Die sozialen Bewegungen und die Wahlen
Fijáte 279 vom 26. Feb. 2003, Artikel 1, Seite 1
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Die sozialen Bewegungen und die Wahlen
Miguel Sandoval arbeitet als Berater von CALDH, des Zentrums für juristisches Vorgehen in Menschenrechtsfragen, das u.a. die Klagen führt gegen die für schwere Menschenrechtsverbrechen verantwortlichen guatemaltekischen Politiker und Militärs, von denen viele, wie etwa der grausame Ex-Diktator Ríos Montt, nach wie vor in der guatemaltekischen Politik aktiv sind. Als langjähriges Mitglied der Guerilla URNG war Sandoval Teil der Verhandlungskommission und am Abschluss des Friedensabkommens 1996 beteiligt. 1997 trat er aus der in eine Partei umgewandelten URNG aus, da er zu einem Minderheitenflügel gehörte, der auf die Stärkung der sozialen Bewegungen setzte. So sollte der notwendige Druck erzeugt werden, um die Durchsetzung der ausgehandelten Abkommen zu forcieren. Allerdings setzte sich eine Mehrheit durch, die der Ansicht war, die Realisierung der Abkommen habe in einer Situation des "sozialen Friedens" höhere Chancen. Seit 1997 hat Miguel Sandoval zahlreiche soziale Kämpfe begleitet und an ihnen teilgenommen. Im Folgenden ein Ausschnitt aus einem Interview, das Dario Azzellini mit Miguel Sandoval geführt hat. Bei den Wahlen 1999 hat die extreme Rechte abgesahnt, während die Linke nicht die erhofften Resultate erzielen konnte und die URNG bei etwa 10 Prozent lag. Für die kommenden Wahlen ist zu befürchten, dass die FRG den Ex-Diktator Ríos Montt aufstellt, während die URNG zerstritten ist und sich auch sonst keine Linke Alternative abzeichnet. Wie kommt es, dass die extreme Rechte um Ríos Montt, nach ihrer bisherigen katastrophalen Regierungszeit so hoch pokert und die Linke schweigt? Das ist sehr schwer zu begreifen und hat verschiedene Ursachen. Die guatemaltekische Gesellschaft ist zutiefst konservativ, auch wenn es schwer fällt, dies anzuerkennen und zu akzeptieren. Und die ärmliche demokratische Tradition Guatemalas führt dazu, dass klientelistische und auf Caudillos, Führer, ausgerichtete politische Organisationen nach wie vor viel Gewicht haben. Hinzu kommt die spärliche Verankerung der Linken als Partei. Denn zugleich sind ja alle sozialen Bewegungen im Land von Linken initiiert und getragen, aber eben nicht von den Parteilinken. Das relativiert etwa die Frage hinsichtlich der gesellschaftlichen Verankerung der Linken in Guatemala. Während die Verankerung der Parteilinken sehr schwach ist, ist die der sozialen Linken sehr stark. Es existiert eine Spaltung zwischen beiden und das ist ja auch ein Thema, welches in den vergangenen Jahren auf dem ganzen Kontinent diskutiert wurde. Erst wenn es gelingt, diesen Dualismus zu überwinden, werden wir einen bedeutenden Erfolg in Wahlergebnissen erleben. So lange dies nicht der Fall ist, bleibt die Handlungsfähigkeit der Parteilinken marginal. Viele der wesentlichen AktivistInnen sozialer Bewegungen sind Mitglieder oder ehemalige 'Kader' der URNG. Warum schafft es die URNG nicht, dies in politisches Kapital für sich umzumünzen? Wie wird innerhalb der URNG diskutiert, und warum hat sie kaum Einfluss auf eine öffentliche Debatte? Das Fehlen einer politischen Debatte innerhalb der URNG ist das Hauptproblem. Wie kam die URNG als Linke in diese schwierige Situation, in der sie sich heute befindet? Der Ursprung liegt meiner Ansicht nach in einer Fehldeutung der eigenen Rolle nach Unterzeichnung der Friedensabkommen. Das Grundproblem ist, dass die Ex-Guerilla-Linke nicht in der Lage gewesen