Straflosigkeit par excellence - CICIG gegen Staatsanwaltschaft?
Fijáte 428 vom 11. Februar 2009, Artikel 7, Seite 6
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Straflosigkeit par excellence - CICIG gegen Staatsanwaltschaft?
Guatemala, 07. Feb. Am 30. Januar ordnete ein Richter die Festnahme des ehemaligen Staatsanwalts Álvaro Matus an. Dies hatte die Staatsanwaltschaft auf Geheiss der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) beantragt. Die von Staatsanwaltschaft und CICIG vorgebrachten Anschuldigungen gegen Matus lauten auf Ermittlungsbehinderung im Mord am Spezialagenten Víctor Rivera. Dieser war zuständig für Sondereinsätze, vornehmlich die Aufklärung von Geiselnahmen und Entführungen. Er war im April 2008 nachts im Auto auf der Strasse erschossen worden, zwei Tage, nachdem er von Präsident Álvaro Colom entlassen worden war. (¡Fijáte! 408) Álvaro Matus war leitender Staatsanwalt des Morddezernats während der Amtszeit von Generalstaatsanwalt Juan Luis Florido unter Ex-Präsident Óscar Berger. Florido kündigte aufgrund des ansteigenden Drucks Mitte 2008, nachdem die CICIG eine Liste vorlegte mit den Namen all jener, die besser aus der Staatsanwaltschaft entfernt werden sollten. Álvaro Matus, der an der Spitze dieser Liste stand, kündigte wenige Tage daraufhin selbst, gemeinsam mit dem damaligen Staatsanwalt gegen das organisierte Verbrechen, Jorge Donado, der heute als sein Anwalt auftritt. Ein anderer seiner Rechtsvertreter ist Milton Miranda, Verteidiger des Ex-Innenministers und pensionierten Militärs Byron Barrientos, der nach vier Jahren Haft im Juni 2008 freigelassen wurde. Angeklagt war dieser 2001 der Hinterziehung von 2,8 Mio. Quetzales - von insgesamt 47 Mio. - die während seiner Amtszeit aus dem Innenministerium verschwanden. Die CICIG detaillierte die Anklagepunkte gegen Matus, dem damals für die Untersuchungen von Riveras Mord zuständigen Staatsanwalt, nun auf Konspiration, Behinderung der Justiz, Autoritätsmissbrauch und unterlassene Pflichterfüllung. Zunächst hielt sich der Angeklagte nach Erlass des Haftbefehls versteckt und wurde auch bei Hausdurchsuchungen nicht lokalisiert, bis er sich am 3. Februar selbst stellte. Der Presse gegenüber bezeichnete er die Anklagepunkte gegen ihn als absurd und ohne rechtliche Grundlage. Für ihn sei das ganze eine reine Show, damit die CICIG ihre Arbeit fortsetzen könnte. Seiner Meinung nach, sei genau das das organisierte Verbrechen, und zwar auf internationaler Ebene. Bezüglich seines sich Versteckthaltens erläuterte er, dass er nicht vor der Justiz fliehe, aber sich um sein Leben sorge, denn wenn er ins Gefängnis käme, würde er nicht einen Tag überleben. Man sollte Verständnis für ihn als Person haben, schliesslich habe er als Staatsanwalt eine Reihe von Drohungen erhalten. Und es müssten sich der Generalstaatsanwalt, die für seinen Fall zuständige Staatsanwältin Tatiana Morales und die CICIG dafür verantworten, wenn seiner Familie und seinen Kindern etwas passieren würde, er sei ja schliesslich kein Verbrecher. Hätte man ihn vorgeladen, sei er auch vor Gericht erschienen, sagte Matus. Obwohl die CICIG eine Reihe von Beweisen und Ungereimtheiten im Ermittlungsprozess des Mordes an Rivera vorgelegt hat, die Matus eindeutig kompromittieren, wurde der Antrag auf Verhaftung von der ersten Gerichtsinstanz aufgrund nicht ausreichender Beweislage abgelehnt. Eine nächste Instanz nahm den Antrag an, liess die wichtigeren Anklagepunkte Konspiration und Justizbehinderung fallen, ebenfalls "aufgrund fehlender Beweise". Angeklagt wegen Autoritätsmissbrauchs und unterlassener Pflichterfüllung wurde Matus nach seiner Aussage vor Gericht indes auf freien Fuss gelassen. Er musste eine Kaution von 15´000 Quetzales zahlen, darf das Land nicht verlassen und in den ersten fünf Tagen jeden Monats im Gericht erscheinen, um zu firmieren. Eine der ersten Reaktionen von CICIG-Leiter Carlos Castresana war sein Kommentar, es sei absurd, dass 98% Straflosigkeit eine einzige Person habe verursachen können, es sei eine ganze Struktur gewesen: "Der Richter sagt: ´Es gibt keine Konspiration, denn Sie haben nur Beweise gegen einen.