¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Historische Straffreiheit
Fijáte 429 vom 25. Februar 2009, Artikel 5, Seite 6
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¡Híjole...! Die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Historische Straffreiheit
Die höchsten Richter des Obersten Gerichtshofes drehen sich mit der ehrenvollen Aufgabe im Kreis, sich darüber einig zu werden, wer ihr nächster Präsident sein soll. Derweil verharren die für die aufsehenerregendsten Fälle wie z. B. die Narcomassaker zuständigen Gerichtsinstanzen in Untätigkeit. Doch wir wollen das Oberste Gericht nicht stören, es könnte ja sein, dass dort konzentriert nach einer Lösung gesucht wird, wie in Guatemala mit der Straflosigkeit Schluss gemacht werden könnte. Unterdessen verkehren die Dossiers über die Narcomassaker von Zacapa in die Hauptstadt und zurück, als wären sie ein Überlandbus. Bloss dass ihr Job nicht jener ist, sondern darin besteht, zur Gerechtigkeit in diesem Land beizutragen. Dickköpfig wie sie sind, versuchen die RichterInnen von Zacapa und Guatemala diese verfluchten Dossiers loszuwerden, indem sie sich auf die ausgeklügeltsten Gesetzesauslegungen berufen. Seit Monaten weisen die Organisationen der Zivilgesellschaft darauf hin, dass die Straflosigkeit in Guatemala 98% beträgt! Nun dann, das ist ja schon etwas - es fehlen uns also bloss noch diese 2%, um die Goldmedaille für den am meisten gescheiterten Staat Amerikas zu erhalten. Wenigstens für diese Goldmedaille sollte es reichen, verlässt doch unsere Fussballmannschaft das Land nur, um sich auswärts lächerlich zu machen. Diese und ähnliche Nachrichten geben ein wunderbares Szenario ab zusammen mit dem Auftritt eines anderen Schmuckstücks der Nation, eines Herrn namens Alfonso Portillo, der zuerst unter Beweis stellte, dass er morden kann, und danach vorführte, wie man sich der Justiz entzieht. Seine Show läuft weiter, denn nachdem seine Zeit als Potentats-Flüchtling in Mexiko abgelaufen war, kehrte er nach Guatemala zurück um sich, in der Rolle des guten Kumpels, den Richtern zu stellen - mit dem Scheck für die Kaution in der Tasche. Einige Medien behaupten nun, dass es nicht bloss die 140 Millionen Quetzales waren, die der Typ während seiner Zeit als Präsident mitgehen liess, sondern dass er ausserdem mehr als 900 Millionen Quetzales aus den Budgets des Erziehungs-, Gesundheits- und Innenministeriums ins Verteidigungsministerium umleitete und von dort nach Europa auf die mehr als siebzig Bankkonten seiner Strohmänner buchen liess. Wie hübsch! Welch vorbildlicher Landesvater! Wir warten mit Ungeduld auf die neue Partei, die er zu gründen verspricht. Sie könnte ja zum Beispiel heissen "Partei der schnellen und zuverlässigen Justiz". Um das Bild zu vervollständigen, veröffentlichte die Zeitschrift elPeriódico am 9. Februar 2009 irgendwo im Innenteil die Nachricht, die in anderen Ländern auf der Titelseite erschienen wäre: Niemand geringerer als der Gefängnisdirektor und Ex-Militär Eddy Morales und sein Vizedirektor Eduardo Táger sowie der Direktor des Untersuchungsgefängnisses der Zone 18 "haben direkte Verbindungen zum Handel von Drogen und Waffen in besagtem Gefängnis". Und die Herren Morales und Táger "versuchten, durch Verlegung der Schwerverbrecher, diese von der Narcogruppe "Los Zetas" zu trennen, damit diese fliehen kann". Atmen Sie tief durch und sagen Sie nichts. Aber es war der Fall von Álvaro Matus, der vor einigen Tagen das Fass von Carlos Castresana, Leiter der CICIG, der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala, zum Überlaufen brachte. Ausgerechnet diesem Herrn Matus, ehemals leitender Staatsanwalt im Morddezernat, wird die Zerstörung und das Verschwindenlassen von Beweismaterial im Fall der Ermordung des Spezialagenten Víctor Rivera nachgewiesen. Nach dieser Geschichte konnte Castresano nicht mehr länger auf dem Mund sitzen. Er