Schwerkranker Patient: das öffentliche Krankenhaussystem
Fijáte 363 vom 5. Juli 2006, Artikel 3, Seite 4
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Schwerkranker Patient: das öffentliche Krankenhaussystem
Guatemala, 04. Juli. Die Krise im öffentlichen Hospital Roosevelt, dem grössten Krankenhaus in der Hauptstadt, hat seinen Höhepunkt erreicht: die Ambulante Aufnahme ist nun komplett geschlossen und PatientInnen, die auf der OP-Warteliste standen, wurden wieder nach Hause geschickt. Nach 25 Tagen Teilstreik und permanenter Versammlung, während denen bereits die medizinische Behandlung auf schwere Fälle und Notaufnahmen beschränkt war, haben die ÄrztInnen nun ihre Warnung ernst gemacht, nehmen sich nur noch den allerdringendsten Behandlungen an und versammelten sich Anfang dieser Woche erneut demonstrierend vor dem Gesundheitsministerium. Ihre Forderungen beinhalten eine Erhöhung des Gesundheitsetats, eine ausreichende Versorgung der Krankenhäuser mit Medikamenten und Gerätschaften sowie eine Gehaltserhöhung für das medizinische Personal. Die katastrophale Ausstattung der Einrichtungen gefährde sowohl das Personal als auch die PatientInnen, so dass keine Behandlungen mehr durchgeführt werden. Offenbar liegt die mangelnde Versorgung mit Medikamenten allein an säumigen Zahlungen, die das Gesundheitsministerium den Pharmalieferanten schuldet, und zwar in Höhe von mindestens 700 Mio. Quetzales (ca. 95 Mio. US-$). Selbst Gesundheitsminister Marco Tulio Sosa versucht die Karenzsituation allein mit dem Fehlen von Geldern zu rechtfertigen. Demnach seien von dem beantragten Gesamtetat für das Krankenhaussystem über 2,5 Mrd. Quetzales ganze 424 Mio. nicht autorisiert worden. Auch beschwert er sich über die Tatsache, dass die guatemaltekische Regierung leidliche 0,3% des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in den Gesundheitssektor investiere. Auf den Kommentar, dass die Friedensverträge gar 3% für dieses Ressort verlangen, verweist er gleichzeitig darauf, dass die Regierung mit den derzeitigen 10% Mehrwertsteuer nicht genug Einnahmen hätte und dafür den Steuersatz auf 12% erhöhen müsste. Einmal mehr wird somit deutlich, dass den Dienstleistungen, die in der Verantwortung des Staates liegen und theoretisch der gesamten Bevölkerung zu Gute kommen sollten - Bildung, Telekommunikation, Infrastruktur, Sozialhilfe und eben die Gesundheit - im neoliberalen Denken der Autoritäten wenig Bedeutung zukommt. Es scheint, dass die vermeintlich nahe liegende, ja beinahe einzig "richtige" Entscheidung, diese Sektoren zu privatisieren, geradezu provoziert werden soll, während in diversen Ministerien und Regierungsinstanzen gehäuft Haushaltsanomalien aufgedeckt werden und Milliarden fliessen, um die Präsenz des Militärs in der Öffentlichkeit wieder zum Alltag werden zu lassen. So verwundert auch kaum der resümierende Kommentar von Präsident Berger nach seiner persönlichen Visite in den beiden grossen hauptstädtischen Krankenhäusern. Die Situation sei doch gar nicht so schlimm, es fehlten bloss vier Antibiotika und das ganze sei lediglich einer mangelhaften Verwaltung der Häuser zuzuschreiben. Das zugewiesene Personal erlebt seinen Alltag anders: Viele Stationen sind völlig unterbesetzt, es fehlen Waschbecken, grundlegendes Behandlungsmaterial, die meisten Apparate sind veraltet und funktionsuntüchtig. Wenige Tage nach Beginn der Arbeitskürzungen im Hospital Roosevelt hatte sich das zweite wichtige öffentliche Krankenhaus San Juan de Diós dem Protest angeschlossen. Diesem Beispiel sind bereits fünf weitere Hospitäler in den Departements gefolgt, bevor ab diesem Mittwoch die medizinische Widerstandsbewegung auf nationaler Ebene den Krankenhausbetrieb lahm legen wird - Jalapa, Jutiapa, Cuilapa, Escuintla, Retalhuleu, Amatitlán, Antigua, Chiquimula, Zacapa, Matzatenango und Izabal kündigten ihre Unterstützung der KollegInnen in der Hauptstadt an. Nach oben |
Vereinbart ist die Aktion mit der Ärztekammer, der Gewerkschaft des Gesundheitspersonals und der Medizinischen Fakultät der Universität San Carlos. Sie soll so lange beibehalten werden, bis die Regierung den Forderungen für alle öffentlichen Krankenhäuser nachkommt. Berger schiebt den Schwarzen Peter indes von sich und fordert die Verantwortlichen der Spitäler auf, die Probleme bitteschön in zwei Monaten selbst zu lösen, während dessen einmal mehr Vizepräsident Eduardo Stein als Regierungsvertreter in einen als dringend angekündigten Dialog mit den MedizinerInnen vorgeschickt wird, für den noch keine näheren Details festgelegt wurden. Auch wenn das streikenden Personal die Bevölkerung um Verständnis bittet, bleiben Beschwerden und Anzeigen ob Pflichtversäumnis der ÄrztInnen nicht aus, müssen doch rund 3´000 Personen täglich unverrichteter Dinge - und vor allem ohne die ärztliche Behandlung ihrer Gesundheitsbeschwerden - wieder nach Hause gehen, oder aber das Geld aufbringen, um eine private Praxis oder Gesundheitseinrichtung aufzusuchen. |
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