Die Sololatéc@s lassen sich nicht kaufen (Teil II)
Fijáte 270 vom 9. Okt. 2002, Artikel 1, Seite 1
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Die Sololatéc@s lassen sich nicht kaufen (Teil II)
Alfonso Guárquez Ajquichí ist als Korrespondent der Nachrichtenagentur CERIGUA für das Departement Sololá zuständig und berichtet im folgenden zweiten Teil des Interviews von seinen Erfahrungen und seinen Einschätzungen der aktuellen Situation in Sololá. Dabei geht es vor allem um die sololatekische Realität der Menschenrechte und ihrer VerteidigerInnen, zu denen Alfonso als Journalist in gewisser Weise auch gehört. CERIGUA stellt u.a. täglich ihre Nachrichten per E-mail zur Verfügung und verbreitet ihre Informationen im Land selbst v.a. über die (kommunalen) Radios. Frage: Ein wichtiges Thema ist die Einhaltung bzw. die Verletzung der Menschenrechte. In verschiedenen Orten, und vor allem in der Hauptstadt, sehen sich die VerteidigerInnen dieser Rechte tagtäglich mit der Gefahr um ihr eigenes Leben konfrontiert. Ich habe erfahren, dass in den letzten Wochen auch Büros von CERIGUA überfallen worden sind. Wie sieht die Situation der MenschenrechtsaktivistInnen eher in der ländlichen Umgebung aus? Gibt es überhaupt viele von ihnen hier? Alfonso: Ja, auf jeden Fall. Noch vor kurzem erhielt einer der BeraterInnen der Defensoría Indígena ständig Morddrohungen. Man rief ihn immer wieder per Telefon an und teilte ihm mit, dass man ihn mitsamt seiner Familie umbringen wolle. Diese Drohungen fingen Anfang diesen Jahres an, und dauern immer noch an. Eines Nachts klopften sie sogar an seine Haustür. Mit Hilfe von CERIGUA wurde dieser Fall veröffentlicht und gleichzeitig um internationale Solidarität und Unterstützung unter anderem von Amnesty International gebeten. Ausserdem wurde Personenschutz beantragt, die Nationale Zivilpolizei (PNC) bewacht also jetzt sein Haus. Und natürlich wurde von der Regierung gefordert, dass sie die Verantwortlichen verurteilt, die sich zu der Tat bekannt haben. Dies ist eigentlich Aufgabe der Staatsanwaltschaft. Vor kurzem erzählte mir jene Person, Olívio Paz Pal - er ist der Berater der Defensoría Indígena - dass die Staatsanwaltschaft dabei war, seinen Fall zu den Akten zu legen. Und noch schlimmer: Die Behörde hat keinerlei Untersuchung durchgeführt. Daran kann man einmal mehr die Unfähigkeit und das Desinteresse der Funktionäre dieses Regierungsapparates erkennen. Laut dem, was mir der Betroffene erzählt hat, liegt der Fall jetzt wohl total auf Eis. Das ist also ein Beispiel hinsichtlich der Menschenrechte... Auch der Vertreter der staatlichen Ombudsstelle für Menschenrechte hier in Sololá hat Morddrohungen erhalten. Derzeit ist eine Kampagne gegen diesen Mann im Gange, die zum Ziel hat, ihn aus dem Departement zu schaffen oder aber ihn zumindest zum Schweigen zu bringen kann. Trotz alledem ist er noch hier und wir hoffen sehr, dass das so bleibt. Ich persönlich bin der Meinung, dass er hier gute Arbeit geleistet hat. Gerade deswegen hat er auch so viele Drohungen bekommen. Das bedeutet nämlich, dass er wirklich gearbeitet und die verschiedenen Fälle der Menschenrechtsverletzungen hier im Departement an die Öffentlichkeit gebracht hat. Aber auch mit dem nahenden Wechsel des Leiters der Ombudsstelle für Menschenrechte bleibt eine gewisse Unsicherheit in Hinblick auf das, was mit dem hiesigen passieren wird. (Unterdessen fand dieser Wechsel statt. Der neue Ombudsmann ist Sergio Morales Alvarado, die Red.) Das ist die eine Seite. Auf der anderen kann ich berichten, dass sich Anfang des letzten Jahres hier in Sololá ein juristisches Team formiert hat, das sich für die Verteidigung der Rechte der indigenen Völker einsetzt. Derzeit ist es mit einem Fall der Verletzung der kollektiven Rechte an einem für Indígenas heiligen Ort in San Pedro La Laguna am Atitlán-See beschäftigt. Leider lief die