Juristisches Hin und Her im Fall Dos Erres
Fijáte 328 vom 16. Feb. 2005, Artikel 9, Seite 6
Original-PDF 328 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte
Juristisches Hin und Her im Fall Dos Erres
Guatemala, 11. Feb. Der Strafprozess gegen 16 Militärangehörige im Fall des Massakers in Dos Erres, Sayaxché, Petén, wurde durch eine Resolution des Verfassungsgerichts (CC), die bereits im Dezember gefasst, aber erst in diesen Tagen bekannt gegeben wurde, annulliert. Damit erklärt das höchste Gericht alle in den letzten neun Jahren erhobenen Beweise für ungültig. Gemäss dem CC hätte der Ermittlungsleitende Richter die Untersuchungen des Massakers ab dem Moment einstellen müssen, als der Kongress 1996 das Gesetz der Nationalen Versöhnung verabschiedete, welches besagt, dass alle Verbrechen, die während des bewaffneten Konflikts begangen worden sind, vor der Anhörung vor einem normalen Gericht einem Berufungsgericht eingereicht werden müssen. Dieses ranghöhere Tribunal solle jeweils entscheiden, ob die Rechtsangelegenheit als solche zu bewerten oder bereits verjährt ist und der Amnestie gebührt. Doch genau ein solches Urteil ist von einem Berufungsgericht Monate nach der Erteilung von Haftbefehlen gegen die 16 mutmasslichen Täter gefällt worden und bedeutet, dass der Fall in Dos Erres ein Verbrechen ist, dass keinen Nutzen aus dem Versöhnungsgesetz ziehen kann. Auf diese Tatsache stützt sich die prozessführende Vereinigung der Angehörigen von Festgenommenen und Verschwundenen in Guatemala (FAMDEGUA). Begonnen hat der Rechtsstreit gegen die 16 Personen 1994, nachdem die Angehörigen der Opfer eine Rechtsanordnung erkämpft hatten, um die Überreste der Verstorbenen aus der Grube auszugraben, in der sie bei dem Massaker am 7. Dezember 1982 gestossen und erschossen wurden. Diese Exhumierungen sind aufgrund des Datums, an dem sie durchgeführt wurden, die einzigen Beweisaufnahmen, die vom Urteil des CC nicht betroffen sind. Doch die nun für nichtig erklärten Schlüsselzeugnisse, die die Klage der Staatsanwaltschaft aufrechterhalten, sind die Zeugenaussagen von zwei Militärangehörigen (kaibiles), die an dem Gemetzel teilgenommen hatten sowie die eines Jugendlichen, der das Massaker überlebt hat. Die Soldaten gaben dabei preis, wie die Militärpatrouille dazu abkommandiert wurde, die Bevölkerung von Dos Erres, wo schätzungsweise 350 Personen lebten, auszulöschen. Mittels der Geständnisse hat die Staatsanwaltschaft zudem die Namen der Offiziere herausgefunden, die an der Operation beteiligt waren. Dies macht den Fall von Dos Erres zu einem Präzedenzfall, verfügt doch bislang keiner der Rechtsprozesse über die Verbrechen des bewaffneten Konflikts über Aussagen der Ausführenden. Laut William Ramírez, Rechtsberater von FAMDEGUA, besteht für sie nun die grösste Schwierigkeit darin, zu erreichen, dass die Zeugen, die inzwischen Exil im Ausland gefunden haben, sich erneut zu einer gerichtlichen Aussage bewegen lassen. Besorgnis und Empörung löste das Urteil des Verfassungsgerichtes unter den Angehörigen und AktivistInnen aus, die doch endlich Gerechtigkeit erhoffen im Falle des Massakers, bei dem mehr als die 162 Menschen, von denen Überreste gefunden wurden, umgekommen sind. Die Resolution mache all ihre Anstrengungen zunichte, die neben dem Verlust ihrer Lieben seit Beginn des Prozesses Drohungen und Verfolgungen ertragen müssen, so Aura Elena Farfán, von FAMDEGUA. Für den Anwalt von FAMDEGUA, Edgar Pérez, ist der CC-Entscheid widersprüchlich, hätten doch die RichterInnen verschiedentlich Stellung genommen hinsichtlich eben jenes Strafrichters im Petén und die Amtsführung als der Verfassung und dem Kodex des Strafprozesses konform bewertet. Nach oben |
Die jetzige Entscheidung habe einen speziellen Hintergrund, so Anwalt Pérez. Einer der Richter, Francisco Palomo, sei nämlich bereits als Richter und vor allem als Verteidiger einer der Militärs tätig gewesen, die beschuldigt sind, an dem Massaker teilgenommen zu haben. Neben dem einzig verbleibenden Rekurs wegen Widerspruchs werde man zudem die Interamerikanische Menschenrechtskommission (CIDH) anrufen, so Pérez. Im Jahr 2000 hatte der guatemaltekische Staat vor eben dieser CIDH eine "Freundschaftliche Vereinbarung" firmiert, in der er sich dazu verpflichtete, die Opfer zu entschädigen, ein Monument in Gedenken an diese zu errichten, einen Dokumentarfilm über das Massaker zu produzieren und auszustrahlen, den Betroffenen psychologische Unterstützung anzubieten sowie die Ermittlung zur Prozessführung gegen die Verantwortlichen zu garantieren. Von diesen Verpflichtungen, so Farfán, sei allein das Mahnmal, die Entschädigung über 14,5 Mio. Quetzales an die Überlebenden und Hinterbliebenen und teilweise die psychologische Begleitung erfüllt worden. Doch der wichtigste Punkt, die Einforderung der Gerechtigkeit, steht immer noch aus. Die Tatsache, dass die Verteidiger der 16 Angeklagten mittlerweile 36 Einsprüche eingereicht haben, hat den Prozess bereits um mindestens vier Jahre verzögert. María Ólga Paiz findet in ihrem Artikel in der Tageszeitung elPeriódico deutliche Worte: ,,Nur die Angst kann die Resolution des Verfassungsgerichts erklären, die fast während einer Dekade erfassten Beweise für nichtig zu erklären. Rechtliche Argumente, die diese Entscheidung stützen könnten, gibt es nicht. Doch die Geschichte hat uns gelehrt, dass die Interpretation des Gesetzes in einem bestimmten Moment die Lektüre der Kollektivängste ist." Die Menschenrechtsorganisation Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) bezeichnet das Urteil nicht nur als frappierenden Rückschritt hinsichtlich des Aufbaus einer Demokratie und eines Rechtsstaats, sondern hält diese Entscheidung für eine eher politische als juristische, mit der die bestehende Straflosigkeit gehegt wird und einmal mehr die mächtigen Sektoren bevorzugt und die Besitzlosen marginalisiert werden. Nachtrag: Der Protest der Menschenrechtsorganisationen trug offenbar Früchte: Am 10. Feburar machte das Verfassungsgericht einen Rückzieher und erklärte die zuvor annulierten Zeugenaussagen für rechtsgültig. Die vorab gefällte Resolution sei aufgrund einer Falschinterpretation der Prozessakten ausgesprochen worden. Damit ist der Weg wieder frei, damit ein Berufungsgericht endlich entscheiden kann, ob der Fall Dos Erres unter das Amnestiegesetz fällt oder nicht. |
Original-PDF 328 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte