Wieder einmal neue Pläne in Sachen Sicherheit!
Fijáte 433 vom 22. April 2009, Artikel 3, Seite 4
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Wieder einmal neue Pläne in Sachen Sicherheit!
Guatemala, 16. April. Der Präsident der Republik, jener der Legislative und der stellvertretende des Obersten Gerichtshofs (CSJ) sowie der Generalstaatsanwalt unterzeichneten letzte Woche die "Nationale Vereinbarung für den Fortschritt von Sicherheit und Justiz". In Begleitung des Erzbischofs von Guatemala sowie VertreterInnen der Evangelikalen Allianz, des Menschenrechtsprokurats (PDH) und der Universität San Carlos verpflichteten sich die Funktionäre zur Umsetzung von 101 Aktionen zu Gunsten der öffentlichen Sicherheit und des Justizwesens. Diese Gremien hatten im Vorfeld einen entsprechenden Vorschlag eingereicht, den die Exekutive ausgearbeitet hat. Geplant war diese Vereinbarung bereits im letzten Jahr. Nun werden die genannten zivilgesellschaftlichen Instanzen gemeinsam mit den Präsidenten der drei Staatsorgane, der Staatsanwaltschaft und den Fraktionen des Kongresses in einem Prüfausschuss die Erfüllung des Plans begleiten. Dieser umfasst die Schaffung eines Ministeriums für öffentliche Sicherheit, um die operative von der administrativen Arbeit des Innenministeriums zu trennen. Weiter die institutionelle Stärkung der Zivilen Nationalpolizei (PNC) sowie die Einführung der Berufsaus- und Weiterbildung von PolizeibeamtInnen. Im legalen Kontext stehen mindestens zwölf neue Gesetze und Reformen rund um das Gesetz des Rechtsschutzes bzw. Habeas Data, des Strafgesetzbuchs sowie der Strafprozessordnung an. Im Justizbereich beinhaltet die Vereinbarung, auch das Gesetz der juristischen Berufsausbildung zu reformieren, um das Disziplinarsystem gegen RichterInnen, AnwältInnen und sonstige Justizangestellte zu stärken. Ausserdem sollen Gerichte mit erweiterter Kompetenz eröffnet werden, um speziell Schwerstverbrechen zu behandeln. Neben dem Überprüfungsausschuss soll es einen Rundtisch mit der Zivilbevölkerung und eine Koordination mit der Internationalen Gemeinschaft geben, um die Beständigkeit des weltläufig als "Roadmap" genannten Dokuments zu garantieren und innerhalb der nächsten 45 Tage ein Chronogramm mit Indikatoren zu erarbeiten, die den Fortschritt messbar machen sollen. Bei der Präsentation der Vereinbarung griff Präsident Colom auf seine Erklärung zurück, die Unsicherheit sei aus der sozialen und geplanten Gewalt hervorgegangen. Diese gehe zurück auf die Administrationen der zwei vorherigen Regierungen und zeige sich jetzt in der "Industrie des Mordens". Demgegenüber insistierte er auf die unbedingte Unterstützung der Internationalen Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) und die Stärkung der Koordination zwischen den drei Staatsorganismen. Während StaatsfunktionärInnen sich optimistisch zeigten, äusserte Menschenrechtsprokurator Sergio Morales im Namen der Begleitgruppe seine Unzufriedenheit hinsichtlich einiger Aspekte. Er wies darauf hin, dass die Justiz auf dem Holzweg sei, solange die Unabhängigkeit in der Funktionsausübung der RichterInnen und AnwältInnen nicht gewährleistet sei. Zudem empfahl er, den Wahl- und Ernennungsprozess der RichterInnen am Obersten Gerichtshof und am Berufungsgericht zu reformieren. Das diplomatische Corps versicherte der Regierung seine Unterstützung für den Plan. Derweil tönte die Antwort aus der Zivilgesellschaft verhaltener. Schliesslich war ihr, sowie generell der Öffentlichkeit, inklusive Unternehmertum und Kongress, der Entwurf der Vereinbarung nur wenige Tage vor dessen Unterzeichnung präsentiert worden, ohne dass sie in seine Abstimmung einbezogen worden waren. So fragte im Vorfeld Helen Mack von der Myrna-Mack-Stiftung, was denn die Erfüllung neuer Gesetze gewährleiste, wenn noch nicht einmal die bestehenden beachtet würden. Inzwischen