Aufgewühlte Wasser nach dem Sturm
Fijáte 348 vom 23. Nov. 2005, Artikel 6, Seite 4
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Aufgewühlte Wasser nach dem Sturm
Guatemala, 19. Nov. Rund 50 Tage nach dem Hurrikan Stan sind die vom Unwetter betroffenen Departements zu einem grossen Teil ihrem eigenen Schicksal überlassen. Die bedeutendste und effizienteste Hilfe ist über die internationale Zusammenarbeit und die remesas der hauptsächlich in den USA lebenden ausgewanderten GuatemaltekInnen geflossen. Die täglichen (privaten) Geldüberweisungen aus dem Ausland waren im letzten Monat rund 30% höher als zur gleichen Zeit vor einem Jahr. Zwar konnte kurzfristig das Allerschlimmste schnell und unbürokratisch aufgefangen werden, doch wurde ein grosser Teil dieser Gelder von der Spekulation sowohl im Lebensmittel- wie auch im Immobiliensektor verschluckt. Das längerfristige Überleben und die Möglichkeit, sich auf einem Stück Land, das nicht in einem Risikogebiet liegt, eine neue Existenz aufzubauen, ist für viele Menschen unerschwinglich geworden. In Santiago Atitlán zum Beispiel kostet eine cuerda Land (21m²) rund 50'000 Quetzales, d. h. mehr als doppelt so viel wie am Tag vor Stan. Etwas Ähnliches wird aus Patulul, Suchitepéquez, im Südwesten des Landes berichtet. Die Behörden wollten obdachlos gewordene Familien in dieser Region wiederansiedeln, doch die Preise für eine caballería Land (45 ha) sind ins Unermessliche, sprich auf eine Million Quetzales, angestiegen. Damit wurde ein ,,sicherer Wiederaufbau" unmöglich und es bleibt nur, die Häuser und Arbeitsplätze an den alten, unsicheren und durch Stan zerstörten Orten wieder aufzubauen. Die internationale Unterstützung wird zwar als schnell und effizient gelobt, doch wurde verschiedentlich die Qualität der vom Welternährungsprogramm verteilten Lebensmittel kritisiert. Die gelieferten Nahrungsmittel seien für den guatemaltekischen Speisezettel entweder ungewohnt gewesen oder das gelieferte Getreide war so alt, dass es zuviel Energie (Gas oder Holz) brauchte, um gar gekocht zu werden. In Tacaná, San Marcos, eine der am stärksten vom Stan betroffenen Regionen, machte die lokale Organisation der Allianz für die jugendliche Gemeindeentwicklung (ADEJUC) eine eigene Erfahrung. ADEJUC wird vornehmlich von der US-amerikanischen Organisation Save the Children finziell unterstützt. Diese sollte nun als Kanalisiererin für den vom Welternährungsprogramm zur Spendendisposition gestellten Mais für Tacaná dienen. Doch ADEHUC war zu Ohren gekommen, dass der Mais aus den USA stamme und somit mit ziemlicher Sicherheit genetisch verändert sei. ADEHUC wehrte sich - erfolgreich. Nach heissen Diskussionen mit der nationalen Zentrale von Save the Children erhielten sie anstelle des Maises Bargeld, um nationalen, nicht-manipulierten Mais zu kaufen. Die Regierung versuchte die Konjunktur zu nutzen, um von den USA einen temporären Sonder-Aufenthaltstatus für guatemaltekische MigrantInnen zu erreichen, doch der diplomatische Schachzug gelang trotz persönlichen Kontakten zwischen Berger und Bush anlässlich des Präsidententreffens in Mar del Plata, Argentinien, nicht. Auch andere internationale Entgegenkommen, wie z. B. ein Schuldenerlass, wurden abgelehnt und es ist nun eine der grossen Herausforderungen für das nächste Finanzjahr, nebst den Geldern für die ,,gewöhnlichen" Investitionen und den Wiederaufbau, zusätzliche Gelder für die Schuldenrückzahlungen einzunehmen. Nach oben |
Um die allgemeine Krise herunterzuspielen, schwärmt die Regierung von einer dank Freihandelsabkommen bevorstehenden Erhöhung des Exports und einer Zunahme des Tourismus. Doch in den Provinzen wird vielen Menschen nichts als die Migration übrig bleiben, um etwas zum Lebensunterhalt ihrer Familien beizutragen. Fachleute haben die Wirtschaftswachstumsrate für das kommende Jahr nach unten angepasst: von 3,3% auf 2,7%. Das Schlimmste steht aber erst bevor. Das Welternährungsprogramm prognostiziert ,,eine ernsthafte Hungerkrise für die Weihnachtszeit", von der rund 285'000 Personen betroffen sein könnten. Es handelt sich dabei vorwiegend um Indígenas aus dem westlichen Hochland, die eh schon unter chronischer Mangel- oder Unterernährung leiden und deren Subsistenz-Landwirtschaft durch den Hurrikan zerstört wurde. Um die Nahrungssicherheit zu garantieren, braucht es laut Fachleuten rund 14 Mio. US-$. Präsident Berger hat den Notstand genutzt, um administrative Erleichterungen für die öffentlichen Ausgaben in Sachen Nothilfe durchzusetzen. Per Regierungsdekret hat er vorsorglich das, vom Kongress noch nicht definitiv beschlossene, Wettbewerbgesetz ausser Kraft gesetzt, so dass Aufträge ohne eine öffentliche Ausschreibung vergeben werden können. Noch sind die Auswirkungen dieser Massnahme nicht ganz klar, dafür wurden verschiedentlich Zweifel über deren Legalität geäussert. Ganz ähnlich sieht es beim Wiederaufbau aus. Noch bevor konkrete Projekte oder Programme für den Wiederaufbau vorliegen, präsentierte der Präsident dem Kongress eine Gesetzesinitiative, gemäss der Wiederaufbauprojekte bis zu 2,5 Milliarden Quetzales nicht öffentlich ausgeschrieben werden müssen. Die speziell für den Wiederaufbau geschaffenen Fonds sollen vom Finanzministerium soweit logisch und dem Sekretariat für soziale Werke der Präsidentengattin (SOSEP), eine Instanz die eigentlich keine exekutive Kompetenz hat, verwaltet werden. Die Regierung sieht derzeit vor, 193 ,,Häuser", gemäss der Anzahl der bedürftigen Familien, zu bauen. Die Konstruktionsweise ist simpel: drei mal drei Meter, die Wände aus Zuckersackstoff mit Nägeln an einen hölzernen Unterbau befestigt, der ein Wellblechdach trägt. In jedem dieser Häuser soll es zwei Betten geben, die von bis zu 12 Familienmitgliedern geteilt werden. Jeder Gruppe von ca. 30 Häusern stehen eine Küche, eine Waschstelle, eine Wasserquelle und eine Kollektivtoilette zur Verfügung. In diesen Unterkünften sollen die Betroffenen etwa ein Jahr lang leben, sollten sie bis dahin keinen ,,würdigen" Platz für ein neues Zuhause gefunden haben, sollten sie in diesen Konstruktionen weiterleben. Für die nächsten Monate werden derweil Kälte und Wind erwartet und die nächste Regenzeit kommt im Mai. |
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