Nach 13 Jahren: Guatemala vor Gericht
Fijáte 279 vom 26. Feb. 2003, Artikel 6, Seite 6
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Nach 13 Jahren: Guatemala vor Gericht
Guatemala, 21. Feb. In wenigen Monaten werden die RichterInnen des Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshofes (CIDH), die in der vergangenen Woche den mündlichen Prozess gegen den guatemaltekischen Staat im Mordfall der Anthropologin Myrna Mack Chang führten, wohl ihr endgültiges Urteil und das zugehörige Strafmass verkünden. Obwohl die Vertreter des guatemaltekischen Aussenministeriums sich bereits am zweiten Tag weigerten, der Anhörung in San José, Costa Rica, weiter beizuwohnen, wurde der Prozess wie geplant durchgeführt und der Staat Guatemala schliesslich wegen institutioneller Verantwortung und anschliessender Rechtsverweigerung im Fall Mack verurteilt. Myrna Mack arbeitete mit Vertriebenen im Departement Quiché und wurde am 11. September 2000 mit 27 Messerstichen umgebracht. Für den Mord wurde im Februar 1993 der ehemalige Oberfeldwebel Noel de Jesús Beteta zu 30 Jahren Haft verurteilt, 20 Jahre Gefängnis erhielt dagegen Oberst Juan Valencia Osorio am 3. Oktober 2002 für die intellektuelle Urheberschaft der Tat und die Verletzung des Rechts auf Leben von Myrna Mack. Zwei weitere Generalstabchefs des Präsidenten (EMP) sitzen wegen gleichlautender Anklage noch in Untersuchungshaft. Der Prozess gegen den Staat fand statt, da es im Mordfall Mack nicht ausreiche, im lokalen Umfeld nach den praktischen und intellektuellen Tätern des Verbrechens zu suchen, so die VertreterInnen der Stiftung Myrna Mack. Gerade in dieser Situation sei es angebracht, den Staat für die Unterstützung von Verbrechen und die Generierung von Straflosigkeit diesbezüglich zur Verantwortung zu ziehen. Zudem werde der Prozess die Mechanismen des Verdeckens und der Komplizenschaft zwischen Strukturen und Sicherheitsagenten des Staates in diesem Fall aufdecken, die der Absicht dienten, die Anwendung des Rechts und die Enthüllung von Details über die kriminellen Machenschaften des Staates zu verhindern. Sowohl der CIDH als auch die Familie Mack Chang sind davon überzeugt, dass entsprechende Beweise zur Genüge vorhanden sind. Kurzfristig versuchte Aussenminister Édgar Gutiérrez noch, über die Suspendierung des Prozesses zu verhandeln, indem er im Gegenzug die Anerkennung der (partiellen) Verantwortung des Staates im Fall Mack "anbot" und gleich zu den Entschädigungsverhandlungen mit der Familie schreiten wollte, doch der CIDH gab diesem nicht statt, sondern hörte die Zeugen und Sachverständigen an. Unter diesen waren die Schwester und die Tochter der Ermordeten Helen und Lucrecia Mack, die gleichzeitig die Anklage vertraten, der ehemalige Bischof von Quiché Julio Cabrera, sowie ein Zeitungsverkäufer, der über die Bewachung und Verfolgung der Anthropologin im Vorfeld des Mordes durch den EMP aussagte. Nach oben |
Zu den Forderungen der Anklage gehören neben der Verurteilung des Staates eine Reihe von Entschädigungen, die dieser zu leisten habe: das Vorantreiben von Reformen des Rechtsverwaltungssystems, die Transformation der Sicherheits- und Intelligenzapparate des Staates, die Auflösung des EMP, die Schaffung eines Stipendienfonds für Postgraduiertenstudien in Rechts-, Sozial- und Anthropologischen Wissenschaften, eine ökonomische Kompensation für die Familie des Opfers u.a.m.. Dass sich Staatsvertreter von einem initiierten Prozess vor dem CIDH zurückziehen, fand zum ersten Mal in der Geschichte dieses Tribunals statt. Von Seiten der Mack-Stiftung wurde die Entscheidung der Staatsvertreter als Versuch interpretiert, alles das in den vorherigen guatemaltekischen Anhörungen Erreichte zu negieren, in denen dem Staat bereits seine Verantwortung im Fall Mack zugesprochen worden war. Laut Myrnas Schwester Helen machte das Verhalten der guatemaltekischen Vertreter einen orientierungslosen, konfusen und inkohärenten Eindruck: auf der einen Seite akzeptierten sie eine gewisse Verantwortung, weigerten sich jedoch gleichzeitig, die Beweise, die die Anklagen gegen den Staat stützten, anzuhören. Damit zeigte die Regierung deutlich, dass sie weder die Wahrheit dieses Mordes hören, noch die in Guatemala existierende Rechtsverweigerung anerkennen will, so Mack. Mit dem Akzeptieren der "partiellen Verantwortung" glaubt die Regierung laut Pressemitteilung des Aussenministeriums, ihre Aufgabe erfüllt zu haben und bedauert, dass "die wirkliche Dimension des guten Willens des Staates hinsichtlich der Anerkennung von Menschenrechtsverletzungen durch seine Agenten nicht geschätzt würde". Der jetzige Aussenminister Gutiérrez, der eine fundamentale Rolle im Prozess zur Aufklärung des Todes von Myrna Mack spielte, befindet sich nun in der gegnerischen Position. Er war Mitbegründer der Mack-Stiftung, Schlüsselzeuge im Prozess um den Mord und privater Freund des Opfers. Gutiérrez kennt den Hintergrund der Ermittlungen nur zu genau, schliesslich arbeitete er sieben Jahre für die Stiftung und führte zudem eine Analyse der Staatsstrukturen und der Gründe für den Mord an der Anthropologin durch. |
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