meint sie jedoch, dass die Vereinbarung zu unterstützen sei und die nötigen Ressourcen aufgebracht werden müssten, damit die Verpflichtungen auch erfüllt würden. Dagegen hält der Analyst Héctor Rosada, der mit am Verhandlungstisch der Friedensverträge sass, seine Skepsis nicht zurück. Ihm erscheinen die Vereinbarungen schlicht wie ein wortreicher Brief, der in einem einzigen Dokument "die Summe all unserer Ängste" vereinige, wobei nicht klar daraus hervorgehe, welche Prioritäten verfolgt werden, welche Brauchbarkeit sie zeitigen, welche Ressourcen nötig sind und wie sie miteinander zusammenhängen. "Ich will zu verstehen geben, dass die Tatsache, aufzuzeigen, was uns Sorgen macht, nicht immer eine strategische Vision ermöglicht von dem, was wirklich wichtig ist und was wir tatsächlich lösen könnten", so der Analyst. Nach oben |
Auch die politische Opposition, allen voran die Patriotische Partei, stellt die Durchführbarkeit der Vereinbarungen in Frage. Entsprechend versichert Fraktionschefin Roxana Baldetti: "Wir werden alle 30 Tage die Fortschritte überprüfen, auch wenn ich nicht glaube, dass es viele geben wird." Die Nationale Vereinbarung ist nun der zweite Schritt in Sachen Sicherheit, ist doch das Waffen- und Munitionsgesetz tatsächlich inzwischen verabschiedet (siehe ¡Fijáte! 431). Jetzt muss es Präsident Colom noch billigen. Damit ist dann gesetzlich verankert, dass jede Person mit Lizenz bis zu drei Waffen besitzen kann, für jede davon 250 Schuss Munition, maximal 750 im Monat erwerben darf, die Strafen wegen Verstosses verschärft werden und die Kontrolle über die Waffen - entgegen der Friedensverträge - zeitweilig noch dem Verteidigungsministerium obliegt. Die dafür geschaffene Instanz, die Generaldirektion zur Kontrolle von Waffen und Munition (DIGECAM) soll innerhalb der nächsten zwei Jahre aber doch ans Innenminsterium übertragen werden. Trotz zwischenzeitlicher Umstimmung bleibt derweil der Absatz stehen, dass alle RegierungsfunktionärInnen höheren Ranges sowie die Ehemaligen auf diesen Posten lediglich mit dem Vorzeigen ihrer entsprechenden Dokumente auch ohne Lizenz sich soviele Waffen beschaffen können, wie sie wollen. Es ist unklar, ob das Gesetz diesbezüglich rückwirkend gültig ist, deshalb kündigten die KritikerInnen bereits an, einfach nach dessen Inkrafttreten einen entsprechenden Reformantrag zu stellen. Indes bietet das Thema Sicherheit noch mehr Raum für Skepsis - und Polemik. Voller Zufriedenheit präsentierte Innenminister Salvador Gándara kürzlich den verhafteten 21jährigen Áxel Danilo Ramírez Espinoza alias "El Smiley" - nur in Unterhosen und Schuhen - der Öffentlichkeit, den Jugendbandenanführer, der laut Gánadara ganz allein für die Unsicherheit und vor allem die Mordserie an den Busfahrern verantwortlich ist (siehe ¡Fijáte! 432). Von der zuständigen Richterin wurden jedoch wegen diverser anderer Verbrechen Anklage gegen "El Smiley" erhoben, darunter illegaler Waffen- und Sprengstoffbesitz und illegale Vereinigung, doch wegen des Mordes an Busfahrern liegen keine Beweise vor. Und schliesslich wurde jetzt von der Exekutive eine neue Massnahme verkündet: Ab sofort darf auf einem Motorrad nur noch eine Person fahren! Grund dafür ist die Beobachtung, dass viele bewaffnete Überfälle und Morde an Busfahrern und anderen AutofahrerInnen von den Copiloten auf Motorrädern verübt würden. Dass viele Familien, die sich kein Auto leisten können, das Motorrad als Familiengefährt für Wege zur Arbeit, zum Einkaufen und zur Schule der Kinder nutzen und nun ihrer Mobilität beraubt sind, derweil diejenigen, die auf der Strasse einen bewaffneten Angriff planen, auch andere Mittel und Wege finden, diesen auszuführen, sind einmal mehr Aspekte, auf die die Betroffenen die tatenfreudige Regierung aufmerksam zu machen hat. |
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