu ein Beispiel: Die BewohnerInnen der Region, in der das kanadische Unternehmen Montana eine Goldmine betreibt, haben sich massiv und eindeutig in ihren Gemeindeabstimmungen gegen dieses Treiben ausgesprochen. Sie gaben zu verstehen, dass sie kein Interesse an dem lächerlichen Teil des Gewinns haben, den man ihnen verspricht, sondern dass sie nichts anderes wollen, als in Harmonie mit ihrem Wasser, ihren Bergen und ihren Wäldern zu leben. Montana solle gehe, solle aufhören, in ihrer Gegend noch mehr Zyanid-Lagunen zu fabrizieren, die pro Minute 150'000 Liter reines Wasser brauchen, gratis selbstverständlich. Die Bäuerinnen und Bauern dieser Dörfer verteidigen die Logik des Realen, der reinen und harten Notwendigkeit. Doch die Phrasendrescher des Goldes verstehen das nicht und geben sich auch keine Mühe. Einerseits reden sie davon, dieses unwürdige eine Prozent des Gewinnabwurfs an die Gemeinden zu erhöhen, und auf der anderen Seite befürchten sie, dass diese Erhöhung die "Interessen des Staates gefährden" könnte. (Welch patriotische Hellseher, die Abgeordneten der Kommission für Energie und Minen! Wie hoch sind wohl die Beträge auf den Schecks, welche ihnen Montana unter dem Tisch zuschiebt?) Kürzlich sagte mir eine Frau, als ein Lastwagen voll abgefülltem Wasser vorbeifuhr: "Mich hat man noch gelehrt, dass Wasser ein Segen und ein Geschenk der Mutter Erde sei (gratis, fügte ich hinzu). Weshalb kommen sie jetzt mit ihren Lastwagen und wollen uns das Wasser verkaufen?" Dies ist genau das Dilemma: Handelsware oder kostenloser Segen? Ein Dilemma, das weitere hervorruft: Phrasendrescherei oder Realismus; Herrschaft oder Harmonie; Gewalt oder Respekt. Das Gold oder das Wasser. Ist es etwa nicht die Aufgabe des Staates, das Leben und die Gesundheit seiner BürgerInnen zu schützen? Weshalb richtet man denn nicht Reinigungssysteme ein, damit wir das Wasser unserer Berge trinken können? Bezahlen wir etwa keine Steuern? Weshalb verwandeln die Unternehmer das Wasser, das allen gehört, in ihr privates Gold? Nach oben |
Die Phasendrescher der Herrschenden konstruieren Diskurse und verdrehen sie nach Lust und Laune. Dasselbe machen sie mit dem, was sie "Prinzipien und Werte" nennen, und mit der Doktrin der Menschenrechte und der Religionen. Um ihre Herrschaft zu rechtfertigen, verwechseln und verdrehen sie alles. Je mehr Verwirrung umso besser: Ihr Spielfeld ist die Verworrenheit. Und darin wickeln sie ihre Scharlatanerie ein; ihre Kunst der Mehrdeutigkeit. "Gott oder das Gold der indischen Inseln - worauf wetten wir?", fragte herausfordernd Bartolomé de las Casas. Erst gestern, um nicht zu weit zurückgehen zu müssen, konnten wir in der Zeitung lesen, dass die Damen und Herren Putschisten in Honduras das Vaterunser und ein Avemaria beteten, während der verfassungsmässig gewählte Präsident entführt wurde, weil er von dieser "populistischen" Besessenheit befallen war, eine Volksbefragung durchführen zu wollen. Was ist das Problem: die Demokratie oder die Privilegien der Oligarchie? - Besser wir verdecken diese Frage mit einem Vaterunser und alle werden sehen, wie schön es sein wird, dachten sich wohl die honduranischen Abgeordneten. Ich schliesse mich der Kampagne an, welche fordert, eine Strasse nach Giovanni Fratti zu benennen, der mit galliger Offenheit der bewundernswerten Journalistin Marielos Monzón gegenüber in voller Körpergrösse die Leute seiner Kaste dargestellt hat: Jene nie ausgerotteten Todesschwadronen der Partei MLN aus der Zeit der "organisierten Gewalt", jene "intellektuellen" Neoliberalen der Universität Francisco Marroquín, jene des famosen Projekts "ProReforma". Fratti enthüllt uns ohne Untertreibung seinen identitätsstiftenden Slogan: "Mit Blut und Blei" - gegen jene, die sich in den Weg stellen, den Pedro de Alvarado von neuem beschreitet. Oh ja, da kann ich nur sagen: Bravo, widmet ihm eine Strasse! Während sich die politischen Analysten darüber streiten, ob Guatemala ein gescheiterter Staat ist oder nicht, leben die Menschen weiter, Tag für Tag, Schritt für Schritt, Traum für Traum, und richten sich ein Leben ohne Staat ein, der, seit er "übernommen" wurde, ohnehin nicht mehr der ihre ist. Sie leben wie Wasser, Tropfen für Tropfen, pausenlos gehetzt von den blutrünstigen Besoffenen des Goldes. |
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