Urteile im Fall Xamán gefällt
Fijáte 192 vom 25. Aug. 1999, Artikel 2, Seite 2
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Urteile im Fall Xamán gefällt
Guatemala, 14. August. In der längsten Hauptverhandlung in der Geschichte der guatemaltekischen Justiz ist ein Urteil gesprochen worden: Der Leutnant Antonio Lacán Chaclán, der die Militärpatrouille befehligte, sowie weitere 25 Soldaten wurden zu 4 und 5 Jahren Gefängnis verurteilt für das Massaker, das sie am 5. Oktober 1995 in der Rückkehrgemeinde "Aurora 8 de Octubre" begangen hatten. Dabei wurden 11 Personen getötet sowie 25 weitere verletzt. Die Verhandlungen hatten sich seit Beginn als sehr komplex erwiesen. Anfang dieses Jahres hat sich Rigoberta Menchú als Nebenklägerin zurückgezogen mit der Begründung, sie wolle nicht an dieser juristischen Farce teilhaben. Dies, nachdem verschiedene Beweise und Zeugenaussagen "verschwunden" waren und ihre Anwältin vom Gericht sanktioniert wurde. Am Tag der Schlussverhandlung haben rund 600 Personen vor dem Gericht in Cobán, Alta Verapaz, für einen Freispruch der Angeklagten demonstriert und Parolen wie "nieder mit dem Kommunismus" gerufen. Über der Stadt drehte ein Helikopter Runden und warf Flugblätter ab - zur Unterstützung der Angeklagten. Der anklagende Staatsanwalt, Alejandro Muñoz, forderte die Todesstrafe: Es sei eindeutig bewiesen, dass die 11 Personen aussergerichtlich hingerichtet wurden. Der Verteidiger der Militärs forderte 2 Jahre Haft. Dies sei keine aussergerichtliche Hinrichtung gewesen, sondern "Totschlag unter Einfluss einer gewalttätigen Stimmung". Das Urteil lautete: 4 bzw. 5 Jahre Gefängnis wegen fahrlässiger Tötung (oder umgewandelt in eine Kaution von 5 Quetzales pro Tag, was ein Total von rund 1400 US-$ macht). Die Verurteilten reagierten gelassen auf das Urteil. Einige lachten, während andere seelenruhig die Verfassung lasen. Kurz vor der Urteilsverkündung sagte Lacán Chaclán, er bedauere den Tod der Bauern und Bäuerinnen. Das Blutbad sei jedoch nicht von den Militärs ausgegangen. Es sei ihnen verboten gewesen, sich dem Dorf anzunähern, die BewohnerInnen hätten sie gewaltsam dorthin gebracht. Verschiedene Menschenrechtsorganisationen reagierten mit Empörung auf das Urteil: Estela López, bis anfang Jahr Anwältin der Nebenklägerin Rigoberta Menchú, meint, das Urteil sei zwischen den Richtern und dem Militär ausgehandelt worden. Man könne nicht von Totschlag sprechen, wenn die Opfer unbewaffnete Frauen und Kinder seien. Karen Fischer von der Allianz gegen Straffreiheit meint, das Urteil sei eine Schande für die guatemaltekische Justiz. Doch solch unverhältnissmässige Urteile würden nicht in erster Linie mangels beruflichem Ethos der RichterInnen gesprochen, sondern weil diese unter Druck gesetzt würden. In diesem Fall hätten die Angeklagten das Militär im Rücken. Nach oben |
Für Helen Mack, Leiterin der Fundation Myrna Mack, ist das ein Beispiel für eine neue Form von Straflosigkeit. Zwar werde ein Prozess geführt mit Beweissammlung und Zeugenaussagen. Doch hinter der Bühne gingen die Machenschaften vor sich und würde Druck ausgeübt, was ein unabhängiges Vorgehen verunmögliche. Die Straffreiheit regiere weiterhin, einfach in ein neues Mäntelchen gekleidet. Die Koordination der Nichtregierungsorganisationen und Kooperativen (CONGCOOP) bezeichnet das Urteil als eine Verletzung des Andenkens an die Opfer und als eine Beleidigung für die Hinterbliebenen. Sie hofft, dass das Urteil widerrufen wird. Der Erzbischof Próspero Penados de Barrio bedauert das Urteil. Er wisse selber nicht mehr, wem er die Schuld geben soll. Auch die Soldaten hätten nur Befehle ausgeführt. Ein Beweis dafür, dass es keine Gerechtigkeit gibt, ist für ihn der Rückzug von Rigoberta Menchú aus dem Prozess. Rigoberta Menchú selber hat in einem Pressecommuniqué ihre Enttäuschung über das Urteil bekanntgegeben (siehe nächste Seite). Das Militär habe während der ganzen Zeit Kontrolle über den Prozess ausgeübt. Nur deshalb sei es auch möglich gewesen, die Verhandlungen vom Militär- in ein Zivilgericht zu verlegen. Auch wenn sie als Nebenklägerin zurückgetreten sei, werde sie die erforderliche Zeit in den Prozess investieren. Von den 625 im Bericht der Wahrheitskommission dokumentierten Massaker sei Xamán der einzige Fall, wo es bisher zu einer Gerichtsverhandlung gekommen sei. Menchú fordert ausserdem den Rücktritt des Staatsanwaltes Alejandro Muñoz Pivaral, sowie die Anfechtung des Urteils. Muñoz Pivaral äusserte sich verärgert über die Forderung Menchús. Rigoberta habe keinerlei Befugnisse, das Urteil zu kritisieren, da sie "ihre Leute" auch im Stich gelassen habe, als sie sich als Nebenklägerin zurückgezogen hat. Die Staatsanwaltschaft hat am 18. August bekanntgegeben, dass sie das Urteil anfechten werde. |
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