ist, sich von vertikalen, in vielen Fällen autoritären, politisch-militärischen Organisationen in breite, demokratische politische Organisationen umzuwandeln. Darüber wurde zwar wenig diskutiert, aber es spielt eine große Rolle. Die URNG hat nach Unterzeichnung des Friedensabkommens eine falsche Entscheidung getroffen. Denn auch wenn sie Partner der Regierungspartei beim Friedensprozess und Unterzeichnung der Friedensabkommen war, hätte sie danach eine andere Dynamik auslösen und die Erfüllung der Friedensabkommen einfordern müssen. Sie hätte soziale Kräfte mobilisieren müssen, um Druck auszuüben und das ist nicht geschehen. Das ging so weit, dass in einigen Sektoren im ersten Halbjahr 1997, also nach Unterzeichnung der Abkommen, der Eindruck bestand, die URNG habe mit der amtierenden Regierung einen Pakt abgeschlossen, der ihr die Hände gebunden hatte. Die amtierende Regierung der PAN hat einer neoliberalen Umgestaltung den Vorzug gegeben, anstatt sich zuerst an die Umsetzung der Abkommen zu machen. Die URNG hat darauf nicht energisch reagiert, sondern alles zugelassen und so ihr Profil als Oppositionspartei verloren. Heutzutage ist die URNG - neben der Tatsache, dass es sich um die historische Linke handelt, die die Friedensabkommen unterschrieben hat - nicht als Oppositionspartei in der Gesellschaft wahrzunehmen. Das ist schwer anzuerkennen und erklärt auch die internen Probleme. Im November sind Wahlen, welche Perspektiven hat die URNG, wird es im schlimmsten Fall vier verschiedene Ex-URNG-Parteien geben? Nach oben |
Viele Leute hegen die Hoffnung einer Wiedervereinigung der parteipolitischen Linken, einer grösseren Flexibilität, um Brücken zu anderen Sektoren zu bauen, aber das geschieht nicht. Das ist ein Problem, denn obwohl Guatemala eine konservative Gesellschaft ist, gibt es Raum für eine Linke, sie hätte viele Möglichkeiten, müsste dafür aber vor allem den Vertikalismus beiseite lassen, der sie prägt, sich nicht mehr gegenüber ausserparteilichen Sektoren taub stellen und eine wirkliche Oppositionsrolle einnehmen. Wenn es einen Einheitsprozess gäbe und Verbindungen zu den sozialen Bewegungen aufgebaut würden, könnte dies der Linken eine Perspektive geben. Sie würde die Wahlen nicht gewinnen können, aber doch wichtige Stimmenanteile bekommen. Dafür sehe ich allerdings wenig Chancen, ich denke, wir werden eine gespaltene Linke bei den Wahlen sehen, die mit ihren kleinen Streitigkeiten beschäftigt sein wird - zur Freude und zum Vorteil der Rechten. Damit wird die Linke fünf bis sechs Prozent der Stimmen bekommen, mehr nicht. Die guatemaltekischen Parteilinken glauben die Gralshüter des linken Denkens zu sein und verstehen nicht, dass die Linke ein politisches, soziales und kulturelles Phänomen ist. Alles was nicht parteipolitisch ist, wird nicht gesehen, nicht anerkannt, ausgeschlossen, während das Parteipolitische ohne den Rest kein grosses Gewicht hat. Die Linke als soziale Erscheinung im breiteren Sinne, als Weltsicht, als Prozess, der die gesellschaftliche Transformation zu mehr Gleichheit, Gerechtigkeit usw. sucht, wird in Guatemala als exklusives Parteieigentum gesehen und hat so keinen grösseren sozialen Einfluss. Ich nenne das "die kleinen Kirchen der Linken", die keine gesellschaftliche Projektfähigkeit haben und daher auch keine Entwicklung durchmachen. Nehmen wir als Beispiel das Foro de Sao Paolo hier in Guatemala im Dezember 2002. Eine Versammlung diesen Kalibers hat auch hier grosses Interesse geweckt, zugleich war die Unfähigkeit der organisierten Linken, dem Ganzen eine gewisse