erklärte, dass die Straflosigkeit in Guatemala das Resultat "einer Kette von Komplizenschaften ist, die in der Polizei beginnt, in der Staatsanwaltschaft, dem Justiz- und Gefängniswesen weitergeht, zu der private wie PflichtverteidigerInnen gehören, und die bis in die höchsten Ebenen der Politik hineinreicht. So kommt es, dass von hundert GuatemaltekInnen bloss zwei von der Justiz 'bedacht' werden, derweil die anderen 98 keinen Hauch von ihr zu spüren bekommen". Man könnte sagen, die Straflosigkeit in Guatemala funktioniere wie ein Fliessband: sie läuft wie am Schnürchen, alle arbeiten einander zu, alles ist bestens organisiert. Und dahinter steckt jemand, denn wir wissen alle, dass die Arbeit am Fliessband bestens organisiert sein muss. Nach oben |
Die Frage nach dem "Jemand" öffnet neue Szenarien, tiefere und beunruhigendere. Wer hat das Schweigen und die hermetisch geschützte Straflosigkeit für die Verbrechen des Krieges angeordnet? Wer hat alle Arten von Menschenrechtsverbrechen begangen und die Straflosigkeit oder Flucht der verantwortlichen Täter dieser Verbrechen ermöglicht? Und mit etwas weiterem Fokus betrachtet: Wer hat systematisch das Schweigen und die Straflosigkeit über alle Angriffe gegen die indigenen Völker angeordnet, von der Unabhängigkeit über die Zeiten der Kaffeediktaturen bis zum heutigen Tag? Wer ordnet heute den Medien an, den Kampf der Gemeinden zu verschweigen, die ihr Land und ihr Heim verteidigen (zitiert aus der guatemaltekischen Nationalhymne), in San Marcos, in San Juan Sacatepéquez, in Izabal? Land, das ihr ökologisches und nationales Vermögen bildet? Gibt es jemanden, der sich traut, die PolitikerInnen und UnternehmerInnen zu bestrafen, die Gesetze erlassen, dank derer unsere Ressourcen in massiver Weise an transnationale Unternehmen verschenkt werden? Wem nützen diese Schachzüge - cui prodest, um es mit den lateinischen JuristInnen zu sagen? Die letzte Version der strukturellen Straflosigkeit fand während des Krieges statt. Dazu äussert sich Helen Mack in einem Interview in der Zeitung La Hora (www.lahora.com.gt-100209), und sie macht es derart mutig und mit einer Klarheit, die uns die Finsternis erhellt, in der wir uns befinden und vor Angst zittern. Doña Helen nimmt kein Blatt vor den Mund aus ihrer Verletzbarkeit als Frau und aufrechter Guatemaltekin (die nie Funktionärin dieses Staates sein wollte). Die aktuelle Straflosigkeit ist das Ergebnis der massiven Menschenrechtsverletzungen während des Krieges, welche bis heute ungestraft blieben, in dieser vermeintlichen Demokratie, die vom Militär gelenkt wird und in der das Justizsystem und der Kongress insofern die Rolle von Protagonisten spielen, als sie entweder die Schuldigen nicht zu Gericht ziehen oder sie freisprechen. Doña Helen erinnert daran, dass sich die Regierung im "Friedensabkommen zur Situation der Menschenrechte" verpflichtet hat, die illegalen Körperschaften und klandestinen Strukturen aufzulösen und zu eliminieren, die Sicherheitskräfte zu "säubern" und zu professionalisieren und den Besitz und das Tragen von Schusswaffen zu regulieren. Zweifellos ist es in dieser Nachkriegszeit soweit gekommen, dass die illegalen Körperschaften und die klandestinen Strukturen die Miteigentümer dieses Staates geworden sind (im Verbund mit den historischen Besitzern, den Oligarchen). Illegale Apparate und Körperschaften sind nichts anderes als jene Todesschwadronen und die Militäroffiziere, welche sie befehligten. Heute verbringen sie ihre Zeit mit Aktivitäten des organisierten Verbrechens und unterwandern die Institutionen des Staates. Und Doña Helen Mack schliesst mit den Worten: "Wir bräuchten einen Rechtsstaat, aber in Wirklichkeit verhandeln wir mit einem kriminellen Staat." Die Straflosigkeit ist nicht bloss eine Nachricht in unseren Medien, sie ist das Ergebnis unserer Geschichte. |
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