Finanzierung des Projektes Ende Juni aus, so dass das Team gerade an einem unsicheren Punkt steht, ob der Prozess weiterläuft oder nicht. Denn eigentlich stünde jetzt die Präsentation des Falles an. Aber all diejenigen, die in die Arbeit involviert sind, sind auf der Suche nach finanziellen Mitteln. Deshalb stehen die Mühlen im Moment still, obwohl das Projekt wirklich eine tolle Möglichkeit wäre, etwas zu erreichen und zu fordern. Konkret wäre dies die Erfüllung der Friedensabkommens über die Identität und der Rechte der Indigenen Völker und der Konvention 169 der Arbeitsorganisation (ILO) über die indigenen Völker. Aber im Moment habe ich keine Ahnung, was daraus wird. Ich hoffe natürlich, dass sie weitermachen. Frage: Auch JournalistInnen sind oft Zielscheibe von Drohungen. Wie gehst Du als persönlich mit dieser Situation um? Alfonso: Bueno, andere KollegInnen haben echte Probleme bekommen, aber ich persönlich habe keine grösseren Schwierigkeiten gehabt. Jedoch versuchen bestimmte Sektoren der Gesellschaft, denen es nicht gefällt, dass das publiziert wird, was passiert, mich einzuschüchtern und versuchen auch, zu verhindern, dass so manches bekannt wird. Das war zum Beispiel mit einer Kommission innerhalb der indigenen Bürgermeisterei der Fall, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Anwendung des Gewohnheitsrechts zu überwachen. Aber offensichtlich hatten ihre Vorgesetzten innerhalb der Bürgermeisterei weniger Interesse an dieser Aufgabe, als an parteipolitischen Aktivitäten. Das gefiel der Bevölkerung nicht. Ausserdem waren im letzten Jahr die Hilfsbürgermeister aller Gemeinden Opfer der Diskriminierung und Ausschliessung von Entscheidungen der Bürgermeisterei geworden. Daraufhin lehnte sich die Bevölkerung dagegen auf und kam zu mir. Also veröffentlichte ich, was passiert war. Aber den verantwortlichen Leuten innerhalb der Bürgermeisterei gefiel dies nicht und sie bedrohten mich, dass, wenn ich weiterhin solche Informationen verbreiten würde, sie nicht wüssten, was passieren wird. Ich habe den Fall vor die Staatsanwaltschaft gebracht, aber bis jetzt wurde absolut nichts getan. Dabei handelt es sich in diesem Fall um die Einschränkung der Meinungs- und Denkfreiheit. Vor kurzem bin ich sogar körperlich angegriffen und getreten worden, und ich habe ebenfalls Anzeige bei der Staatsanwalt erstatten - mit dem gleichen "Erfolg": Keine Reaktion. Frage: In einem Deiner Artikel sprichst Du im speziellen die Verletzung der Menschenrechte in Sololá in Bezug auf das staatliche Krankenhaus und die Sicherheitskräfte an ... Alfonso: Oh, ja. Erst gestern habe ich eine Untersuchung abgeschlossen, die CERIGUA in Bezug auf die Gesundheitssituation, v.a. der Frauen, durchgeführt hat. Die Schwere der Problematik in diesem Bereich ist offensichtlich. Im ganzen Departement gibt es elf funktionierende Gesundheitsstationen für neunzehn Gemeinden und zwei Gesundheitszentren für jeden dieser Verwaltungsbezirke. Eine kritische Situation allein in dieser Hinsicht. Nach oben |
Bezüglich der Gesundheitsversorgung speziell schwangerer Frauen sieht das dann so aus: hier ist das grösste Problem die Unterernährung und schwere Anämie. Laut der durchgeführten Untersuchung, bzw. laut der Angaben der Verantwortlichen, liegt dies vor allem am Mangel "humaner Ressourcen"; mit dem gekürzten Haushalt durch das Gesundheits- und Sozialhilfeministerium kann eine regelmässige Gesundheitsversorgung nicht gewährleistet werden. Und dazu die ständige Einmischung von Seiten des FRG-Abgeordneten vor allem in den Gesundheitseinrichtungen. Nach meinen Informationen hat er den Direktor des Krankenhauses in gewisser Weise dazu gezwungen, zu kündigen. Dieser, Constantin Sánchez, war nicht bereit, der Forderung nachzukommen, dass er und sein Team den 10. Teil ihres Gehaltes an die Partei bezahlen sollten, was inzwischen in vielen Bereichen üblich