Der Oscar und die Infiltrierten
Fijáte 380 vom 07. März 2007, Artikel 3, Seite 4
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Der Oscar und die Infiltrierten
Guatemala, 04. März. Während in Hollywood der Film "Departed" - in der spanischen Version als "Die Infiltrierten" betitelt - mit dem Oscar gekrönt wurde, muss sich Präsident Oscar Berger in Guatemala mit dem mehr als offensichtlich in die höchsten Staatsstrukturen infiltrierten organisierten Verbrechen beschäftigen. Einem schlechten Krimi-Film gleich demonstriert sich die institutionelle Schwäche des Staates in einem Gewirr aus Verschwörungs-, Beschuldigungs- und Spurenbeseitigungsmannövern rund um inzwischen neun ermordete Männer. Am 19. Februar wurden drei salvadoranische Abgeordnete des Zentralamerikanischen Parlaments (PARLACEN) und ihr Chauffeur 36 km ausserhalb von Guatemala-Stadt im Gebüsch in der Nähe der Landstrasse Richtung El Salvador gefunden. Zwei Männer lagen erschossen ausserhalb des Wagens, der Fahrer und ein weiterer der Abgeordneten befanden sich im Auto, das in Brand gesteckt wurde, so dass auch die beiden Leichen verbrannten. Bei den Delegierten, alle drei Mitglieder der seit 20 Jahren in El Salvador regierenden ultrarechten Republikanisch-Nationalistischen Allianz (ARENA), handelte es sich um Eduardo D' Aubuisson, William Pichinte und José Ramón González. Der erste ist Sohn des ARENA-Gründers Roberto D' Aubuisson, der die in El Salvador während des internen bewaffneten Konflikts aktiven Todesschwadronen ins Leben gerufen und geleitet hatte. Ausserdem gilt er als intellektueller Täter des Mordes an Monsignore Oscar Arnulfo Romero 1980. Vor genau 15 Jahren starb Roberto D' Aubuisson an Krebs. Neben dem Grund ihrer Reise, an PARLACEN-Sitzungen in Guatemala teilzunehmen, sollen die drei wohl jedes Jahr den Todestag von Vater D' Aubuisson auf einer Finca nahe des Ortes begangen haben, wo sie nun gefunden wurden. Bis zum Stadtrand wurden sie an jenem Montag von der salvadoranischen Polizei eskortiert und schickten diese dann wieder zurück. Aufnahmen von Verkehrskontrollkameras zeigen, dass sie später von einem anderen Auto angehalten, aus dem Wagen gezerrt und - so Ermittlungsannahmen - in ein Haus entführt, gefoltert und ermordet wurden. Um jegliche Spuren zu verwischen, wurden sie an einen anderen Ort gebracht und das Auto in Brand gesetzt. Um dieses herum fanden sich zahlreiche Patronenhülsen von AK-47 und einzelne Körperteile. Normalerweise hätten diese Tatortumstände die Autoritäten zu der Aussage verleitet, es handele sich um eine Rechnungsbegleichung zwischen Gruppen des organisierten Verbrechens und die Ermittlungen wären zeitnah eingestellt worden. Doch da es sich um ausländische Abgeordnete handelte, stellten Innenministerium und Polizei auf einmal ihre offenbar doch vorhandenen Fähigkeiten unter Beweis, ihre Aufgaben zu erledigen. Zumindest zu Beginn. Sicherheitshalber riefen Berger und sein Amtskollege aus Salvador, Antonio Saca, gleich das FBI zur Hilfe, das aber bislang offenbar doch noch nicht eingegriffen hat. Nicht nur die Kameraaufnahmen und ZeugInnenaussagen, die einen der Täter an einer Tankstelle erkannten, wo dieser rund 45 Liter Benzin kaufte, sondern zu allem Überfluss die GPS-Daten des von den Tätern benutzten Autos, überführte diese, so dass vier von ihnen innerhalb 72 Stunden festgenommen werden konnten: Es waren Angestellte der Ermittlungsabteilung von Verbrechen (DINC) der Nationalen Zivilpolizei (PNC). Einer von ihnen war gar Abteilungschef gegen das organisierte Verbrechen. Das Auto verfügte über die GPS-Anlage, weil es ein offizielles Fahrzeug der DINC war, das nach der Tour noch in die Waschanlage