Wiedergutmachungskommission Der Staat greift ein
Fijáte 349 vom 7. Dez. 2005, Artikel 4, Seite 4
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Wiedergutmachungskommission Der Staat greift ein
Guatemala, 1. Dez. Ende November besetzten Mitglieder der Nationalen Vereinigung der Opfer der Menschenrechtsverletzungen (UNACODHI) in Coban das regionale Büro des Programms für die Wiedergutmachung an den Opfern des bewaffneten Konflikts (PNR) und forderten ein effizienteres Arbeiten dieser Instanz. Über 50 Personen aus verschiedenen Ortschaften im Departement Alta Verapaz kritisierten, dass das administrative Prozedere, um überhaupt als Opfer anerkannt zu werden, viel zu kompliziert und für sie als Betroffene erniedrigend sei. Weiter forderten sie die Eröffnung eines PNR-Büros in Ixcán Playa Grande sowie schlussendlich den Rücktritt der Programmleiterin, Rosalina Tuyuc. Gleichzeitig kam es auch zu Protesten in Chimaltenango. Dort forderten die Leute eine Erklärung darüber, weshalb sich die Auszahlung der Entschädigungsgelder verzögerten und weshalb das Budget der Kommission gekürzt worden sei. Auch hier forderten die Unzufriedenen den Rücktritt von Rosalina. Dass es Probleme gibt im Programm, bzw. in der für dessen Umsetzung zuständigen Kommission für die Wiedergutmachung (CNR), war seit längerem bekannt und zeigte sich vor ein paar Monaten deutlich, als es um die Wieder- bzw. Neubesetzung der Kommissionsmitglieder ging (siehe ¡Fijáte 340). Dies hatte auch zur Folge, dass von den jährlich budgetierten 300 Mio. Quetzales bisher nur 40 Mio. Quetzales ausgegeben wurden, und zwar ausschliesslich für Löhne der MitarbeiterInnen und keinen einzigen Quetzal für die Wiedergutmachungsprogramme oder -Projekte. Jetzt sah sich die Regierung gezwungen, einzugreifen, um der internen ,,Pattsituation" ein Ende zu setzten, die das Funktionieren der Kommission verhindere, wie sich Vizepräsident Eduardo Stein ausdrückte. Nun soll die CNR umstrukturiert werden, das heisst, die Entscheidungen innerhalb des Programms werden von Mitgliedern der Exekutive, d. h. der Regierung, getroffen, die VertreterInnen der Zivilgesellschaft, Frauen-, Indígena- und Menschenrechtsorganisationen, sollen gänzlich ausgewechselt werden und haben in Zukunft nur noch einen beratenden Status, aber kein Stimm- und Wahlrecht. Die Auszahlungen sollen direkt vom Finanzministerium getätigt werden, als Leiterin der Kommission soll aber weiterhin Rosalina Tuyuc fungieren. Bekannt gab diese Massnahme Präsident Oscar Berger selber, mit dem Kommentar, die Verwaltung der Kommission durch die Zivilgesellschaft habe nicht funktioniert. Ob sie besser funktioniert, wenn die Regierung sie selber verwaltet, wird sich zeigen. Obwohl sich einige Organisationen resigniert bis erfreut über das Eingreifen der Regierung äussern ,,Wichtig ist in erster Linie die endliche Entschädigung der Opfer", oder ,,Die Wiedergutmachung ist Aufgabe des Staates und nicht der Zivilgesellschaft" gibt es auch kritische Stimmen. Nach oben |
Die Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas (URNG) zum Beispiel erklärte in einer Pressemitteilung, dass diese Massnahme jede Mitbestimmung seitens der Zivilgesellschaft über die Art und Weise der Wiedergutmachung verunmögliche. Damit werde die Gefahr erhöht, dass das PNR zu wahlpolitischen Zwecken missbraucht würde. Und die selbe UNACODHI, die noch Tage vorher den Rücktritt von Rosalina forderte, befürchtet nun, mit der Intervention der Regierung würde die Kommission und somit auch die Würde der Opfer in ein schlechtes Licht rücken. Zwar fordern die in der UNACODHI organisierten Opfer eine Umstrukturierung des Programms, doch soll dieses nach wie vor auf den Grundsätzen der Konsensfindung und Mitsprache funktionieren. Orlando Blanco, ehemaliger Vertreter der Zivilgesellschaft innerhalb der Kommission, beschuldigt die Regierung, diesen Schritt schon seit letzten März geplant zu haben. Seiner Meinung nach ist die Regierung für die Verzögerungen der Arbeit der Kommission verantwortlich, z. B. durch Manipulation bei den Neuwahlen der Mitglieder im letzten Juni. Die Kommission habe durchaus gearbeitet, über 7'000 Fälle seien registriert worden und können, sobald die entsprechenden Massnahmen veranlasst würden, entschädigt werden. Dass es der Zivilgesellschaft offenbar nicht gelungen ist, das wichtige Thema der Wiedergutmachung zu prägen und in der Hand zu haben, ist schade. Andererseits hatte sie auch eine schwierige Aufgabe, ging es doch in erster Linie einmal darum, Delikte zu klassifizieren, den Status von ,,Opfersein" zu definieren und mögliche Formen der Wiedergutmachung (symbolisch, materiell, etc.) zu benennen und gegeneinander abzuwägen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Prozess nicht vergebens war und dass die neuen Verantwortlichen des Wiedergutmachungsprogramms ihn in der Neustrukturierung berücksichtigen. Sieht man aber andere staatlich geleitete Kommissionen mit ähnlich schwierigen Aufgaben an (z. B. in Sachen Schlichtung von Landkonflikten, Entschädigung der Ex-Pac und jetzt neu die Kommission für den Wiederaufbau nach Stan) braucht es ein ganzes Stück Optimismus, die staatliche Intervention des Wiedergutmachungsprogramms von Herzen zu begrüssen. |
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