Erste Festnahmen wegen Genozids
Fijáte 372 vom 15. Nov. 2006, Artikel 4, Seite 5
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Erste Festnahmen wegen Genozids
Guatemala, 11. Nov. Ab 6 Uhr morgens, am Dienstag, 07. November, wurde zumindest im Ansatz Realität, was der Spanische Gerichtshof bereits vor vier Monaten beantragt hatte (siehe ¡Fijáte! 362): Die ersten zwei Angeklagten wegen Genozids, Folter, Terrorismus, Mordes und illegaler Festnahmen während der Jahre 80-84 sind in polizeilichem Gewahrsam. Nachdem das Aussenministerium Ende Oktober den internationalen Haftbefehl an den Obersten Gerichtshof weitergeleitet hatte, wies dieser nun die Fünfte Strafkammer an, vier der insgesamt sieben aufgelisteten Verantwortlichen für die Taten zu verhaften: Den General Oscar Humberto Mejía Víctores, Präsident durch Putsch an Ríos Montt von 1982-86, General Ángel Anibal Guevara Rodríguez, Verteidigungsminister unter Lucas García von 1978 bis 82, den Oberst Germán Chupina Barahona, Ex-Direktor der Nationalpolizei (PN) und den Zivilisten Pedro Garíca Arredondo, Chef des berüchtigten 6. Kommandos ebendieser Nationalpolizei. Nicht auf der Haftliste stehen derweil General Benedicto Lucas García, Präsident von 1978 bis 82, der im vergangenen Mai in Venezuela gestorben ist, der ehemalige Innenminister Donaldo Álvaro Ruiz, der sich seit mindestens einem Jahr auf der Flucht befindet, sowie Efraín Ríos Montt, Präsident durch Putsch an Lucas García von 1982 bis 83 und seit mehr als 20 Jahren Generalsekretär der Republikanischen Front Guatemalas (FRG). Die Erklärungen für die Auslassung Ríos Montts sind vielseitig. Die einen verweisen auf die bereits vor Monaten von Ríos Montts Verteidiger eingereichten Verfassungsbeschwerde als Behinderung, die KammerrichterInnen bewerten die erbrachten Beweise für unzureichend, Ríos Montt für den Brand der Spanischen Botschaft am 30. Januar 1980 und den Mord an vier Spanischen Priestern zur Verantwortung ziehen zu können, denn er habe in dieser Zeit keinen entsprechenden öffentlichen Posten innegehabt, derweil aus Spanien bereits bekundet wurde, dass der Audienz ein Fehler unterlaufen und die Anklageschrift nicht vollständig übersandt worden sei, was baldmöglichst korrigiert werden soll. Ganz eindeutig beschränkt sich die spanische Argumentation nicht auf die Ereignisse, die spanische Bürger zum Opfer hatten. Ebenso liegen zahlreiche Dokumente vor, die gerade die Amtszeit von Ríos Montt als die grausamste in Sachen Massaker und aussergerichtlicher Hinrichtungen belegen: Laut dem Bericht der Wahrheitskommission CEH wurden in den 16 Monaten unter Ríos Montt 69% aller Hinrichtungen, 41% der sexuellen Verbrechen, 45% der Foltertaten verübt und 626 Massaker gezählt. Insgesamt, so publizierte die Menschenrechtsorganisation Grupo de Apoyo Mutuo (GAM), seien während des Internen bewaffneten Konflikts 1´112 Massaker durchgeführt worden, von denen 94,06% den staatlichen Kräften zugeschrieben werden. Nach oben |
Mit der Erklärung seines Anwalts, die guatemaltekische Justiz sei selbst in der Lage, Recht zu sprechen, Spanien habe somit überhaupt nichts zu sagen und die Haftbefehle seien folglich illegal, stellte sich der 81jährige ehemalige Verteidigungsminister Guevara freiwillig der Polizei und sitzt inzwischen in Untersuchungshaft in der Hauptstadt. Dort ist es ihm gleich gelungen, sich auf die Krankenstation verlegen zu lassen und leistet dort nun diversen FRG-Abgeordneten Gesellschaft. Der 86jährige Chupina leidet indes an einer wohl schweren Magenerkrankung, mit der er nun erst einmal unter Polizeischutz in ein Krankenhaus gebracht wurde. Während der ehemalige PN-Kommandochef García Arredondo gar nicht erst lokalisiert wurde, begünstigten vermeintliche Nachlässigkeiten, die sich die Zivile Nationalpolizei (PNC) und die Staatsanwaltschaft gegenseitig vorwerfen, das offenbare Verschwinden von Ex-Präsident Mejía Víctores. Dieser wohnt in einer Wohnanlage mit 36 Einheiten in der Hauptstadt und weiss als Nachbarn sowohl Verwandte als auch Freunde. Entsprechend beantragte die PNC einen Durchsuchungsbefehl für die ganze Anlage, doch die Staatsanwaltschaft wollte spezifische Angaben und genehmigte nach vier Tagen des Hin und Hers bloss die Inspektion von zwei Appartements. In der Zwischenzeit gingen in Mejías Wohnung Anwälte und Militärveteranen ein und aus, um der Familie Beistand und Rat zu leisten, verweigerten jedoch jegliche Information darüber, ob sich der Gesuchte in der Wohnung befinde. Als sich die Polizei endlich rechtlichen Zugang verschafft hatte, war die Suche erfolglos. Auch Mejía gilt seitdem als flüchtig. Unterdessen berufen sich die involvierten Anwälte fast ausschliesslich auf das Argument der ihres Erachtens nach rechtswidrigen Gerichtsbarkeit und ignorieren dabei, dass Guatemala die notwendigen internationalen Konventionen vor Jahren ratifiziert hat. Offenbar ist ihnen und den sonst gleich protestierenden Militärclans das dünne Eis, auf dem sie sich mit der Verteidigung der Angeklagte bewegen, bewusst. So ist das Bekanntwerden der Haftbefehle ohne grossen Widerhall von der Gesellschaft hingenommen worden. Auch die die Anklage unterstützenden Opfer- und Menschenrechtsorganisationen verhielten sich konziliant und begrüssten den Rechtsbescheid mit einer friedlichen Demonstration, organisiert von der Koordination "Genocidio Nunca Más", die vor dem Obersten Gerichtshof endete. Dabei verurteilten sie die Flucht Mejía Víctores und forderten die Verhaftung von Ríos Montts. |
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