kam, bevor es auf das Polizeigelände zurückgebracht wurde. Als Anlass für ihre Streife hatten sie angegeben, Diebe von Lastwagen zu verfolgen. Das Beweismaterial soll auf mindestens drei weitere Mittäter der DINC aus Guatemala und dreien aus El Salvador hinweisen, vor und nach dem mutmasslichen Tatzeitpunkt herrschte reger Telefonkontakt zwischen den DINC-Agenten und dem Nachbarland. Kurz nach ihrer Festnahme sagten die vier Festgenommenen aus, sie hätten im Auftrag von "oben" gehandelt und waren davon ausgegangen, Drogendealer aus Kolumbien zu verfolgen. Als sie feststellten, dass sie andere Männer in der Gewalt hatten, hätten sie alle Spuren beseitigen wollen. Ohne offizielle Aussagen und ohne Verurteilung wurden sie auf Anordnung des Gefängnissystemdirektors Victor Rosales zu ihrer eigenen Sicherheit statt ins Untersuchungsgefängnis, wo es keine Einzelzellen gibt, ins Hochsicherheitsgefängnis El Boquerón im Departement Santa Rosa gebracht. Hier sind alle Häftlinge Mitglieder der Jugendbande (mara) Salvatrucha. Eine in diesen Tagen von KolumnistInnen gebrauchte Metapher war die der Öffnung der Büchse der Pandora in Bezug auf die Offenbarung durch die Tat, dass die vermeintlichen Sicherheitskräfte des Staates selbst in grausame Verbrechen involviert sind. Dabei hatten diverse zivilgesellschaftliche Organisationen und selbst das Menschenrechtsprokurat (PDH) bereits seit langem der PNC und speziell der DINC die Verantwortung von zahlreichen Verbrechen "sozialer Säuberung" zugeschrieben. Die vermeintlichen Versuche der aktuellen Regierung, seit Amtsantritt bereits einige Fortschritte in Sachen "Säuberung" der Polizeikräfte erreicht zu haben, wurden stets frustriert durch die geltenden Arbeitsrechte. Trotz bewiesener Korruptionsvorwürfe und Beteiligungen an Verbrechen, wurden die disziplinartechnisch aus den Reihen der Polizei verwiesenen AgentInnen durch richterlichen Beschluss meist wieder eingestellt. Polizeichef Erwin Sperisen weiss sogar von rund 2´000 seiner Untergebenen, die Beziehungen zum organisierten Verbrechen unterhalten. Und wieder drei Tage später, wurde Pandoras Büchse schnell wieder zugemacht - so wohl zumindest die Hoffnung von den Hintermännern der vier inhaftierten DINC-Agenten, die unter mysteriösen Umständen am Sonntag, dem 25., in jenem "Hochsicherheitsgefängnis", brutalst umgebracht wurden. Einen Tag, bevor das FBI seine Ermittlungen aufnehmen sollte. Auch der sie bewachende Wärter kam dabei um. Während die zuständigen Autoritäten, sprich, Berger, Sperisen und Innenminister Carlos Vielmann, krampfhaft versuchen, die Hypothese zu verfechten, es seien die inhaftierten Jugendbandenmitglieder gewesen, die aus persönlicher Rache die Polizisten ermordet hätten, sprechen die Indizien eher für die Version von BesucherInnen der Häftlinge, die berichten, dass am Nachmittag auf einmal drei schwerbewaffnete Männer mit Sturmkappen in einem Geländewagen auf das Gefängnisareal gefahren kamen, den Strom kappten und die Wächter aufforderten, die BesucherInnen hinauszuwerfen. Kurz darauf hörten diese dann von draussen Schüsse im Inneren des Gefängnisses. Dabei mussten die Mörder durch acht verschlossene Türen, deren Schlüssel in jeweils unterschiedlichem Wächtergewahrsam lagen. Aus Angst, die Polizei könnte den Knast stürmen und für ihre eigene Sicherheit als Zeugen, nahmen die übrigen Häftlinge den Direktor, den Oberaufseher und vier Wächter als Geiseln, die erst am Montagmorgen befreit werden konnten. Die Autoritäten zögerten eine Bestätigung des angeblichen Aufstandes lange hinaus. Ein mexikanischer Fernsehsender verschaffte sich dennoch Zugang und veröffentlichte schaurige Bilder der erschossenen und teilweise enthaupteten DINC-Männer in einer völlig durcheinander gebrachten Zelle. Nach oben |
