Lesbenbefreiung: Teil einer neuen Nation?
Fijáte 280 vom 12. März 2003, Artikel 1, Seite 1
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Lesbenbefreiung: Teil einer neuen Nation?
Samantha Sams ist lesbische Feministin und Mutter, Teilzeitforscherin lesbischer Identitäten und Mitbegründerin von Lesbiradas. Als gebürtige Kanadierin ist sie von Herzen Internationalistin, lebt seit über sechs Jahren in Guatemala und engagiert sich in der internationalen Solidaritätsarbeit. Der folgende Artikel über lesbische Identität und die Organisationsformen ist in der Herbstausgabe 2002 des Report on Guatemala von NISGUA erschienen. Wir veröffentlichen ihn anlässlich des 8. März, des Internationalen Frauenrechtstages. In der guatemaltekischen Öffentlichkeit existieren Lesben kaum. Und genau so unsichtbar sind Lesben in Guatemalas Geschichtsschreibung, Erziehung und Mythologie. Wenn überhaupt wahrgenommen, werden Lesben als Produkt einer ausländischen Krankheit dargestellt, als Symptom von bourgeoiser Dekadenz oder als verdrehte Perversion der Natur. Sie sind der Gegenpol zur sozial akzeptierten dienstfertigen Frau, deren Sexualität sich nach dem Willen der Männer richtet. Dennoch, trotz feindseliger Umgebung und sozialer Normen zeigen sich autonome lesbische Aktivistinnen in Guatemala immer mehr, widersetzen sich Stereotypen und kämpfen für ihre Rechte und Sichtbarkeit. Lesbiradas ist das erste Kollektiv bekennender Lesben in der Geschichte Guatemalas, das den rechtlichen Status einer Nichtregierungsorganisation erhielt. Diese auf Freiwilligenarbeit basierende Organisation kratzt am guatemaltekischen Konservatismus, da sie gegen das Justizsystem kämpft, Allianzen mit der sozialen Bewegung schliesst, die Öffentlichkeit informiert und Verhaltensformen proklamiert, welche Respekt für alle Menschen einfordern. Lesbiradas definiert sich als feministische Organisation und engagiert sich zentral für die Menschenrechte sexuell anders orientierter Menschen. Somit kämpft Lesbiradas in erster Linie für die Rechte der Lesben, sieht sich aber auch als Teil einer breiteren Bewegung, die für die Akzeptanz anderer guatemaltekischer Identitäten entlang von Geschlecht, Ethnie und Klasse, und deren Schutz vor dem Gesetz kämpft. Sexuelle Vielfalt und MenschenrechteDie grosse Mehrheit ignoriert in Guatemala die Existenz von Lesben, Schwulen und Transvestiten. Von der Kirche werden sie als SünderInnen, von der Durchschnittsbevölkerung als 'unproduktiv' und 'gefährlich' abgestempelt, oder im besten Fall paternalistisch bemitleidet. Historisch waren sie immer wieder Opfer von Schwulenhetze, Vergewaltigung und Mord oder aber anerkannte Zielscheibe von grausamen diskriminierenden Witzen. Sexuelle Minderheiten leben in der ständigen Angst, ihre Identität könnte von ihren ArbeitgeberInnen erkannt werden oder es könnte ihnen wegen ihrer sexuellen Orientierung die gemietete Wohnung oder das Haus gekündigt werden. Viele sind so regelmässig Missbrauch und Angriffen ausgesetzt. Die Ermordung von Transvestiten durch paramilitärische Gruppen ist in Guatemala Stadt stets präsent, genauso wie die Belästigung von 'offensichtlich' Schwulen, Lesben und Transvestiten durch die Zivilpolizei. Zu den üblichen Belästigungen gehören das Erheben von Bestechungsgeldern, physische Brutalität, sexueller Missbrauch, Folter und systematische Vergewaltigung. Das guatemaltekische Rechtssystem zeigt sich unfähig oder uninteressiert, Anklagen entgegenzunehmen, zu bearbeiten oder als Menschenrechtsverletzungen zu verfolgen. Fehlendes Vertrauen in die Justiz, Angst vor Wiederholungstätern und mangelnde Erfahrung im Rechtsstreit machen die Opfer noch verletzbarer. Die Straffreiheit für Täter hinterlässt ein Gefühl der Machtlosigkeit, das einen zerstörerischen Einfluss auf die schwul-lesbische Community ausübt und die Zusammenarbeit mit MenschenrechtsaktivistInnen zusätzlich erschwert. Organisation gegen WidrigkeitenWährend die Frauen- und die Indígenabewegung in Guatemala schon lange sichtbar sind, fehlt dem Kampf um das Recht für sexuelle Selbstbestimmung noch immer die Anerkennung. Erst die Ermordung eines transvestiten Sexarbeiters, der sich in der Aids-Prävention und als Menschenrechtspromotor engagierte, zwang die Gay-Bewegung zu ersten Schritten für die Verteidigung eigener Menschenrechte. Die