Kleine Hände ernten Kaffee
Fijáte 456 vom 17. März 2010, Artikel 1, Seite 1
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Kleine Hände ernten Kaffee
Die Hose des achtjährigen Miguel hat mehrere Löcher, eins direkt über der linken Pobacke. Entweder hat er das noch nicht bemerkt oder es ist ihm egal. Wenn er sich reckt und streckt, um an die hohen Kirschen der Kaffeepflanzen zu gelangen, kann man sowieso sehen, dass er keine Unterhose trägt. "Manchmal sind wir richtig wütend", schimpft er. "Es gibt Tage, da haben wir nicht genug zu essen. Dann tut uns der Magen weh." Der folgende Artikel über Kinderarbeit auf Kaffeeplantagen wurde uns freundlicherweise von Andreas Boueke zur Verfügung gestellt. Miguel erntet Kaffee auf der Finca San Jaime im Osten Guatemalas. Er trägt keine Schuhe, dafür aber eine Schirmmütze, auf die in dicken Lettern der Werbeslogan einer politischen Partei geschrieben steht: "Gemeinsam für den Fortschritt!" Bei der Ernte hat er sich einen Unterarm blutig gekratzt. Nun sitzt er im Schatten eines Kaffeestrauchs und leckt die Wunde. "Manchmal hängen nur wenige Kirschen am Strauch", sagt er. "Dann strengst du dich fast umsonst an. Ich denke, unser Leben sollte nicht so sein." Miguels Bruder, der 14jährige José, wischt sich mit einem schmutzigen Handrücken den Schweiss aus der Stirn. Er findet es nicht in Ordnung, dass kleine Kinder in der Hitze stehen und Kaffee ernten müssen. "Aber nur wenn wir alle zusammen arbeiten, wird es uns vielleicht eines Tages besser gehen", glaubt er. "Mein Vater allein schafft das nicht. Die Besitzer der Kaffeefelder behandeln uns wie Hunde, aber wir wissen, dass wir alle gleich sind im Leben." Josés Mutter, Doña Marta, hält es für normal, dass alle ihre Kinder von klein auf arbeiten. Ihre beiden Töchter haben eine feste Anstellung, die eine als Putzhilfe bei einer wohlhabenden Familie, die andere in einer Schneiderei. Auch Doña Marta hat schon als kleines Mädchen gearbeitet. Heute ist sie eine junge Frau, der die Last der Verantwortung ins Gesicht geschrieben steht. "Wir kämpfen mit den Kindern ums Überleben. Es geht ja nicht anders. Die Kleinen müssen das Arbeiten lernen, um Geld zu verdienen." Der FincabesitzerDem Besitzer der Finca San Jaime, Don Jaime Bonifaz, gehören zahlreiche Ländereien im Westen Guatemalas. Er ist 64 Jahre alt, hat graues Haar und einen auffällig dicken Bauch. Aber er ist fit und unternehmungslustig. Auf seinen Reisen nach Europa und in die USA verhandelt er mit Geschäftspartnern und geniesst das Nachtleben von Miami und Rotterdam. Seine Familie wohnt in einem exklusiven Viertel der guatemaltekischen Hauptstadt. Er selber verbringt seine Zeit lieber auf einer seiner sechs Fincas. Der kleine Miguel hat den Grossgrundbesitzer, für den er arbeitet, schon öfter gesehen. "Don Jaime ist ein wütender Mann. Er schimpft mit den Leuten, und manchmal tritt er nach ihnen. Wer ihn um Arbeit bittet, den nennt er einen Dieb. Wenn er glaubt, jemand habe von ihm gestohlen, droht er mit einem Gewehr." Der Grossvater von Don Jaime ist zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts aus Spanien nach Santo Tomas gekommen. Vor bald hundert Jahren hat er die erste Kneipe der Gegend eröffnet. Diese Geschichte hat José schon oft gehört. "Der alte Don Jaime hat den Leuten das Land weggenommen. Er hat Bier verkauft, aber weil die meisten nicht zahlen konnten, haben sie sich verschuldet. Auf diese Weise hat er sehr viel Land bekommen." Heute ist die Finca San Jaime der zentrale Standort des Landbesitzes von Jaime Bonifaz. Dort betreibt er auch eine Weiterverarbeitungsanlage für Kaffee, von der aus jedes Jahr rund fünfzigtausend Sack Kaffee in die Welt geschickt werden. An der Einfahrt des Geländes steht kein Schild, kein Hinweis auf Privatbesitz, keine Warnung, die den Zutritt verbieten würde. Trotzdem wissen die Leute, dass hier das Hoheitsgebiet von Jaime Bonifaz beginnt. Die schmale Sandpiste führt kilometerweit vorbei an Kaffeefeldern soweit das Auge sehen kann. Plötzlich öffnet sich der Blick auf eine riesige Wiese, auf der einige Jungen Fussball spielen. Zwischen den Kaffeefeldern liegt eine 900 Meter lange Graspiste, auf der ab und zu Don Jaimes jüngster Sohn mit seinem Privatflugzeug landet. Während der Erntezeit kommt Don Jaime oft auf die Finca, um mit einem seiner Geländewagen über die verschlungenen Wege zwischen den Kaffeefeldern zu fahren und die Arbeit der knapp tausend Tagelöhner zu begutachten. Sein Wohnhaus, die Hacienda, liegt hinter Stacheldraht inmitten der Finca. Miguel erzählt, er habe seinen Vater schon ein paar mal auf das Anwesen begleitet: "Es ist riesig, mit einem Schwimmbad. In dem Garten stehen viele Bäume mit Bananen, Mandarinen und Orangen. Dort lebt auch ein grosser Hund, und es gibt viele Autos. Die Wächter lassen niemanden ohne Erlaubnis rein. Sie haben Gewehre und verstecken sich." Nach oben |