ist. Ausserdem hat es der Abgeordnete geschafft, sowohl einen Militär als Geschäftsführer als auch seine eigenen Familienangehörigen in das Krankenhaus einzuschleusen, obwohl sie vielleicht gar keinen Ahnung von der Sache haben. Die allgemeine krankenhäusliche Versorgung ist völlig defizitär: Die Leistungen sind viel zu langsam und schwerfällig, um die Bevölkerung angemessen zu betreuen. Da ist eine hohe Kinder- und Müttersterblichkeit kein Wunder. Im Bildungssektor ist es das gleiche. Anfang dieses Jahres hat das Erziehungsministerium weder die Erhöhung der Anzahl der Unterrichtsklassen noch die des Haushaltes autorisiert. Lediglich in den Fällen, in denen LehrerInnen mit Vertrag eingestellt werden konnten, gab es eine Angleichung an die Bedürfnisse. Und gerade hier wurden wieder einmal diverse Verletzungen der Individual- und auch Arbeitsrechte begangen. Denn die interessierten LehrerInnen mussten, um die Stelle zu bekommen den bereits erwähnten "10." abdrücken. Ich will nicht wissen, was die FRG mit dem ganzen Geld bereits angestellt hat... Dahinter steckt der Departements-Gouverneur. Er und der FRG-Kongressabgeordnete sind es, die die LehrerInnen ernennen. Dem departementalen Bildungsdirektor fehlt jegliches Mitspracherecht. Dieser erzählte mir einmal, dass er der ganzen Willkürlichkeiten müde sei und bereits seine Kündigung eingereicht hatte. Aber offensichtlich wurde diese nicht akzeptiert. Frage: Und in Hinblick auf die Sicherheitskräfte? Alfonso: Im Zusammenhang mit den Sicherheitskräften spreche ich direkt von der Zivilen Nationalpolizei (PNC), die ständig ihre Autorität missbraucht und sowohl individuell als auch kollektiv Verletzungen der Menschenrechte begeht. Es passiert oft, dass sie Personen festnehmen, die keine Verbrecher sind, nur weil sie den Beamten nicht gefallen. Diese Situation ist ziemlich schwerwiegend. Der hiesige Menschenrechtsombudsmann hat bereits Anzeige gegen die Hauptverantwortlichen dieser Verletzungen erstattet und hat beim Regierungsministerium beantragt, dass dieses ein Auge auf die Funktionsausübung der PNC werfe. Aber, wie nicht anders zu erwarten, geht es weiter mit der Unfähigkeit und der Ineffizienz in den Aktionen der PNC. Wenn sie gerufen wird, kommt sie - wenn überhaupt - eine halbe oder gar zwei, drei Stunden später an den Tatort und unternehmen dort nichts. Hier greift die Bevölkerung im Vergleich zu anderen Departements nicht oft zur Selbstjustiz. Es gibt einige Organisationen, die ziemlich viel mit der Bevölkerung gearbeitet haben und diese erfolgreich sensibilisiert haben. Aber ich befürchte, dass dies nicht lange anhält, denn es gibt immer wieder genug Gründe, sich über die PNC und das Justizsystem zu Recht aufzuregen. Hoffentlich behält die Bevölkerung die Ruhe, irgendwann muss die PNC einfach ihre Aufgabe entsprechend erfüllen. Frage: Gibt es neben dem Gesundheits- und dem Bildungssektor und den Sicherheitskräften noch weitere Punkte, in denen hier in Sololá die Friedensabkommen nicht erfüllt werden? Alfonso: Ja, auf jeden Fall. Ich denke da vor allem an die sozialen Einrichtungen und Sozialfonds, die inzwischen leider völlig politisiert worden sind. Und auch hier sind die, die diese Fonds verwalten oder die Autorisierung dafür geben, in welcher Gemeinde welches Projekt realisiert wird, der FRG-Kongressabgeordnete und der Gouverneur des Departements. Ich beziehe mich direkt auf den Nationalen Friedensfond (FONAPAZ), den Fonds für soziale Investitionen (FIS) und den Fond für die Indigene Entwicklung (FODIGUA). Vor allem letzterer stellt derzeit ein Problem dar. Laut Kommentaren hat ihm die Regierung oder besser gesagt der Staat für dieses Jahr keinen Haushalt zugewiesen, der die geplanten Projekte von 96 Mio. Quetzales decken könnte. Kein Wunder, geschieht nichts! Alfonso, vielen Dank für das Gespräch! |
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