Negatives Urteil dem Justizsystem
Fijáte 265 vom 31. Juli 2002, Artikel 5, Seite 4
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Negatives Urteil dem Justizsystem
Guatemala, 14. Juli. Anstatt den Internationalen Tag der Justiz zu feiern, sieht sich der Rechtsorganismus in Guatemala mit grossen Sorgen konfrontiert. Neben konstanten Angriffen auf Justizangestellte besteht ein genereller Mangel an Respekt gegenüber der Erfüllung des Gesetzes. Zu den Angriffen zählen u. a. die Geiselnahme eines Richters, der Lynchmord an einem Friedensrichter im letzten Jahr und jetzt das Fehlen von ökonomischen Ressourcen im Justizorganismus, was die Krise der Rechtsverwaltung derzeit lediglich verschärft. Allein in den letzten Wochen kam es zu dramatischen Übergriffen auf RichterInnen: In Nebaj, Quiché, wurde die Richterin Griselda Yoc von einer Menschenmenge aus ihrer Kanzlei mit Gewalt herausgefordert und gezwungen, die rechtliche Situation eines Gefangenen zu erklären. In der Hauptstadt wurde der Richter Javier Alegría für drei Stunden als Geisel genommen und schliesslich, am Kopf verletzt, in Antigua Guatemala wieder freigelassen. Erst in dieser Woche wurde auf die Kanzlei der Richterin Flor de María García Villatoro geschossen. Das Büro befindet sich im 15. Stockwerk des Turms der Tribunale. Bislang ist der Fall noch nicht geklärt, der Schuss muss jedoch aus einer Entfernung von 300 bis 400 Meter aus der Richtung des Stadtzentrums abgegeben worden sein, bevor er durch Fenster und Rolladen schliesslich in der Wand hinter dem Schreibtisch der Richterin eindrang. García Villatoro ist mit dem Fall Gerardi betraut, der Angriff auf ihre Kanzlei wird zudem jedoch als Angriff auf den Richterstand an sich verstanden. Die Tageszeitung Prensa Libre veröffentlichte in diesen Tagen ein Interview mit José Quesada, dem Ersten Richter des Obersten Gerichtshofs, CSJ, der im Folgenden die Gründe für die Verschlechterung der Justizanwendung im Land des ewigen Frühlings erörtert. Ist es derzeit schwierig, in Guatemala Gerechtigkeit zu gewähren? Die Rechtsverwaltung ist besonders kompliziert, da sie sich sowohl mit wirtschaftlichen, plurikulturellen, topographischen als auch Situationen der wirtschaftlichen Entwicklung konfrontiert sieht. Ausserdem existiert einfach keine Kultur der Befolgung und des Respekts weder des Gesetzes noch der Behörden. Dies ist Folge von 36 Jahren des Konflikts, in dem wir als GuatemaltekInnen sehr viele Werte verloren haben, darin eingeschlossen den Respekt vor der Integrität der RichterInnen; diese müssen der Schwierigkeit der Anwendung des Gesetzes die Stirn bieten. Je unabhängiger einE RichterIn oder eine Judikative ist, desto eher besteht die Gefahr, angegriffen zu werden. Es ist einfacher, RichterIn in einem anderen Land zu sein, als in Guatemala. Was macht das Höchste Gericht, um diese Situation zu verbessern? Wir sind hartnäckig dabei, die RichterInnen und AssistentInnen in der Rechtsverwaltung weiterzubilden und die Korruption auszurotten bzw. wenigstens ihr Niveau zu vermindern. Es gibt noch eine Menge an zusätzlichen Dingen, die wir benötigen: einen angemessenen Haushalt und parallele Kampagnen, damit die BürgerInnen das Gesetz respektieren. Nach oben |
Welche Erwartungen oder Hoffnungen kann die Bevölkerung also haben? Es gibt Verzögerungen, und jene, die diese verursachen, sind vor allem die prozessführenden Anwälte. Eine Möglichkeit, dies aufzulösen, wären legislative Veränderungen, oder dass wir festlegen, dass die möglichen Zufluchten, die weder verdient noch gerechtfertigt sind, sofort zurückgewiesen werden, weil diese eventuell solche Verzögerungen zur Folge haben. Hier muss auch vom Staat die Rede sein, der straffälliges Verhalten öffentlich erlaubt. Welches zum Beispiel? Die Problematik der Ex-PAC und das Eindringen in Fincas. Ich glaube, dass der Staat in anderer Form damit umgehen müsste. Man hat politische Entscheidungen gefällt in Fällen, wo das Gesetz hätte angewendet werden müssen. Die Mittel, die genutzt werden, können wir in keinster Weise umstossen, erst recht nicht, wenn Drohungen bestehen, die verbieten, Gerechtigkeit zu üben oder Richter zu beauftragen. Ich bin total dagegen, dass man positiv auf Straftaten reagiert; dass bedeutet mit der sozialen Unordnung weiterzumachen, die wir gehabt haben. Und die wirtschaftliche Seite, verschlechtert sich die Situation? Wir sind in der Krise. Noch sind wir nicht kollabiert, aber es gibt einen Abbau von RichterInnen. Wir sind dabei, Projekte zu kürzen, wie die Modernisierung des Tribunalgebäudes, die Ernennung neuer FriedensrichterInnen oder RichterInnen in hohen Funktionen sowie die Fort- und Weiterbildung. Es besteht eine Kluft zwischen den von der Legislative verabschiedeten Gesetzen und dem Haushalt. Auf der einen Seite verabschieden sie neue Gesetze, aber wir können die RichterInnen nicht weiterbilden, damit sie von diesen Kenntnis haben. Dafür braucht es ebenfalls ökonomische Ressourcen. Für das nächste Jahr wurden 1 Millionen Quetzales verlangt, das sind fast zweieinhalb Mal mehr als sie uns in diesem Jahr gegeben haben. Doch es ist unbedingt nötig, sonst wird das Justizsystem unvermeidbar zum Erliegen gebracht. Gibt es denn dann noch Gründe, den Tag der Justiz feierlich zu begehen? Der Tag der Justiz sollte uns dazu dienen, die Stimmen für den Anstoss in Hinblick auf einen Wechsel der Justizmacht zu erneuern. Ich habe immer gehört, dass die Aufgabe der Rechtsprechung ein besondere Art des Priesteramtes sei, Ehrenhaftigkeit und Fähigkeit sind die wichtigsten Gelübde. Dieser Tag sollte uns zum Nachdenken anregen. |
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