Cero Hambre - Ist das brasilianische Modell auf Guatemala übertragbar?
Fijáte 350 vom 21. Dez. 2005, Artikel 2, Seite 2
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Cero Hambre - Ist das brasilianische Modell auf Guatemala übertragbar?
Eine Analyse der prozentualen Verteilung öffentlicher Gelder seit dem Jahr 1996 zeigt eine gleichbleibende Tendenz. Ebenfalls gleich bleibt die Tatsache, dass zu Beginn der jeweiligen Budgetdebatte der Grossteil der Gelder bereits verteilt ist, rund 60% des Budgets sind gebundene Posten, damit die Institution "Regierung" überhaupt funktionieren kann und damit Darlehen und Staatsschulden zurückbezahlt werden können. Dies lässt ernsthafte Zweifel am politischen Willen der Regierungen aufkommen, die seit der Unterzeichnung der Friedensabkommen an der Macht waren und die allesamt behaupteten, sie würden in ihren Etats die Umsetzung der Abkommen berücksichtigen. Überhaupt werden entwicklungs- und sozialpolitische Veränderungen und Aktualitäten bei der Budgetplanung nicht genügend berücksichtigt, wie das Beispiel des Hurrikan Stan beweist, der grosse Teile Guatemalas just zum Zeitpunkt der Budgetdebatte zerstörte. Auch die von der Regierung versprochene Umsetzung der Milleniumsziele spiegeln sich in der Aufteilung des Staatsetats nicht wider. Es ist mittelfristig keine Politik auszumachen, mit der z. B. der Hunger bekämpft werden könnte. Nahrungsmangel und Hunger sind Probleme, die immer mehr Teile der guatemaltekischen Bevölkerung betreffen und gemäss den Worten des brasilianischen Präsidenten, Lúis Ignacio Lula de Silva, der kürzlich in Guatemala zu Besuch war und sein Programm Cero Hambre vorstellte, zu einem kollektiven Genozid führen werden, wenn sie nicht vordringlich behandelt werden. Leider haben unsere Behörden grösseres Interesse daran, Freihandelsabkommen zu unterzeichnen, als sich mit dem Programm von Präsident Lula auseinander zu setzen, von dem Guatemala einiges lernen und kopieren könnte. Wie die Regierungen vor ihr, versprach auch die aktuelle, ihr Budget gemäss den in den Friedensabkommen definierten Prioritäten zu berechnen und zu verteilen. Konkret wären das Aufstockungen in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Wohnen sowie Sicherheit und Justiz. Genau in diesen vier Bereichen hat sich budgetmässig in den letzten Jahren aber gar nichts getan, was über eine Veränderung von mehr als 1% hinausgegangen wäre, ausser bei dem Gesundheitssektor, der im Vergleich zum Jahr 2001 im nächsten Jahr 1.12% weniger bekommt. Überhaupt gibt es insgesamt nur drei Budgetposten, die mehr als 10% des Gesamtbudgets ausmachen. Einer davon ist für die Rückzahlung der Schulden bestimmt (18.45% im Vergleich zu 14.27% im Jahre 2001) die Bildung mit 14.5% (13.8% im Jahre 2001) sowie der ominöse Posten Obligaciones del Estado a Cargo del Tesoro (OECT), der mit 31.73% der am weitaus grösste Budgetposten ist. Über diesen Posten werden im Laufe des Jahres vorgenommene Budgeterhöhungen einzelner Ministerien finanziert oder Ausgaben, die während des Jahres per Regierungsdekret, oder aufgrund spezieller bzw. internationaler Gesetze getätigt werden müssen. Aus dieser "Kasse" wird u. a. auch das Justizwesen finanziert. Es ist ein Budgetposten, der sehr breit ausgelegt werden kann und der alles andere als transparent gehandhabt wird, mit Vorliebe werden darüber z. B. auch "politische Schulden" beglichen. Gekürzt wurde für 2006 auch der Budgetposten Secretarías y otras Dependencias del Ejecutivo, über den eine Vielzahl der Programme im Rahmen der Friedensabkommen, z. B. das Friedenssekretariat, das Wiedergutmachungsprogramm PNR, aber auch die diversen Sozialfonds laufen. Was das Thema Ernährungssicherheit beitrifft, wurden ihm im Jahr 2004 450 Mio. Quetzales zugesprochen, im Jahr 2005 noch 48 Mio. und für 2006 nur noch 39 Mio. Quetzales. Wo ist hier eine Sozialpolitik generell und eine Politik zur Bekämpfung des Hungers im Speziellen auszumachen? Nach oben |
Brasilien lässt im 2006 2.23% des gesamten Staatsbudgets in das Programm Cero Hambre fliessen, während Guatemala für sein Programm zur Ernährungssicherung für nächstes Jahr 0.0011% des Gesamtbudgets vorsieht. Das Programm Cero Hambre wurde von der brasilianischen Regierung im Jahr 2003 gestartet und hat zum Ziel, verschiedene Regierungsprogramme und die Arbeit verschiedener Ministerien so zu koordinieren, dass Armut und Hunger effektiv bekämpft werden können. Das Programm umfasst längerfristige strukturelle Veränderungen wie auch kurzfristige Nahrungsmittelhilfe. Bereits im dritten Jahr (2005) hat sich das Budget für Cero Hambre mehr als verdoppelt. Parallel zu diesem Programm läuft in Brasilien eine Agrarreform, in deren Rahmen innerhalb von vier Jahren 530'000 Familien zu Land kommen sollen. Ein weiterer Schwerpunkt des Programms ist die Bildung. Die Wirtschaft Brasiliens kann nicht mit der Guatemalas verglichen werden, da ganz unterschiedliche Voraussetzungen und Potentiale vorhanden sind. Trotzdem könnte Brasilien im Bereich der Armutsbekämpfung, der Bildungs- und der Entwicklungspolitik als Beispiel für Guatemala dienen, denn mindestens der krasse Arm-Reich-Gegensatz trifft für beide Länder in ähnlicher Weise zu. Das Beispiel Brasiliens zeigt die Wichtigkeit der Diskussion über die subsidiäre Rolle des Staates auf, eine Diskussion, die im Rahmen der neoliberalen Strömung unter den Tisch gewischt wurde. Ziel einer solchen Diskussion muss es sein, die Notwendigkeit öffentlicher Programme einzusehen, die tatsächlich den Bevölkerungskreisen und Gemeinden zu Gute kommen, die unter Elend und Hunger leiden. Und zwar müssen solche Programme weiter gehen als die Armuts-Bekämpfungs-Rezepte der internationalen Finanzinstitutionen, die zum Teil verheerende Auswirkungen hatten. Unbedingt wichtig ist auch, dass nicht parteipolitische Interessen eine Budgetdebatte bestimmen, sondern eine längerfristige nationale Perspektive eingenommen wird. |
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