Transmigration in die USA
Fijáte 288 vom 2. Juni 2003, Artikel 5, Seite 5
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Transmigration in die USA
Die Situation von MigrantInnen an der mexikanisch-guatemaltekischen Grenze Im Rahmen des Plan Sur verstärkt die mexikanische Regierung mit Hilfe der Vereinigten Staaten die Militarisierung und Abschottung der Südgrenze Mexikos. Eine Folge der repressiven Migrationspolitik ist der illegalisierte und unsichere Status von MigrantInnen. Mexikos Südgrenze trägt auch den Namen la frontera olvidada (,,die vergessene Grenze"), denn Menschenrechtsverletzungen an MigrantInnen finden in der Öffentlichkeit und Politik kaum Beachtung. Es sind hauptsächlich ZentralamerikanerInnen aus Guatemala, Honduras und El Salvador, die Mexiko durchqueren, um in den USA Arbeit zu suchen. William sitzt in blauen Shorts und mit nacktem Oberkörper in einem Rollstuhl. In den Händen hält er eine alte Gitarre. Mit Gesangbüchern will er sich die Griffe beibringen. Hier in der Herberge in Tapachula, einer Grenzstadt im Süden Mexikos, ist das Gitarrespielen seine einzige Beschäftigung geworden. Vor einem halben Jahr beschloss der 18-jährige Salvadorianer, seine Heimat zu verlassen und al norte - "in den Norden", die USA - zu reisen. Er wollte seinen Vater kennen lernen, der in den USA lebt und seine Familie verlassen hatte, als William zwei Jahre alt war. William träumte davon, in den USA Englisch zu lernen, um eines Tages in El Salvador als Englischlehrer zu arbeiten. Sein Traum endete an der Südgrenze Mexikos in einen Alptraum, der ihm beide Beine kostete. William ist einer von vielen ZentralamerikanerInnen, die ihre Heimat und Familien zurücklassen, um in die USA zu reisen und dort Arbeit zu suchen. In den letzten Jahren hat sich die Situation in den mittelamerikanischen Staaten Honduras, Guatemala, El Salvador und Nicaragua dramatisch verschlechtert. Durch Kriege zerstörte Lebensgrundlagen und grosse wirtschaftliche Not führen zu wachsender Armut. Besonders junge Menschen sehen keine anderen Zukunftsperspektiven als die Migration in die USA. Hohe Arbeitslosigkeit, ungerechte Landverteilung und geringe Absatzmärkte nehmen ihnen jede Hoffnung und Chance auf ein würdevolles Leben. Die meisten MigrantInnen planen, nur einige Jahre in den USA zu arbeiten und danach in ihre Heimat zurückzukehren. In den USA verdienen sie selbst als BilliglohnarbeiterInnen in einer Stunde mehr als in ihren Herkunftsländern an einem Tag. Gelingt ihnen die Reise in die USA, schicken viele regelmässig Geld an ihre Familien, die sogenannten remesas. Sie hoffen, nach ihrer Rückkehr aus den USA, mit dem angesparten Geld eine neue Lebensgrundlage in ihrer Heimat aufzubauen. Die meisten der MigrantInnen sind Männer. Allerdings stieg die Migration von Frauen und Minderjährigen in den letzten Jahren stark an. Viele Kinder machen sich allein auf den Weg zu ihren Eltern oder Verwandten in die USA. Mexiko wird auf ihrer Reise nur als Transitland genutzt. Das gesamte mexikanische Staatsgebiet erweist sich aber als das gefährlichste Hindernis für MigrantInnen. Im Interesse der USA sollen die Migrationsströme gestoppt werden, bevor sie die us-amerikanische Südgrenze erreichen. Daher ist von Seiten der mexikanischen Regierung eine anwachsende Repression in der Migrationspolitik zu verzeichnen. So versuchen die USA mit Hilfe der mexikanischen Regierung ihre Abschiebungspolitik nach Süden zu verlagern. Allerdings handelt es sich dabei lediglich um eine Regulierung der EinwanderInnen, die den USA einen Kontrollmechanismus ermöglicht. Denn die Wirtschaft der USA ist in hohem Masse abhängig von den billigen Arbeitskräften zentral- und südamerikanischer MigrantInnen, die in der Landwirtschaft, Industrie und im Dienstleistungsbereich tätig sind. Aufgrund ihres illegalisierten Status sind sie gezwungen, ungeschützte und unterbezahlte Arbeitsverhältnisse einzugehen. Seit Januar 2002 führt Mexiko mit finanzieller Hilfe der USA das Programm La Repatriación Segura (,,sichere Rückführung in die Heimatländer") durch. Es sieht vor, MigrantInnen, die ohne Papiere im mexikanischen Staatsgebiet aufgegriffen werden, zurück an die Grenzen ihrer Heimatländer zu bringen. An allen wichtigen Verkehrsstrassen in Mexiko befinden sich Kontrollstationen, die von der nationalen Migrationsbehörde, dem Instituto Nacional de Migración (INM) geführt und von Militär und Polizei unterstützt werden. Nach oben |
