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"Der Privatsektor braucht keine starken Parteien - wir schon"

Fijáte 435 vom 20. Mai 2009, Artikel 1, Seite 1

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"Der Privatsektor braucht keine starken Parteien - wir schon"

Frage: In den VGUSANF hat man aus der Krise gelernt, dass die Wall Street besser kontrolliert werden muss. Was hat Guatemala gelernt?

C.B.: Wir müssen einen Staat aufbauen, der einen minimalen Service und Sicherheit bieten kann, was das andere grosse soziale Problem bei uns ist. Mit dem Finanzpakt, den wir haben, kann man keine wettbewerbsfähige Gesellschaft aufbauen, keine qualifizierten Arbeitskräfte ausbilden, die uns in der internationalen Wirtschaft konkurrenzfähig machen. Nun verlangen die sozialen Sektoren vom Staat, dass er ihnen helfe, aber der Staat kann nicht, er ist völlig auseinander genommen worden.

Frage: Glauben Sie, dass Ihr Diskurs in der Regierung mehrheitsfähig ist?

C.B.: Es gibt Kräfte, die in diese Richtung weisen, aber auch andere, die in die Gegenrichtung tendieren. Der marktwirtschaftliche Fundamentalismus ist sehr mächtig. Innerhalb der Regierung spiegeln sich verschiedene Tendenzen. Der Präsident hat unermüdlich die Erhöhung der Sozialausgaben gepredigt, die Programme der sozialen Kohäsion sind prioritäre Strategien in der Arbeit der Regierung. Aber man muss sie finanzieren können. Kurzfristig können wir das einzig durch Schulden. Aber um ihnen längerfristig Erfolg zu garantieren, braucht es eine Steuerreform.

Frage: Dem VGGesundheitsministeriumNF wird das Budget um 375 Mio. Quetzales gekürzt. Ist das nicht ein Widerspruch?

C.B.: Das Geld wurde in ein Programm des Rats für soziale Kohäsion umgeleitet, das darin besteht, Bildung und Gesundheit zu fördern: Den Frauen wird Geld ausbezahlt, im Gegenzug bringen sie ihre VGKinderNF zur Schule oder ins VGGesundheitszentrumNF.

Frage: Aber wenn dem Gesundheitszentrum das Budget für Medikamente und Personal fehlt…

C.B.: Das ist die grosse Herausforderung. Wenn ich die Nachfrage fördere, muss ich das Angebot erhöhen. Deshalb hat die Soziale Kohäsion auch ein Budget, um Schulen oder Gesundheitszentren zu renovieren und modernisieren. Was immer wieder kritisiert wird, ist, dass die Dienstleistungen des Projekts gratis sind und die finanziellen Unterstützungen an Bedingungen geknüpft. Die Nachfrage ist riesig, und viele befürchten, dass dadurch die Qualität des Programms abnimmt. Möglicherweise hat die Regierung zu spät auf die grosse Nachfrage reagiert, aber das Programm bewährt sich. Ausserdem beendet es die Praxis, Staatsaufgaben an Private oder an Nichtregierungsorganisationen zu delegieren. Das Problem war, dass es früher nur 5 Kinder in einem Schulzimmer hatte, nun sind es 60 - das kann doch kein Problem sein!

Frage: Ein einzelnes Programm - Soziale Kohäsion - ausserhalb der Ministerien zu pushen, bedeutet dies wirklich, den Staat zu stärken?

C.B.: Diese Art von Programm wurde in ganz Lateinamerika eingeführt, und bei ihren Evaluationen zeigt sich, dass sie zur Reduktion von allgemeiner und extremer Gewalt beitragen. Es wird eine Debatte darüber geführt, wie lange solche Programme dauern sollen und wie man sie wieder absetzen kann, ohne die begünstigten Familien in die Armut zurückzukatapultieren. Das Problem, mit dem wir uns in Guatemala beschäftigen müssen, ist die Frage, wie wir nach vier Regierungen, die nichts anderes als die Staatskassen geleert haben, wieder zur Institutionalität zurückfinden. Das geht nicht von heute auf morgen. Die Ministerien sind sehr schwach in der Ausübung ihrer Funktionen. Die Regierung von Alvaro Colom wird am Ende ihrer Amtszeit eine Konterrevolution gegen die Politiken der freien Marktwirtschaft der letzten 15 Jahre auf den Weg gebracht haben.