Der Bericht der Staatsanwaltschaft behauptet, die Morde hätten zum Teil in einem anderen Bereich des Gefängnisses stattgefunden, es gäbe keine Anzeichen eines Kampfes, die Männer seien aus nächster Nähe erschossen worden und der Tatort bzw. die Zelle sei im Nachhinein verwüstet worden. Es gäbe zudem vier Zeugen, die bereit seien, auszusagen unter der Bedingung, dass ihnen Sicherheit garantiert werde. Der verantwortliche Richter kündigte nach dem Mord der vier für die Ermordung der Salvadoraner beschuldigten Polizisten an, die Ermittlungen jenes Verbrechens archivieren zu wollen, seien die Verantwortlichen ja jetzt tot. Die Gruppe gegenseitiger Hilfe (GAM) verweist derweil auf die Tatsache, dass das organisierte Verbrechen Mitglieder der Sicherheitskräfte und vor allem die Leute in Leitungspositionen von Polizei und Militärkasernen unter Bedrohung halte. Deutlich grösser und in den folgenden Tagen bereits unter Beweis gestellt, ist das Risiko, dass durch die Beseitigung derer, die noch hätten auspacken können, die intellektuellen Verantwortlichen für den Mord an den Abgeordneten nun straffrei davon kommen. Der Präsidentschaftskandidat der Patriotischen Partei, Otto Pérez Molina, der im internen bewaffneten Konflikt Verantwortungstragender Leutnant war, schliesslich Mitglied des Präsidentialen Generalstabs (EMP) und zu Beginn der aktuellen Regierung Kommissionar für Innere Sicherheit, diese Stelle jedoch bald kündigte, nutzte die Gunst der Stunde und stellte die Behauptung auf, dass es in der aktuellen Regierung gleich zwei Todesschwadronen gebe, eine, die einer bestimmten Person im Innenministerium unterstünde und eine andere unter Verantwortung eines Mannes in der Polizei. Die Namen liess er sich von der Presse aus der Nase ziehen: Er meinte den persönlichen Berater von Innenminister, Victor Rivera, und Javier Figueroa, den stellvertretenden Ermittlungsleiter der Polizei. Letzterem sowie dessen Untergebenem, Victor Soto, wurde letztendlich doch gekündigt und sie wurden der Staatsanwaltschaft für deren Untersuchungen freigestellt. Jedoch ohne jegliche Auflagen - was Figueroa nutzte, um sich kurzfristig - angeblich für ein paar Familienurlaubstage - nach Costa Rica abzusetzen. Der Kongress zitierte unterdessen Vielmann zu einer Interpellation und Stellung der Vertrauensfrage, um die der Innenminister jedoch noch herumgekommen ist. Angeblich hatten dieser sowie PNC-Chef Sperisen Präsident Berger schon ihre Kündigungen eingereicht, der jedoch hat sie vehement in ihren Posten bestätigt. Neben der Befürchtung der Zivilgesellschaft, dass auch die Umbesetzung von diesen Ämtern zur Folge haben könnte, dass mögliche Verantwortliche ihre Rechenschaft schuldig bleiben, stellt sich die Frage, wer sie kurzfristig ersetzen könnte. Unterdessen wurden der inzwischen gekündigte Direktor des Boquerón, der "Kerkermeister" und 21 Wächter wegen Verbrechensdeckung verhaftet und vier Familienangehörige von Mareros festgenommen, die Elektrogeräte aus dem Gefängnis schafften, in denen je eine Schusswaffe gefunden wurde, die angeblich den in der Todeszelle gefundenen Patronenhülsen entsprachen. Die inhaftierten Besitzer der Geräte weisen hingegen darauf hin, dass diese bereits seit einigen Tagen konfisziert worden waren, bevor sie den Angehörigen übergeben wurden. Derweil kommen die Ermittlungen des vierfachen Mordes an den Abgeordneten kaum von der Stelle. Nach Bekundungen in den ersten Tagen, die Tat würde die Beziehungen zwischen den Ländern nicht beeinträchtigen, werden die Töne inzwischen kühler. Antonion Saca hat seine Besorgnis, der