Korrupte Polizei und Remilitarisierung?
Fijáte 449 vom 2. Dezember 2009, Artikel 1, Seite 1
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Korrupte Polizei und Remilitarisierung?
Kriminalität, Mord und generelle Unsicherheit, Korruption sowie ständige Wechsel in den Reihen der Zivilen Nationalpolizei (PNC) und im Innenministerium (MINGOB) - all dies sind Gründe, über die Rolle und Fähigkeit der PNC zu reflektieren, wie dies Crosby Girón und Iduvina Hernández im Newsletter El Enfoque, Nummer 4, herausgegeben von El Observador, tun. Dies und eine Analyse der Mitteilungen aus den öffentlichen Medien ergeben ein ziemlich katastrophales Bild der PNC. In die Notwendigkeit, die Reihen der PNC zu säubern, wurde oft insistiert. Dieser Prozess war auf gutem Weg zu Zeiten, als Adela Camacho de Torrebiarte Innenministerin war, doch seine Weiterführung wurde durch die ständigen Wechsel im Innenministerium und aufgrund dessen extremer Instabilität auch in den höheren Rängen der PNC verhindert. Diese Instabilität ist nicht nur eine Charakteristika der Regierung Alvaro Coloms, auch zu Zeiten Oscar Bergers wurden Polizei- und Regierungsmitglieder schwerer Delikte angezeigt. Ein Beispiel ist die Ermordung von drei salvadorianischen Parlamentariern und ihrem Fahrer durch mehrere Polizeiagenten einer Eliteeinheit. Die Situation verkomplizierte sich, als die festgenommen Beamten anschliessend in einem Gefängnis maximaler Sicherheitsstufe durch Todesschwadronen hingerichtet wurden, welche ihrerseits mit überraschender Leichtigkeit in die Haftanstalt eindringen konnte. In Anbetracht der Ereignisse ist es nicht abwegig, die Rolle der PNC und der Gefängnisse bezüglich ihrer Aufgabe, die Sicherheit des Bevölkerung zu garantieren, zu hinterfragen. Es verwundert auch nicht, dass das Geschäft mit der Sicherheit enorm gross ist und legale private Sicherheitsfirmen jährlich mehr als 1,2 Milliarden Quetzales in Rechnung stellen. Desgleichen verzeichnet auch der Staat gewaltige Ausgaben für Sicherheit: das MINGOB verfügt über ein Budget von 2 Milliarden Quetzales und dasjenige des Verteidigungsministeriums liegt bei jährlichen 1,3 Milliarden. Korruption und Personalwechsel in PNC und MINGOBSeit dem Regierungsantritt von Alvaro Colom gingen einige KommentatorInnen sogar soweit, von einer "Parade" zu sprechen angesichts der häufigen Wechsel im MINGOB und in der PNC. Im Innenministerium sass die schon erwähnte Adela Camacho de Torrebiarte, welche durch Juan Luis Florido ersetzt wurde (bekannt als Verantwortlicher einer parallelen Machtstruktur mit genug Einfluss, um gerichtliche Prozesse zu beeinflussen). Als Nächster kam Vinicio Gómez ins MINGOB, der "sauberer" war als seine Vorgänger, aber in einem mysteriösen Flugzeugabsturz tödlich "verunglückte" (einem erfahrenen Piloten ging nach 40 Minuten Flug der Treibstoff aus …). Der Fall wurde bis heute nicht aufgeklärt, aber es wird gemunkelt, dass er krimineller Natur sei. So kommen wir zu Francisco Jiménez, der in einem Kontext von hoher Gewalt und vermehrten Ermordungen von Busfahrern im MINGOB übernahm - und versagte. Daher tauchte nun Salvador Gándara auf, Ex-Sicherheitswachmann und gläubiger Evangelist, der in die Politik eingestiegen ist und Bürgermeister einer der gewalttätigsten Städte Guatemalas (Villa Nueva) war. Er schaffte es innerhalb seiner Amtszeit, die professionell und effizient arbeitende Einheit der Investigation für Menschenrechte aufzulösen. Ein anderer Schachzug Gándaras war es, die aktuellen Polizeichefs abzusetzen, unter anderem die Direktorin Marlene Blanco Lapola, eine erfahrene Polizistin und die