Erschiessung von María Conchita 1997 war Teil einer Säuberungskampagne im Zentrum von Guatemala Stadt gegen Schwule, Transvestiten, SexarbeiterInnen, Strassenkinder, Obdachlose, Gangs und andere sogenannt 'Unerwünschte'. In der Folge wurde eine Mahnwache abgehalten, die Zeitungen berichteten über den Vorfall und zum ersten Mal demonstrierten Mitglieder der Homosexuellenbewegung öffentlich gegen die Gewalt, der sie ausgesetzt sind, und forderten Respekt für ihre sexuelle Wahl ein. Viele Schwule, vor allem aus der Mittel- und Oberschicht, bleiben aber sehr zurückhaltend im Menschenrechtsdiskurs, weil sie fürchten, er hätte den Beigeschmack von Subversion und sie weigern sich, eine explizite Rolle in der Verteidigung von sexuellen Minderheiten zu spielen. Dennoch besteht eine beträchtliche Anzahl von Schwulen, Lesben und Transvestiten auf der Notwendigkeit, sich und andere bezüglich ihrer Rechte weiterzubilden, Allianzen mit anderen Bewegungen einzugehen und das Thema der sexuellen Vielfalt öffentlich zu machen. In den letzten zwei Jahren gewannen somit Lesben, Schwule und Transvestiten nicht nur in den Basisbewegungen an Bedeutung, sondern auch in der Presse und im sozialen Bewusstsein. Treffen und Workshops mit Angestellten aus dem Polizeiwesen wurden organisiert, Empfehlungen an den Menschenrechtsombudsmann abgegeben, es gelangten Interviews in Radio und Presse, dazu kamen zwei Demos zum Gay Pride Day und Lobbying in Arbeitsrechtsgruppen. Gleichzeitig wurden Beziehungen zu internationalen Lesben- und Schwulenorganisationen geknüpft, aber auch zu Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International. Gegen DiskriminierungLesbiradas, die HIV-Präventions-Organisation OASIS, Rompiendo Fronteras (eine Gruppe von Schwulen aus der Unterschicht) und das Transvestiten-Kollektiv CATS haben mit einem Gesetzesentwurf gegen Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierung mittlerweile auch in politisch progressiven Kreisen an Beachtung gewonnen. Dieses Gesetz beabsichtigt, eine legale Basis gegen Homophobie und Diskriminierung in Guatemala zu schaffen. Es schliesst weder die Möglichkeit homosexueller Ehen, noch eine neue Immigrationsgesetzgebung für Homosexuelle mit ein. Es beabsichtigt vielmehr Veränderungen im Erziehungs-, Gesundheits- und Justizsystem und versucht, gleiche Behandlung für alle - unabhängig von ihrer sexuellen Identität - gesetzlich zu verankern. Es verlangt auch vom Staat, Sicherheitskräfte, StaatsanwältInnen und andere Schlüsselstellen und -figuren in der Regierung auf sexuelle Diskriminierung zu sensibilisieren. Nach oben |
Die InitiantInnen sind sich des langen Kampfes und der zu erwartenden Widerstände gegen die Einführung einer solchen Verfassungsänderung bewusst und haben AnwältInnen engagiert, die Langzeitstrategien entwickelt haben. Ausserdem verbreiten sie den Gesetzesentwurf in den verschiedenen Organisationen und versuchen Kongressabgeordnete für ihre Sache zu gewinnen, indem sie die Parteien mit Öffentlichkeitskampagnen in der Wahlperiode unter Druck setzen. Unterschiede zwischen den Organisationen, Unterstützung und Solidarität"Einheit in der Verschiedenartigkeit" ist einer der Slogans, der Schwule, Transvestiten, Transsexuelle, Bisexuelle und Lesben verbindet und gleichzeitig die verschiedenen Bedürfnisse zum Ausdruck bringt. Männer und Frauen anderer sexueller Ausrichtung als der Heterosexualität werden in Schulen, Spitälern oder bei der Arbeit diskriminiert. Wegen der verstärkten Sichtbarkeit erleiden Schwule und Transvestiten mehr diskriminierende Witze, Schikanen und physische Übergriffe in der Öffentlichkeit. Lesben hingegen werden vorerst totgeschwiegen und existieren nur als sexuell stimulierendes Futter für heterosexuelle Männer, oder als Zielscheibe für sexuelle Anspielungen und Übergriffe durch Angehörige und Bekannte. Lesben und bisexuelle Mütter werden regelmässig die Kinder weggenommen, meist von vormaligen Partnern oder von Verwandten der Kindsväter. Die unterschiedlichen Diskriminierungsformen führen auch zu verschiedenen Organisationsformen jeder Identitätsgruppe. Transvestiten organisieren Sicherheits- und Unterstützungsnetzwerke gegen Polizeigewalt, Strassengewalt und generellen Missbrauch. Schwule Männer organisieren sich mehrheitlich rund um die HIV/AIDS- Präventionsarbeit, teilen