Die verlorene Rache
Fijáte 227 vom 24. Jan. 2001, Artikel 1, Seite 1
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Die verlorene Rache
Dies ist der Titel des Buches von Rodrigo Rey Rosa, das im letzten Herbst auf deutsch erschienen ist. Rey Rosa gehört zu den jüngeren AutorInnen Guatemalas, die über die Landesgrenze hinaus bekannt sind. Im Oktober 2000 erhielt Rey Rosa für sein Werk 'La orilla africana' (Das afrikanische Ufer) den guatemaltekischen 'Quetzal de Oro', den Preis für das beste Buch des Jahres. Rey Rosa verliess Guatemala 1979, nicht aus explizit politischen Gründen, wie er selber sagt, doch mit der Idee, nicht mehr zurückzukommen. Er lebte mehrere Jahre in New York und liess sich dann, inspiriert durch seine Freundschaft mit dem Schriftsteller Paul Bowles, in Marroko nieder. 1993 kehrte er nach Guatemala zurück. Heute ist er Mitbesitzer des alternativen Kinos 'La Cupula' und widmet sich ausschliesslich dem Schreiben. Peter Schneider hat 'Die verlorene Rache' gelesen und für die ¡Fijáte!-LeserInnen besprochen. Am 17. Januar 2001 war Rodrigo Rey Rosa zu einer Lesung in Zürich. In diesem Rahmen fand auch das nachfolgende Interview statt. Kein geringerer als Altmeister Gabriel García Márquez hatte erst kürzlich in einem 450-seitigen Wälzer die letzte Entführungsaktion des kolumbianischen Drogenbosses Pablo Escobar dokumentiert, als 1996 Rodrigo Rey Rosas Kurzroman 'El cojo bueno' ('Die verlorene Rache') erschien. Diese Entführungsgeschichte aus Guatemala ist jetzt beim Rotpunktverlag auf Deutsch herausgekommen. Die Konjunktur des Themas entspricht einer gesellschaftlichen Realität, in der ein Verbrechen, das Angst erzeugt, wie dies wohl nur noch Mord, Folter oder Vergewaltigung vermögen, an der Tagesordnung ist. Einen Hauch dieser Angst können wir bei der Lektüre mit einatmen. (Wie die Hauptfigur des Romans, Juan Luis Luna, der mit seiner Familie und Herkunft längst gebrochen hat, gehörten wir ja automatisch zur potenziell bedrohten Oberschicht.) Um Geld zu beschaffen für den bewaffneten Widerstand liess sich früher auch die URNG Entführungen zu Schulden kommen. Im Jahre des Friedensvertrages schildert Rey Rosa nun ein gemeines Verbrechen ohne jede politische Motivation, ausgeheckt von ein paar elenden Würstchen, die am Ende selbst zu den Verlierern zählen. Die Kritik am Fortdauern der Gewalt spricht aus der Geschichte selbst: Sie braucht nicht artikuliert zu werden. Für einmal geht es nicht um vertriebene campesinas und campesinos (Indígenas tauchen höchstens kurz als Dienstmädchen auf): Zwischen den Episoden entsteht das Bild einer verrohten, erstarrten und perspektivlosen urbanen Klassengesellschaft, in der Gewaltbereitschaft und Abgebrühtheit die Gemeinsamkeiten abzugeben scheinen zwischen arm und reich. In der direkten, schnörkellosen Sprache, die all das lautstark verschweigt, es bloss in hingeworfenen Bemerkungen sowie der Wortwahl der Personen antippt, gerät die Schilderung des Tatherganges des Verbrechens zu einem Stück Prosa von ausserordentlicher Dichte und Intensität, wie sie im weiteren Verlauf des Buches nie mehr ganz erreicht wird. Doch immerhin beinahe. Und der geschickte Einsatz von Rückblende, Szenenwechsel, Perspektivumkehrung würde jedem Kriminalfilm Ehre machen. Am besten konsumiert sich die Story auch wie ein solcher: In einem Zug. Bedeutsam, wie im Film, ist auch der szenische Hintergrund: Mit sparsamsten Federstrichen entsteht er laufend so detailgetreu, dass, wer manche Örtlichkeiten selber kennt, am liebsten dort verharren und erinnern möchte, während die Handlung unaufhaltsam weiter läuft. Auch wo sie sich vorübergehend ins Ausland verlagert, ist offensichtlich, dass der Autor dort gewesen ist. Nach oben |
Zu sehen sind allerdings kein Atitlán-See und kein Urwald von Tikal: Die verstopften Verkehrsachsen der Hauptstadt, eine verlassene Tankstelle am Rande der Agglomeration, das Provinznest Salcajá - das sind die schäbigen Schauplätze der schäbigen Tat. Der grossartige Ausblick auf die Antigua umrundenden Vulkane ist gerade mal zum Pinkeln gut. Wie die Konstruktion des Thrillers es verlangt, müssen sich die Wege der Beteiligten wieder kreuzen - und sei es in der Ferne - damit die Täter von Ihrer Vergangenheit wieder eingeholt werden, das Opfer aber diese endlich hinter sich lassen kann. Es ist kaum möglich, hier nicht auch einen Fingerzeig auf die Forderung nach Aufklärung der Verbrechen während des Bürgerkrieges zu erblicken. Der Roman wurde vor der Einsetzung der beiden Wahrheitskommissionen und vor der Ermordung Erzbischof Gerardis geschrieben. Aber Aufklärung und auch Straflosigkeit waren ja längst heisse Themen, als das Friedensabkommen vom Dezember 1996 noch verhandelt wurde. Der Weg, den der durch das Verbrechen gezeichnete Juan Luis Luna nach der Konfrontation mit der "Wahrheit" (Die Person mit dem bezeichnenden Decknamen Hasenohr beschönigt immer noch), aus dem Dilemma «Rache oder Vergebung» findet, ist durchaus menschlich. Er dürfte überdies einem besser Gestellten leichter fallen, als einer Mehrheit der GuatemaltekInnen, aber es ist gewiss auch kein versöhnlicher: Abgrundtiefe Verachtung. pida Rodrigo Rey Rosa: 'Die verlorene Rache'; aus dem Spanischen von Erich Hackl, Rotpunktverlag, Zürich 2000, 126 Seiten Original: 'El cojo bueno', Santillana, Madrid, 1996 |
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