´ Das stimmt, aber er hat mit einer Gruppe von Leuten gehandelt, es hat eine Verschwörung gegeben. Heute bringe ich ihnen Matus, morgen werde ich andere bringen. Es ist lächerlich und peinlich für Guatemala, dass sie ihn für eine Kaution von 15´000 Quetzales haben laufen lassen." Nach oben |
Auch die Rechtsberaterin der CICIG, Yolanda Pérez, bezeichnete das Vorgehen der Staatsanwaltschaft und des Gerichts als "Messerstich in den Rücken". Der Unmut geht auf die Zusammenarbeit zwischen CICIG und Staatsanwaltschaft im Vorfeld zurück. So wurde die CICIG nicht davon in Kenntnis gesetzt, dass beim zweiten und erfolgreichen Versuch, den Anklageantrag einzureichen, die wesentlichen Punkte gestrichen wurden. Und es war der zuständige Staatsanwalt José Guillermo Acevedo, der vor Gericht die Bewährung für Matus erbat. Ausserdem berichtete Pérez, man habe die CICIG hintergangen, die vom selben Richter kurz zuvor als Nebenklägerin zugelassen worden war. Doch entgegen des üblichen Prozedere habe die CICIG während der Anhörung von Matus nicht intervenieren können: Man habe ihr Bescheid gegeben, diese würde um 14 Uhr stattfinden, doch tatsächlich sei sie für 12:30 angesetzt gewesen. "In Guatemala verschwören sich die RechtshüterInnen mit oder ohne Intention, deswegen sind wir so in der Straflosigkeit versunken", so Pérez. "Die Existenz einer Struktur, die die Straflosigkeit und Korruption im Justizsystem hält, ist weitreichend bekannt", so Luis Solano in seinem Artikel für inforpress centroamericana, der diesem Text zugrunde liegt. "Doch sie zu identifizieren und vor Gericht zu bringen, ist etwas noch nie Dagewesenes und eine Riesenherausforderung. Innerhalb dieser Struktur ist Matus nur die Spitze des Eisbergs." So weiss auch Castresana: "Die Kette der Straflosigkeit besteht aus PolizistInnen, UnternehmerInnen, PolitikerInnen, AnwältInnen, JournalistInnen, StaatsanwältInnen und RichterInnen." Castresana und die CICIG, für die diese Zusammenhänge nicht neu sind, fordern nun Erklärungen vom Generalstaatsanwalt José Amílcar Velásquez Zárate, der bislang zusammen mit seiner Institution auf eine breite Unterstützung durch Castresana zählen konnten. Derweil stellt Castresana auch dem Obersten Gerichtshof (CSJ) Forderungen: Die vor einiger Zeit vorgeschlagene Einrichtung von Gerichten, die sich speziell Schwerstverbrechen annehmen. Wenn es der Gerichtshof nicht handelt, wird die CICIG einen entsprechenden Antrag an den Kongress stellen, damit dieser die Initiative billigt. Angesichts der so klaren Offenlegung der verkrusteten Strukturen dank des paradigmatischen Falls von Matus, fordern einige Menschenrechtsorganisationen die Gesellschaft auf, eine Nationale Front gegen die Straflosigkeit zu gründen und von dieser Seite gegen die parallelen Kräfte im Justizsystem zu kämpfen. Es bleibt abzuwarten, wen die CICIG noch identifiziert, doch weder der Staatsanwaltschaft noch den Gerichten wird es gelingen, ein weiteres Mal so offensichtlich dem Druck von Innen nachzugeben. Angesichts dieser praktizierten Darbietung des traditionellen modus operandi innerhalb des Justizsystems wird indes einmal mehr deutlich, wieso anfangs - selbst im ¡Fijáte! - gross von Verbrechen oder Skandalen die Rede ist, und bald schon nichts mehr davon zu hören und lesen ist - von der Berichterstattung über Verhaftungen und Verurteilungen der dicken Fische ganz zu schweigen. |
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