sich aber auf in immer mehr Untergruppen: junge Schwule, schwule Arbeiter, linke Schwule, etc. Im gegenseitigen Kontakt bilden sie sich weiter, organisieren 'gay pride'-Demos und feiern ihre Vielfarbigkeit. Auch Bisexuelle und Transsexuelle fangen an, ihre Identitäten zu verteidigen, auch wenn sie sich bisher nicht in konkreten Interessensgruppen organisiert haben. Lesbenalltag und LesbenbefreiungNach Jahren von Schwerpunktstreitereien und vereitelten Versuchen, sich unabhängig von der Schwulenbewegung zu organisieren, haben es die Lesben mit Aktivitäten und Kampagnen geschafft, ihren Platz in der politischen Szene zu sichern. 1995 wurde die erste Lesbenorganisation gegründet, Mujeres Somos, und 1999 Lesbiradas. Für Lesben gibt es viele persönliche Hindernisse, sich zu organisieren. So etwa ein verinnerlichter Lesbenhass oder die Zersplitterung der Gesellschaft, die Kultur der Gewalt und die Angst, sich zu organisieren, in Erinnerung an den Krieg. Als psychische Folgen der Geheimhaltung, welche die Angst beinhaltet, Familie, FreundInnen, die Wohnung oder die Arbeit zu verlieren, leiden viele unter Depressionen, Paranoia und schlechter Gesundheit. Dazu kommen die Geschlechterunterdrückung ganz allgemein, die finanzielle Abhängigkeit von männlichen Familienmitgliedern oder Ehemännern und die Gefahr, die minimale Versorgung und den Unterhalt zu verlieren. Kollektive Hindernisse für die Organisation sind fehlende Finanzen und daher das Angewiesensein auf freiwillige Helferinnen, die nur beschränkt Zeit aufwenden können, um sie der Organisation zu widmen. Dazu fehlen die Räumlichkeiten, was wiederum die Schwierigkeit mit sich bringt, neue Frauen oder die Öffentlichkeit zu erreichen. Auch fehlen in Guatemala Modelle lesbischer Organisationen, auf die sich neue Gruppen beziehen könnten. All dies führt zu einer verstärkten Abhängigkeit von den Mitteln schwuler Organisationen. Zur Zeit arbeiten die Mitfrauen von Lesbiradas bei sich zu Hause. Sie treffen sich regelmässig, organisieren Anlässe und Aktivitäten und sammeln Geld, um ein eigenes Büro eröffnen zu können. In der Zwischenzeit, auch ohne eigenes Büro, verfolgt Lesbiradas ihre Aufklärungskampagnen weiter, um die Sichtbarkeit von Lesben in der guatemaltekischen Gesellschaft zu stärken. Unterschiede in der UnterschiedlichkeitRespekt und Wertschätzung von Unterschieden innerhalb der Lesbenbewegung sind Teil des Kampfes. Klassen- und Ideologieunterschiede führen immer wieder zu komplizierten und rigiden Trennungen in der Lesbenszene. Da Lesbiradas versucht, politisch progressiv Einfluss zu nehmen, bindet sie Lesben verschiedenster politischer Hintergründe und sozialer Schichten ein, mit dem Ziel, die Wertvorstellungen der Lesbenbewegung zu diskutieren und zu stärken. Die Gruppe ist sich der Notwendigkeit bewusst, mehr Kontakt zu Lesben aus ländlichen Gegenden, die meist in noch grösserer Isolation leben, aufzubauen. Während Indígenafrauen auch in Lesbiradas in der Minderheit sind, gibt ihnen die urbane Umgebung, im Gegensatz zur Realität ihrer Schwestern auf dem Land, doch relativ mehr Freiheiten. Persönliche Unterschiede bestimmen auch die politische Bandbreite der Lesbenbewegung. Alle müssen voneinander lernen, lesbische Mütter, behinderte und chronisch kranke Lesben, Maya-Lesben, Garífuna-Lesben, junge Lesben, arme Lesben, Lesben aus dem Hinterland, Lesben im Gefängnis, etc. Die Rolle der SolidaritätAktivistInnen für sexuelle Vielfalt werben um breite moralische und politische Unterstützung, Begleitung von MenschenrechtsaktivistInnen und finanziellen wie technischen Support für ihre Organisation und ihre Aktivitäten. Sie fordern die internationale Solidaritätsbewegung auf, die spezifischen Probleme von Lesben, Schwulen und Transvestiten ernst zu nehmen und in ihr Engagement für Menschenrechte zu integrieren. Vorurteile, Diskriminierung und Verbrechen aus Hass gegen Homosexualität sind weltweit verbreitet, genauso wie die Notwendigkeit, Kräfte über politische und kulturelle Grenzen zusammen zu schliessen im Kampf gegen die Vorherrschaft des Patriarchats. Friedensförderungsbestrebungen von guatemaltekischen Lesben und Schwulen sollen zusammen mit anderen Bewegungen mithelfen, eine neue und bessere Welt zu schaffen. |
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