Der LohnDie Tagelöhner auf der Finca San Jaime bekommen 36 Quetzales für das Pflücken von vier Kisten Kaffeekirschen. Das sind etwa drei Euro für hundert Pfund. Soviel kann eine geübte Person an einem Tag pflücken, aber nur, wenn die Bedingungen günstig sind. Mit der Hilfe ihrer Kinder schafft sie natürlich mehr. Doña Marta und ihre beiden Söhnen haben an diesem Tag nur knapp zwei Euro verdient. José ist enttäuscht. "Es werden so 24, 26 Quetzales sein, obwohl wir zu dritt gepflückt haben. Aber zum Essen brauchen wir fast 30, 40 Quetzales. Es reicht also nicht." Ein Liter Milch kostet in Guatemala fast einen Euro. Auch Fleisch ist teuer. Das kann sich Doña Marta nur selten leisten. Dafür sind frisches Obst und Gemüse günstig. Aber der Warenkorb für eine ausreichende Ernährung, so wie ihn das Kinderhilfswerk UNICEF beschreibt, steht Doña Marta nie zur Verfügung. Sie verdient ja nicht einmal den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn, und selbst der liegt weit unter dem Existenzminimum. Der Verwaltungsassistent der Finca, Don Camilo, gesteht unumwunden ein, dass er den TagelöhnerInnen zu wenig zahlt: "Sie bekommen weniger als den Mindestlohn und das auch nur während der Erntezeit. Den Rest des Jahres gibt es keine Arbeit. So gesehen geht es ihnen hier zur Zeit noch gut. Richtig hart wird es erst wieder, wenn die Ernte vorbei ist." Kurz bevor die Sonne untergeht, schleppen die ErntearbeiterInnen ihre gefüllten Säcke aus allen Winkeln der Finca bis zu einer Wegkreuzung, an der sie sich in eine Wartereihe hinter einem Lastwagen stellen. Auf der Ladefläche steht Don Camilo mit einem Schreibblock unterm Arm. Darin sind alle Familien registriert, die auf der Finca arbeiten. Hinter den Namen trägt er die jeweiligen Ernteergebnisse ein. Meist entscheidet Don Camilo nach Augenmass über das Gewicht der Kaffeesäcke. Doch wenn er es genau wissen will, werden die Kaffeekirschen nach und nach in eine Holzkiste gefüllt, in die angeblich genau 25 Pfund passen. Der junge Mann räumt ein, dass er nicht immer das exakte Gewicht in sein Heftchen notiert: "Wenn sich jemand nicht ordentlich benimmt, schreibe ich nicht alles auf. Zum Beispiel versuchen manche, mich reinzulegen, so wie der Mann dort drüben. Er hat gesagt, in seinem Sack seien fünf Kästen voll. Wir haben das überprüft. Es waren nur vier. Er wollte uns also bestehlen." Don Camilo ist nicht besorgt, dass er die Ernteergebnisse der ArbeiterInnen fehlerhaft berechnen könnte. Wenn er am Ende der Woche die Summe bekannt gibt, protestiert nie jemand. Die meisten PflückerInnen können weder lesen noch rechnen. Ausserdem wissen sie, dass es sich nicht lohnt, einen Streit anzufangen. Der faire HandelIn Europa interessieren sich zunehmend mehr KaffeekonsumentInnen für die Arbeitsbedingungen der ErntearbeiterInnen auf den Plantagen. In einigen Fällen kaufen die Betreiberfirmen der Kaffeebars die Bohnen direkt bei Kooperativen in den Anbauländern. So werden Zwischenhändler ausgeschaltet und die ProduzentInnen bekommen einen sehr viel besseren Preis ausbezahlt. Ähnlich funktioniert das Prinzip des fair gehandelten Kaffees mit einem Gütesiegel. Fair Trade-Gütesiegel-Produkte werden heute in den meisten Supermarktketten angeboten. So haben die KonsumentInnen in Europa die Möglichkeit, die Lebensbedingungen einiger kleiner KaffeeproduzentInnen und ihrer Familien deutlich zu verbessern. Doch noch ist der faire Handel eine Marktnische. In Deutschland gibt es ihn seit 1970 mit dem mageren Ergebnis, dass heute zwei bis drei Prozent des Kaffees fair gehandelt wird. Bei dieser niedrigen Menge kann der faire Handel nahezu nichts an den Lebensbedingungen des Grossteils der TagelöhnerInnen in Ländern wie Guatemala ändern. Um die Situation der ArbeiterInnen auf den grossen Kaffeeplantagen zu verbessern, müssten sich die politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse innerhalb des Landes deutlich ändern. Das weiss auch der kleine José und er möchte einen Beitrag leisten: "Es gibt viele Bauern und Bäuerinnen, die protestieren, damit ihre Rechte respektiert werden. Ich finde es gut, wenn sich die Armen zusammenschliessen. Ich würde auch gerne kämpfen für die Rechte der LandarbeiterInnen. Die Situation hier ist furchtbar, aber irgendwann wird es besser werden." |
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