Schwester des derzeitigen Vorsitzenden des Friedenssekretariats (SEPAZ). Laut Iduvina Hernández von der Organisation Demokratische Sicherheit (SEDEM) ist "die Ernennung Gándaras wohl auf die Ausübung von Druck zurückzuführen: einerseits aus persönlichen Gründen wie im Fall der Ehefrau des Präsidenten, die ihrerseits ebenso an die Interessen gewisser Personen gebunden ist, z.B. an diejenigen von Gándara selbst oder auch von Luis Mendizábal. Letzterer sorgte auf ziemlich direkte Weise dafür, dass Gándara Minister wurde, wenige Monaten bevor er selber den Präsidenten verriet (man erinnere sich an den Fall Rosenberg: Es war Luis Mendizábal, der an der Beerdigung von Rosenberg dessen Video unter die Leute brachte, auf dem dieser den Präsidenten und seine Gattin für seine Ermordung verantwortlich machte Die Red.). So gelingt es Gándara, im Juni 2009 verschiedene Wechsel in der PNC zu erwirken, welche er einen Monat vorher durch Änderungen im Polizeireglement vorbereitet hatte. Nun ist eine Gruppe von Leuten in den Führungspositionen der PNC, die mehr oder weniger direkt in den Diebstahl von über 100 kg Drogen verwickelt ist und auch schon Einträge im Führungszeugnis bzw. laufende Ermittlungsprozesse am Hals hat. (...) Gándara beendete letztendlich seine Amtsperiode katastrophal und wurde substituiert. Das Bedauerliche für die guatemaltekische Gesellschaft sind dabei nicht nur die neun verlorenen Monate, sondern auch die Auswirkungen, die dies auf den Reformierungsprozess der PNC genommen hat. Dieser wird nun um mindestens zwei Jahre verzögert, da innerhalb der Strukturen der PNC verschiedene Mafias präsent sind. (...) All das kommt jenen zu Gute, die gegen die Regierung sind. Eine wichtige Frage, die sich im Laufe der die vergangenen Jahre immer wieder gestellt hat, ist das Gesetz bezüglich des Eintritts von Personen in die Polizeiinstitution, die keine Polizeikarriere haben. Die Regierung Portillo (2000-04) ermöglichte dies, musste aber wieder zurückkrebsen. Gándara ändert dann den Artikel der Polizeireglementierung über die interne Weiterbildungen, die nötig ist, um in höhere Positionen zu wechseln. Damit können wiederum aussenstehende Personen in der PNC Führungspositionen übernehmen. Daraus resultierte, dass die Direktorin Marlene Blanco Lapolo versetzt und eine Bande von Verbrechern, angeführt vom neuen Polizeichef Porfirio Pérez Paniagua, ernannt wurde. Und die jetzt von den Autoritäten gesucht werden." Mitte November wurde bekannt, dass Porfirio Pérez Paniagua wahrscheinlich ein Netz zum Drogendiebstahl erschaffen hatte. Dies kam ans Licht, als am 6. August ca. 100 kg Kokain gestohlen wurden und 350'000 beschlagnahmte Dollar verschwanden. Das führte zur Suspendierung von Pérez Paniagua am 10. August, der mittlerweile seit dem 28. August inhaftiert ist. Ebenso beteiligt sind andere hohe Kader der PNC. Sieben zum Teil Ex-PolizeibeamtInnen wurden am 12. November festgenommen, gegen vier weitere sind Haftbefehle ausgestellt. Neuer Polizeichef ist nun Baltasar Gomez. Was die "reine Weste" von PolizistInnen betrifft, sind die oben genannten Vorkommnisse keine Einzelfälle. So berichtete das Menschenrechtsprokurat (PDH) Anfang September, dass allein in diesem Jahr 69 Ermittlungen gegen PolizeibeamtInnen, -chefs und -büros eingeleitet wurden. In den meisten Fällen geht es um Missbrauch von Autorität, illegale Verhaftungen, Aggressionen, Gewalt gegen Minderjährige, aber es gab auch Anzeigen innerhalb der PNC wegen Missachtung von Arbeiterrechten. Ende Oktober wurde bekannt, dass Mitglieder der PNC Schmugglerbanden informieren, wenn Polizeikontrollen anrücken, um illegale Waren zu beschlagnahmen. So gesehen, ist der Kampf gegen Straflosigkeit auch ein Kampf um die Ausmerzung von Korruption in den Reihen der PNC und dem Justizsystem. In diesen Bemühungen spielt die Internationale Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) eine wichtige Rolle und verhalf zu einer gewissen Säuberung der Polizei. Nach oben |