Im Jahr 2002 wurden mehr als 100´000 MigrantInnen im Rahmen dieses Programms aufgegriffen und abgeschoben. Im Zuge der verstärkten Abschiebungspolitik sind im Durchschnitt etwa acht bis neun Versuche und immer längere Zeiten nötig, um es tatsächlich bis in die USA zu schaffen. Dadurch wächst auch die Zahl der MigrantInnen an, die sich auf mexikanischem Territorium bewegen. Für die MigrantInnen gibt es nur wenige Möglichkeiten, die Kontrollen der Migrationsbehörden zu umgehen. Denn mit den üblichen Überlandbussen durch Mexiko zu fahren, ist für sie fast unmöglich. Lediglich durch hohe Bestechungsgelder können sie eine Abschiebung umgehen. Viele MigrantInnen verkaufen ihren Besitz, nehmen hohe Schulden auf oder leihen sich Geld von Verwandten, die bereits in den USA arbeiten. Dennoch fehlt den meisten die finanzielle Grundlage, um einen Schleuser, den so genannten coyote oder pollero zu bezahlen. Dieser organisiert gegen hohe Summen die Bestechungen und den Transport der Reise. Für eine Reise von Guatemala bis in die USA fordert ein coyote zwischen 2´000 und 5´000 US-$. Häufig bieten die Schleuser jedoch keine Garantie und verschwinden auf der Reise oder sorgen dafür, dass die MigrantInnen in die Hände des INM geraten. Die meisten der Betroffenen können sich keinen Schlepper leisten. Ihnen bleibt nur die Reise auf dem Güterzug. Dies ist die billigste aber auch die gefährlichste Art, Richtung Norden zu fahren. Zwei- bis dreimal in der Woche passiert der Güterzug die Nordgrenze Guatemalas. Entlang der Gleise warten jedesmal ca. 300 bis 500 Personen, die auf die Waggons aufspringen und sich auf den Dächern festklammern. Er wird el Tren de los muertos (,,Todeszug") genannt, denn wöchentlich sind Artikel in den lokalen Tageszeitungen zu finden, die von Unfällen berichten. MigrantInnen rutschen beim Aufspringen ab oder fallen während der Fahrt von den Waggondächern und geraten unter die Räder. Viele dieser Unfälle enden tödlich. Auch William hat seine beiden Beine bei einem Unfall mit dem Güterzug verloren. Nach der Überquerung des Grenzflusses ist er mit dem Zug weitergereist. Als dieser in der Nähe eines Dorfes hielt, sprang William ab, um tortillas und Wasser zu holen. Auf dem Rückweg musste er rennen, um den fahrenden Zug noch zu erreichen. William rutschte beim Aufspringen ab, und wurde unter die Räder des Zuges gezogen, die ihm beide Beine abschnitten. Die kleine Herberge in Tapachula, die aus der privaten Initiative der Tapachultekin Olga Sanchez entstand, erhält keine Finanzierung und ist auf Spendengelder angewiesen. Sie bietet Verletzten, wie William, Versorgung und eine Unterkunft. Nach den Unfällen und den schweren Verletzungen besteht für die jungen Menschen kaum noch eine Hoffnung, eine Arbeit zu finden. Eine weitere Gefahr droht den MigrantInnen in Mexiko durch kriminelle Banden der Maras Salvatruchas. Diese sind bewaffnete Banden, die von ehemaligen Mitgliedern zentralamerikanischer Todesschwadronen gegründet wurden. Bekannt für ihre Brutalität, nutzen sie die Wehrlosigkeit von MigrantInnen aus und agieren auf Strecken, die von diesen genutzt werden, wie z.B. der Güterzug. In Gruppen springen sie auf und ziehen von vorne nach hinten über die Dächer der Waggons, um MigrantInnen auszurauben und Frauen zu vergewaltigen. Wer sich ihnen widersetzt oder kein Geld bei sich trägt, wird vom fahrenden Zug gestossen oder erschossen. Polizei und Regierung ignorieren diese Vorfälle weitgehend. Das skrupellose Agieren der Maras Salvatruchas bestätigt in der öffentlichen Meinung das Bild des ,,kriminellen Migranten" und wird gerne als Rechtfertigungsgrund für eine strenge und repressive Migrationspolitik herangezogen. Die mexikanische Regierung verweist in diesem Zusammenhang auf die staatliche Organisation Beta Sur, die zum Schutz von MigrantInnen gegründet wurde. Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich über das gesamte Grenzge- biet, und sie untersteht der nationalen Migrationsbehörde. Ein Vorfall, der sich Ende letzten Jahres ereignete, stellt die Effizienz und Glaubwürdigkeit dieser Gruppe jedoch in Frage. Im Dezember 2002 wurde in das Krankenhaus in Tapachula eine 18jährige Frau eingeliefert, die sich in einem schlechten psychischen und physischen Zustand befand. Sie hatte zwei Monate zuvor Honduras verlassen, um sich auf den Weg in die USA zu machen. Kurz hinter der Grenze in Mexiko wurde sie von zwei Mitarbeitern der Grupo Beta Sur aufgegriffen. Diese hielten sie zwei Monate in einem Zimmer gefangen und setzten sie unter Drogen. Während dieser Zeit wurde sie immer wieder von mehreren Männern vergewaltigt. Die junge Frau konnte ihren Entführern schliesslich entkommen, weil es ihr gelang, die Tür aufzubrechen und zu fliehen. Migration lässt sich nicht eindämmen, solange sich die Bedingungen in den Herkunftsländern nicht verbessern. Die Situation in Mexiko zeigt, dass auch verstärkte technische Mittel und erhöhte Repression die Mi- grationsströme nicht stoppen. Der Beweis sind die MigrantInnen, die sich von demütigenden und lebensgefährlichen Erlebnisse nicht abbringen lassen und immer weiter versuchen in die Vereinigten Staaten zu gelangen, um dort zu arbeiten. Vielmehr fördert die Abschiebungspolitik Menschenhandel und kriminelle komplexe Strukturen, die von dem illegalisierten und unsicheren Status der MigrantInnen profitieren. (Inga Rahmsdorf) |
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