Krankenhaussystem krankt weiter
Fijáte 368 vom 20. September 2006, Artikel 3, Seite 3
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Krankenhaussystem krankt weiter
Guatemala, 13. Sept. Seit drei Monaten, genauer seit dem 9. Juni, ist die katastrophale Situation der öffentlichen Krankenhäuser in Guatemala ein öffentliches Thema geblieben (siehe ¡Fijáte! 363). Die Streiks von Seiten des medizinischen Personals hielten derweil an, währenddessen sich der Einblick in die Realität ansatzweise vertieft hat. Demnach werden im Spital in Huehuetenango Betten improvisiert, indem Stühle zusammengeschoben werden, andernorts wird Packmaterial benutzt, um Liegen zu bespannen. Von fehlendem Strom in OP-Sälen und lecken Dächern in Behandlungsräumen ganz zu schweigen. In beiden grossen Krankenhäusern in der Hauptstadt, dem "Hospital Roosevelt" und dem "Hospital General San Juan de Diós" wurde bereits der jeweilige Kollaps deklariert; acht Todesfälle werden der Unmöglichkeit zugeschrieben, sie angemessen zu versorgen. Sowohl Präsident Berger als auch sein Vize und andere PolitikerInnen haben den Häusern bereits eine Visite abgestattet, um sich ein Bild der Situation zu machen. Doch sehen sich die ÄrztInnen und anderen Krankenhausangestellten von der Regierung hintergangen, hatten sie sich doch Ende Juli auf den Vorschlag eines Dialogs eingelassen, der jedoch von Seiten der Machthabenden nicht respektiert wurde. Stattdessen wurden die MedizinerInnen vor getroffene Entscheidungen gestellt und gar vom Präsidenten Berger persönlich gewarnt, dass sie ihre Stellen verlieren würden, sollten sie weiter streiken. Andere ÄrztInnen haben gar Einschüchterungen und Morddrohungen erhalten, da sie den Direktor des San Juan de Diós, Ludwin Ovalle, aufforderten, zurückzutreten, da er sich nicht für die Interessen der Krankenhäuser einsetze. Ovalle habe den Präsidenten bloss diejenigen Bereiche des Krankenhauses sehen lassen, die ansatzweise in Ordnung waren, ohne aber die wirkliche Arbeitsumgebung der Behandelnden zu demonstrieren. Inzwischen wurden zumindest zwei Forderungen des medizinischen Personals zu Teil erfüllt: der bisherige Gesundheitsminister Marco Tulio Sosa reichte seine Kündigung ein und wurde durch den Chirurgen und Gesundheitsmanager Víctor Manuel Gutiérrez Longo ersetzt, der bis vor wenigen Monaten Kongressabgeordneter der Patriotischen Partei für San Marcos war, sich aber inzwischen unabhängig erklärte. Im Kongress war er als Vorsitzender der Gesundheitskommission tätig. Zudem wurde für den Haushalt 2007 eine Etaterhöhung von 700 Mio. Quetzales gebilligt, während die organisierten MedizinerInnen mindestens 1 Mrd. forderten. Im Moment stehen den Krankenhäusern 2 Mrd. Quetzales zur Verfügung. Doch die sozialen Organisationen CONGCOOP und das Internationale Zentrum für Untersuchungen in Menschenrechten (CIIDH) zeigten in ihrem Halbjahresbericht über die öffentlichen Ausgaben den weiteren Haken auf, dass das Gesundheitsministerium bis dato gerade einmal 9% ihres Jahresbudgets ausgegeben hätte und weniger als einen Quetzal pro Tag in die Leistungen der Ambulanz und die Notaufnahme der öffentlichen Krankenhäuser investierte. Der Kolumnist Adrián Zapata machte ausserdem darauf aufmerksam, dass der guatemaltekischen Staat gerade einmal 0.7% des Bruttoinlandsprodukts in das Gesundheitsressort stecke, die Ausgaben für die Krankenhäuser sich dabei auf 38% des ministerialen Haushalts beliefen und die jährliche Zuwendung für ein Krankenhausbett im Durchschnitt 117,46 Quetzales (ca. US-$ 16) betrage. Nach oben |
Damit liegt Guatemala gleich auf mehreren letzten bzw. ersten Plätzen im zentralamerikanischen Vergleich: bei der Lebenserwartung bei der Geburt, der Kinder- und der Müttersterblichkeit. Neben diesen pekuniären Schwierigkeiten, weisen Anzeigen zudem auf Mafias in den öffentlichen Krankenhäusern hin, die mittels Korruption und das Verschwindenlassen von Medikamenten das Ihre zur Katastrophe beitragen. Um der Administration auf die Hände zu schauen, wurde schliesslich für das Roosevelt ein Prüfer berufen, der gleich nach Amtseinnahme bekannt gab, dem Sicherheitschef der Einrichtung wegen Fahrlässigkeit und der Qualitätsmanagerin wegen fehlender Notwendigkeit ihres Jobs gekündigt zu haben. Der Personalchef hat seinen Hut wohl von selber genommen. Trotz der Ankündigung, eine umfassende Untersuchung anzustellen, um den Gebrauch aller Stationen und Ressourcen zu optimieren und die Sicherheitsvorkehrungen im Medikamentenlager durch 25 Polizeikräfte zu verstärken, legte auch der Prüfer nach kaum einer Woche und ohne genaue Erklärung sein Amt nieder. Mit dem neuen Gesundheitsminister scheint neuer Wind in die Angelegenheit zu kommen. VertreterInnen der MedizinerInnen haben sich bereits mit diesem zum Gespräch getroffen und ihm ihre Lösungsvorschläge unterbreitet. In der Zwischenzeit wurden zahlreiche PatientInnen vom Militär versorgt, das ungeachtet der Kritik aus der Zivilgesellschaft und von den öffentlichen ÄrztInnen, kurzfristig Versorgungszelte in der Stadt aufbaute. Zudem gab der Oberste Gerichtshof (CSJ) einem Rekurs des Menschenrechtsprokurats (PDH) statt und ordnete die streikenden ÄrztInnen auf, zumindest 81 Operationen an PatientInnen durchzuführen, die dringend notwendig seien. Mit Verweis auf die desaströsen Zustände, die sowohl PatientInnen wie medizinischen Personal in Gefahr brächten, machte Sprecher Sergio Rivas im Vorfeld bereits den CSJ für mögliche Folgen verantwortlich. Schliesslich wurden kurzfristig einige Anästhesieapparate angeschafft und die Operationen durchgeführt. |
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