Anstelle von Transparenz: "Verpflichtungen anderer Art"
Fijáte 434 vom 06. Mai 2009, Artikel 3, Seite 3
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Anstelle von Transparenz: "Verpflichtungen anderer Art"
Guatemala, 01. Mai. Seit Oktober 2008 sind die RichterInnen des Obersten Gerichtshofes (CSJ) damit beschäftigt, sich einig zu werden, wer aus ihren Reihen die Präsidentschaft für das letzte Amtsjahr in der aktuellen Besetzung übernimmt. Dreissig Wahlversuche sind bislang gescheitert, da sich keine eindeutige Stimmenmehrheit abzeichnet. Somit ist das Gericht nicht voll arbeitsfähig. Und schon stehen die nächsten Wahlen an: Im Oktober werden dreizehn "neue" RichterInnen diesen Gerichtshof bestücken, auch die 82-köpfige Equipe des Berufungsgericht wird - alle fünf Jahre wieder - ausgewechselt. Vier Monate im Vorfeld beginnt der übliche Prozess, eine Postulationskommission wird zusammengestellt aus RektorInnen der Rechtsfakultäten, Delegierten der AnwältInnen- und NotarInnenkammer (CANG), KammerrichterInnen und RichterInnen des CSJ selbst. Diese Kommission erhält die Bewerbungen, wählt eine bestimmte Anzahl davon aus, und schliesslich obliegt es dem Kongress, die letzte Wahl zu treffen von denjenigen, die dann durch Präsident Colom für die nächste Amtszeit ernannt werden. Schon jetzt kursiert das Gerücht, dass sich bestimmte Parteien im Kongress zusammengetan und bereits Listen von FavoritInnen erstellt haben. Eigentlich soll der Mechanismus der integrierten Postulationskommission den Wahlprozess der Obersten RichterInnen entpolitisieren und ihre Neutralität gewährleisten. Doch, so beobachtet Carlos Castresana, Chef der Internationalen Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG), seien inzwischen ganz klar auch die nicht-staatlichen Institutionen von politischen Interessen durchdrungen. So beschreibt auch der unabhängige Analyst Giovanni Fratti die übliche Praxis als "dunkle Mafia, die mit schmutzigem Geld die KandidatInnen für den Obersten Gerichtshof und andere Schlüsselinstitutionen vorschlägt." Trotz öffentlich bekundeter Unterstützung diverser Fraktionen spürt Nineth Montenegro zurzeit heftigen Gegenwind auf dieser See. Angesichts der offenkundigen Vettern- und Cousinenwirtschaft in Bezug auf die Ernennung derer, die in den nächsten fünf Jahren Recht sprechen sollen, hat sie als Vorsitzende der Kongresskommission zur Reform des Justizsektors zusammen mit dem zivilgesellschaftlichen Zusammenschluss Pro Justicia einen Gesetzesvorschlag zur Regulierung der Magistratsernennung vorgelegt. Diese ist bislang mit viel Interpretationsspielraum allein in der Verfassung reguliert. Indes werden in der neuen Gesetzesinitiative Prozedere und Funktionen der Kommissionen festgelegt, die die Kandidaturslisten für RichterInnen am CSJ, am Berufungsgericht, für den Generalrechnungsprüfer, den Generalstaatsanwalt und die RichterInnen des Obersten Wahlgericht (TSE) aufsetzen. Ausserdem legt sie einen Kriterienkatalog für die Auswahl der KandidatInnen vor, die während des gesamten Prozesses zudem öffentlich stattfinden soll und nicht, wie bislang, hinter verschlossenen Türen. Damit diese Vorgaben gleich für die anstehenden Wahlen gelten, müssten sie zügig und vor Einberufung der Postulationskommissionen vom Kongress verabschiedet werden. Der Interimspräsident des CSJ, Rubén Eliú Higueros, drängt den kongress zur Eile. Dazu meint Nineth Montenegro: "Der Kongresspräsident kann noch bis Juli die Kommissionen zusammenrufen. Wenn es genug politischen Willen gäbe, Transparenz in die Wahlen zu bringen, wäre noch Zeit. Aber auf den Kongressgängen ist es bereits ein offenes Geheimnis, dass ein Gesetz für die Ernennung nicht gewünscht wird, denn scheinbar überwiegen Verpflichtungen anderer Art." Nach oben |
Obwohl das Gesetz durch die ersten zwei Lesungen im Parlament gegangen ist, halten zahlreiche Einwände und Artikeldiskussionen den Verabschiedungsprozess genauso auf wie "absurde Prozessmassnahmen", so Montenegro: willkürliche Pausen oder das Herauszögern und Vorziehen anderer Kongressentscheidungen. Neben dem Zeitdruck für dieses Gesetz steht nämlich in Kürze wieder die parlamentarische Sommerpause an und noch einige hängige Plenaraufgaben sind zu erledigen. Auf die Frage, wer konkret daran interessiert sein könnte, dass das Gesetz nicht gedeihe, ist Montenegro offen: "Sie mit Namen zu nennen, wäre nicht angebracht, aber ich sage Ihnen dennoch, dass es diejenigen sind, die noch ausstehende Prozesse haben und in der Vergangenheit an der Regierung waren. Nun, noch klarer kann ich es nicht sagen. Sie wollen ihre bestimmten Richter und Magistraten haben, damit im Moment der Rechtsprechung die Justiz blind ist, so wie jetzt. Aber es gehören auch jene dazu, die möglicherweise in der Zukunft einen Prozess fürchten müssen, denn wir beobachten jetzt schon so manche unklaren Machenschaften, zum Beispiel im Sozialprogramm "Meine Familie entwickelt sich", für das keine Abrechnungen eingereicht werden, wie , das ich durchaus für notwendig erachte. Man weiss nicht, ob die Gelder überhaupt fliessen und wer sie tatsächlich erhält." Die Haltung von Präsident Colom sieht Montenegro derweil in den Aussagen von Kongresspräsident Roberto Alejos widergespiegelt: Dieser spricht sich für die Einberufung der Kommissionen im Mai aus und will anstelle des Gesetzes ein Reglement aufstellen. Ausserdem seien andere Gesetze, wie das zur Steuerreform dringlicher. Die wenige Unterstützung, die die Gesetzesinitiative derzeit geniesst, kommt von der Nationalen Revolutionären Einheit Guatemalas (URNG), dem Zentrum für Soziale Aktion (CASA) und einigen unabhängigen Abgeordneten. Derweil kündigten auch die Vereinten Nationen ihr Interesse an diesem Thema an. Der Sonderbeauftragte zur Unabhängigkeit von RichterInnen und AnwältInnen, Leandro Despouy, hatte bereits bei seinem Besuch Anfang des Jahres die Situation im CSJ kritisiert: "Die Bevölkerung merkt, dass das, was in dieser Instanz diskutiert wird, sich auf Macht- und Einflussebenen abspielt, die überhaupt nichts mit der Funktion dieses Tribunals zu tun hat und darin besteht, Rechtsurteile zu fällen und die Unabhängigkeit der Judikative zu verteidigen." In den nächsten Tagen wird Despouy zu Gesprächen erneut nach Guatemala reisen. Auch wurde bereits angekündigt, dass seine Sonderkommission die Wahlen im Oktober beobachten und sich ab sofort eine entsprechende Delegation im Land aufhalten wird. |
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