Frage: Weshalb haben sich die Auswirkungen der Krise so schnell in den zurückgehenden Steuereinnahmen widerspiegelt?

C.B.: Weil das Steuersystem stark von den indirekten Steuern abhängig ist. Es gibt einen Rückgang der Importe, und damit gehen die darauf erhobene VGMehrwertsteuerNF und die Zölle verloren. Man muss aber auch erwähnen, dass in Zeiten wie diesen die Unternehmen listig darin sind, ihre Steuern zu umgehen. Wenn sie eine Verringerung ihrer Einkünfte verbuchen müssen, versuchen sie, dies wett zu machen, indem sie weniger Steuern bezahlen - und geben somit ihren Verlust an den Staat weiter.

Frage: In einem Land mit einem so grossen informellen Markt wie Guatemala, wie stark beeinflussen die internationalen Finanzbewegungen eigentlich das alltägliche Leben der Mehrheit?

C.B.: Die Auswirkungen der Krise sind in Guatemala nicht vom selben Ausmass wie in Ländern mit einer grossen formalen Arbeitswelt. Hier sind es die Menschen gewohnt, kreative Überlebensstrategien zu erfinden. Diese Ökonomie dreht sich um die Verfügbarkeit von Einkünften, und diese Einkünfte sind die Geldrücküberweisungen, die öffentlichen Ausgaben, der VGTourismusNF, und all diese Bereiche sind von der Finanzkrise betroffen. Deshalb braucht es dann die sozialen Einrichtungen, vor allem auch in den Städten: Suppenküchen oder das Verteilen von Essen oder Hilfsprogramme für alte Menschen.

Frage: Wer wie Sie aus den sozialen Organisationen kommt - was kann der lernen, wenn er plötzlich Zugang zur Macht bekommt?

C.B.: Ich möchte ein Beispiel nennen: Wir haben eine Wahl gewonnen, wir sind nicht am 1. Januar 1959 in die Hauptstadt einmarschiert und haben die Revolution gemacht. Wir haben eine Wahl gewonnen innerhalb eines Schemas von Allianzen, was uns einige Reformen erlaubt. Diesen Prozess zu vertiefen, braucht eine andere Art von Allianzen, ein anderes Kräfteverhältnis - hoffentlich gelingt es uns, ein solches aufzubauen! Von einer tiefgreifenden Reform in der Landwirtschaft oder im Steuersystem zu sprechen, dazu braucht es andere Allianzen. An der aktuellen Regierung beteiligt zu sein, erlaubt aber immerhin, die Sozialpolitik neu zu gestalten.

Frage: Hat sich ihre Einstellung der Privatwirtschaft gegenüber verändert?

C.B.: Ich gebe zu, dass sie sehr einflussreich ist. Die organisierte Privatwirtschaft weiss, wie man Politik macht. Die Regierungen wechseln, aber der Privatsektor bleibt derselbe, und ihre Kader haben die barbarische Fähigkeit, Prozesse aufzuhalten und ihre Interessen durchzusetzen. Wir hingegen haben es nicht geschafft, nachhaltig unsere eigenen Kader auszubilden, die es mit der Privatwirtschaft aufnehmen könnten. Bis heute ist keiner Regierung die Wiederwahl gelungen. Darum ist es so wichtig, dass die aktuelle Regierung ihre Zeit durchhält und Leute ausbildet, welche die dringend notwendigen Politiken konkretisieren können. Die Privatwirtschaft braucht keine starken Parteien - wir hingegen schon. Die VertreterInnen der Privatwirtschaft haben die verschiedenen Regierungen kommen und gehen sehen, sie wissen, wie der politische Zyklus verläuft, der zudem sehr kurz ist: im ersten Regierungsjahr wird gelernt, im zweiten gearbeitet und im dritten und vierten beginnt bereits wieder der Wahlkampf. Der private Sektor weiss sehr gut mit diesem Zyklus umzugehen: im ersten Jahr wird verhandelt, im zweiten wird weiterverhandelt und spätestens ab dem dritten ist klar, dass keine Partei wichtige Reformen durchziehen wird.


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