Unsicherheit und RemilitarisierungDie Situation des Landes analysierend, stellt Iduvina Hernández fest, dass "wir zur Zeit geschwächte zivile Sicherheitskräfte haben, begleitet von einem Anstieg von Gewalt, was ein Ausdruck der Konsolidierung des organisierten Verbrechens ist. Dies wird auch so weitergehen, wenn die Kräfte, die für die Sicherheit der BürgerInnen verantwortlich sind und Verbrechen durch Kriminalermittlung bekämpfen sollen, dermassen unfähig sind. Seit längerem bestehen wir auf der Notwendigkeit, eine polizeiliche Einheit zu kreieren, die sich auf kriminelle Investigation spezialisiert. Dass dies nicht durch die bestehenden Polizeiabteilungen geschehen kann, ist klar, da sie selbst nicht über jeden Zweifel erhaben sind. Sicherlich wird die Erschaffung einer solchen Spezialpolizei nicht von heute auf morgen geschehen, sondern das dauert mindestes vier Jahre. Grundvoraussetzung ist aber der Wille, Verbrechen zu bekämpfen." Positiverweise wurde am 22. Oktober eine Gesetzesinitiative eingereicht, die eine Einheit für kriminelle Ermittlung erschaffen soll. Iduvina Hernández sieht in der Schwäche der zivilen Sicherheitskräfte auch den Grund für die Vorantreibung der Militarisierung des Landes: "Diese Schwäche hat viel mit der verlorenen Glaubwürdigkeit und dem fehlenden Vertrauen in die PNC zu tun. Die Medien übertreiben es dann noch und bekräftigen damit den Ruf nach militärischer Unterstützung. Das Verlangen nach Militarisierung kommt dem Stockholmsyndrom gleich, das die guatemaltekische Gesellschaft befallen haben könnte. Vor einigen Jahrzehnten war die Gesellschaft dem Terror ausgesetzt, herbeigeführt durch ethnischen und politischen Genozid, welcher durch die Militärapparate des Staates ausgeführt wurde. Das damals verursachte Trauma wurde nie aufgearbeitet, so dass die gleiche Gesellschaft wieder nach dem Militär ruft - eine Institution, die eh immer präsent war und für einen Teil der kriminellen Aktivitäten verantwortlich ist." Freilich wird das Verlangen nach Militarisierung nicht von allen BürgerInnen geteilt. Anfang Oktober demonstrierten verschiedene Organisationen in Ixcán, Quiché, gegen die Wiedereröffnung eines Militärstützpunktes in der Region, da es an die Geschichte und Massaker des internen bewaffneten Konflikts erinnern und alte, nicht geheilte Wunden öffnen würde. Die indigene Anführerin Reina Caba bekräftigte, dass die Regierung das Gebiet remilitarisieren möchte, um Sicherheit zu schaffen. Allerdings müsste dies durch die Erhöhung der Zahl der PolizistInnen geschehen und nicht durch SoldatInnen. Vielmehr diene die Militarisierung dazu, Kontrolle über das Gebiet der Franja Transversal del Norte zu erhalten sowie über andere Regionen, in denen der Staat seinen Einfluss verloren hat. Dies wird offiziell als Grund für die Wiedereröffnung von Militärstützpunkten angegeben. Interessanterweise liegen die neun bereits wieder eröffneten Stützpunkte nicht in den am stärksten von Gewalt betroffenen Gebieten. Die Förderung des Militärs durch die Regierung ist mittlerweile eine Tatsache: Anfang September versprach der Präsident, die Zahl der SoldatInnen von 15'000 auf 25'000 zu erhöhen, um die Kapazität der Armee wiederzuerlangen und das "nationale Territorium zu