Ausstrahlung zu verleihen und sie zu nutzen, wirklich bemerkenswert. Jenseits davon, dass die Presse konservativ ist und sie die Linke nicht mag, existiert eine bedeutende Eigenverantwortlichkeit dafür, dass das Ereignis nicht das entsprechende Echo gehabt hat. Ich habe an verschiedenen Foren teilgenommen und in keinem war die Ausstrahlung so gering, wie hier in Guatemala. Unglücklicherweise, denn in allen Ländern des Kontinents wird sich auf das Treffen in Antigua bezogen, ausser in Guatemala. Dies, obwohl das Foro de Sao Paolo im Vergleich zu den 90er Jahren heute deutlicher linke Positionen bezieht, weniger sozialdemokratische Beteiligung und dafür mehr von linken Bewegungen zeigte... Ja, Anfang der 90er war der Fall der Berliner Mauer noch sehr frisch, der Neoliberalismus befand sich im Vormarsch und die Linke vermeintlich in der Defensive. Heute ist die Niederlage des Neoliberalismus deutlich zu sehen und folglich werden wieder viel mehr Erwartungen an linke Optionen gestellt. Dennoch gibt es Länder, wie eben Guatemala, wo es nicht gelungen ist, diese Entwicklung zu sehen, zu begreifen, dass der Neoliberalismus keine Option mehr darstellt und wie die Ansätze der Linken - befreit von einem Haufen alter Dogmen - eine Option für die Zukunft ist. Nach einer Phase in der es darum ging, dass die Linke nicht verschwindet, befinden wir uns heute in einer Situation, in der die Linke weltweit Räume erobert. In verschiedenen Formen und mit unterschiedlichen Komponenten, eine Linke, die weniger mit den alten Schemata verknüpft ist, aber letztlich eine Linke, die eine Transformation in die Richtung auf die Tagesordnung setzt, wie sie immer schon historisch von der Linken verfolgt wurde. Es wird offensichtlich nicht mehr der Sozialismus mit der gleichen Vehemenz wie früher vertreten, aber eben eine Transformation, mehr Gleichheit, die Abschaffung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, also die Wurzeln der sozialistischen Idee. So ist die Linke nicht nur nicht verschwunden, sondern die einzige Option, die wir haben. Nicht nur in Lateinamerika, wenn ich mir z.B. Italien anschaue... das Pendel schlägt heute wieder in die Gegenrichtung. Auch wenn das in Guatemala noch nicht sichtbar ist, aber hier kommt immer alles zehn Jahre später. Wie ist die Situation in den 13 Gemeinden, die von der URNG kontrolliert werden? Ist dort eine andere Politik spürbar? Gibt es dort eine stärkere Unterstützung der URNG? Die URNG hat dort die Bürgermeisterwahlen gewonnen, mehr nicht. Sie hatte bestimmt ein Interesse, dort ein alternatives Modell zu schaffen, doch das ist nicht geschehen. Die kontinuierliche Beschwerde der Bürgermeister betrifft die mangelnde Unterstützung seitens der Parteistrukturen. Daher wird der Sieg bei den nächsten Wahlen dort nicht mehr so leicht wie beim ersten Mal sein. Es gibt zu wenig Anzeichen eines alternativen Projekts, einer anderen Art Politik zu machen, eines starken Engagements der politischen Institutionen. In Brasilien z.B. entwickelte die PT in einigen Gemeinden den partizipativen Haushalt, das gab den Kommunen der PT - nicht in allen - aber doch in vielen Fällen, eine eigene Note. In Guatemala gibt es kein Merkmal, das die Kommunalpolitik der Linken charakterisiert, wo sie die Bürgermeisterämter besetzt. Das ist ein bisher ungelöstes Problem, leider, denn es hätte eine andere Verwaltung entwickelt werden können, es hätte von diesen Gemeinden eine Gestaltungsweise ausgehen können, die auf andere abfärbt, aber das ist nicht der Fall. |
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