Fall bliebe ungeklärt, bei einem Besuch im Weissen Haus US-Präsident George Bush mitgeteilt, der sich der Aufklärungsforderung El Salvadors anschloss. Auch das diplomatische Korps in Guatemala betrachtet die Situation mit Skepsis. Saca wurde inzwischen deutlicher und meint, "es gibt Autoritäten hohen Ranges, die vor Gericht geführt werden sollten". Ausserdem sei er inzwischen zu der Ansicht gekommen, dass "in Guatemala versucht wird, etwas zu verdecken". Doch über Mutmassungen hinaus bleiben die Umstände des ersten Verbrechens unklar, währenddessen mehr als deutlich ist, dass mit dem Mord an den Polizisten relevante Spuren verwischt werden sollten. Angeblich soll der junge D´Aubuission Verbindungen zum Drogenhandel gehabt haben, zudem sei bei einem der Ermordeten eine Menge Geld gefunden worden, mit dem eine guatemaltekische Partei finanziert werden sollte und schliesslich seien in einem versteckten Fach in ihrem Auto Spuren von weissem Pulver entdeckt worden. Dass politische Unstimmigkeiten innerhalb der ARENA auf diese Weise ausgetragen worden seien - schliesslich stehen auch in El Salvador dieses Jahr Präsidentschaftswahlen an - oder dass überhaupt Salvadoraner an diesem Mord beteiltigt sein sollen, wird indes aus dem Nachbarland dementiert. Die offizielle Version dieses Falles von guatemaltekischer Seite ist immer noch jene, die involvierten Polizisten seien eine - begrenzte - Gruppe im Dienste des organisierten Verbrechens und seien hinter kolumbianischen Drogen hergewesen. Am 28. stellte sich schliesslich einer der noch gesuchten DINC-Männer der Polizei, verweigert jedoch jede Aussage. Es war der, der an der Tankstelle gesehen worden war. Er sitzt nun im Untersuchungsgefängnis in der Zone 18 der Hauptstadt unter sechsfacher Sicherheit: zwei Leute der PNC, zwei Gefängniswärter, ein Soldat und ein Vertreter der PDH bewachen ihn. Während inzwischen einige JournalistInnen von TV- und Radiosendern sowie der Printmedien bedroht und aufgefordert wurden, den Ton ihrer Berichterstattung zu senken und sich zurück zu ziehen, bleiben viele Fragen offen. Gemäss den Ermittlungen ist den Polizisten bei der Verfolgung des Abgeordnetenwagens ab der Grenze zu El Salvador telefonisch stetig Informationen zugeflossen, sogar die Angabe des Nummernschildes des betreffenden Zielobjekts. Wie konnten sie das Auto mit potentiellen Kolumbianern verwechseln? Mit dem Wissen um die Ausstattung und das Funktionieren ihres eigenen DINC-Fahrzeuges: wie konnten sie es wagen, mit angeschaltetem GPS-Gerät zum Tatort zu fahren? Zwei der Polizisten sind vor zwei Jahren mit dem Goldenen Kreuz-Orden für besondere Verdienste ausgezeichnet worden. Waren sie tatsächlich die abgebrühten Verbrecher oder einfach bloss disziplinierte Agenten, die Befehle von oben ausführten? Auch die beinahe magische Öffnung von acht normalerweise hermetisch verschlossenen Sicherheitstüren in einem "Hochsicherheitsgefängnis", die zu den Polizisten führten, weisen doch klar darauf hin, dass "höhere Mächte" in irgendeiner Form ihre Finger mit im Spiel haben. Letztendlich verwundert nun auch die Ankündigung der Exekutive kaum, zur Säuberung die PNC komplett aufzulösen und durch eine Institution militärischen Schnittes zu ersetzen, oder zumindest engere Beziehungen zum Militär aufzubauen. Zudem ordnete Berger bereits an, die nötigen legalen Voraussetzungen zu schaffen, um kriminelle PNC-AgentInnen sofort feuern zu können. Kursieren in El Salvador jetzt extrem verstärkte Reisewarnungen für Guatemala-BesucherInnen, ist das PARLACEN schon auf der Suche nach einem sicheren Sitz, möglicherweise wird es Nicaragua. |
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