kontrollieren". Gegenstimmen argumentieren, dass gemäss der Friedensabkommen die Stärkung des Militärs nur dann geschehen darf, wenn nationale Bedrohung oder internationale Konfrontation bestehen. Ansonsten müssten die zivilen Kräfte und das Justizsystem gestärkt werden. Trotzdem berichtete die Zeitung Prensa Libre am 6. Oktober dieses Jahres, dass eine Milliarde Quetzales dem Budget der Armee zusätzlich zugesprochen werden sollen. Auch erhielt die Armee 150 Anfragen für eine Wiedereröffnung von Militärstützpunkten, hauptsächlich in der Hauptstadt, aufgrund der hohen Kriminalitätsrate. Militär zu verlangen, ist laut der Organisation Incidencia Democrática unlogisch, da SoldatInnen nicht für die Erhaltung der Sicherheit, sondern für Krieg ausgebildet sind. Das Gefühl der Sicherheit, welches vermittelt wird, wenn man SoldatInnen in den Strassen sieht, ist also trügerisch. Die Militärpräsenz ist ausserdem ohne Polizeipräsenz unnütz, da die SoldatInnen nicht befähigt sind, Verhaftungen durchzuführen. Dass die Sicherheit vom Militär nicht garantiert werden kann, zeigt auch das Beispiel des Stützpunktes von San Juan Cotzal, Departement Quiché: Am 4. Februar zur Unterstützung der PNC eröffnet, schloss der Stützpunkt am 7. November, nachdem ein Polizeibeamter von BürgerInnen gelyncht wurde und die Sicherheit der SoldatInnen nicht gewährleistet werden kann. Einschränkungen der PNCDie PNC verzeichnet reelle personelle und materielle Einschränkungen. Im Departement Guatemala kommt einE PolizistIn auf 14'608 EinwohnerInnen. Über 3000 PolizistInnen machten ihren Abschluss bis November 2009, doch gab Marlene Blanco zu, dass die neuen RekrutInnen nicht ausreichen, um die Sicherheit zu garantieren. mobile Patrouillen haben kein Benzin, Motorräder sind defekt, und einige Polizeistationen funktionieren ohne Telefon, Wasser oder Strom. Dazu kommen mickrige Löhne, welche Korruption geradezu fördern und teilweise für Munition und Uniform ausgegeben werden müssen. Das Budget der PNC wurde um 289 Millionen Quetzales gekürzt. Wie die CICIG bestätigt, fehlt den BeamtInnen das entsprechende Profil oder sie sind in Verbindung mit kriminellen Vereinigungen und somit unfähig, für Sicherheit zu sorgen. Im Gegenteil, vermehrt werden PolizistInnen angegriffen: allein am 9. Oktober gab es fünf bewaffnete Überfälle auf Mitglieder der PNC. Polizeibüros, die vor ihren Türen Sandsäcke zum Schutz aufstapeln, sind ebenso kein Einzelfall. Das Vorgehen der PNC wird auch dadurch geschwächt, dass jeder Regierungswechsel Änderungen in den Arbeitsplänen erfordert. Dies und andere Reformierungen des Gesetzes der Polizeilichen Institution von 1997 wird seit Ende September an einem runden Tisch zwischen PolitkerInnen, sozialen Organisationen und RepräsentantInnen der PNC besprochen. Es sollen Reformvorschläge bis spätestens Anfang 2010 erarbeitet werden. Ebenso soll verhindert werden, dass ein Anwalt oder eine Anwältin DirektorIn der Polizei werden kann, wie dies zur Zeit möglich ist. Auch die Verbesserung in der Ausbildung und die Würdigung der Polizeiarbeit sei von Nöten. Laut Regierung werden sogar chilenische Carabiñeros eingeladen, um in der Polizeiorganisation zu helfen. 2010 werden zwei neue Polizeischulen eröffnet, die ihren Schwerpunkt auf die Ermittlung in Fällen von Raub, Entführung und Mord legen. In Anbetracht der Mordrate, die im September auf täglich 20 Opfer stieg, was, neben anderen Gründen, auf die häufigen Wechsel in der Polizeiführung zurückzuführen ist, erscheint die Reformierung und Modernisierung der PNC unumgänglich. |
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