Unruhe im Hinterland
Fijáte 264 vom 17. Juli 2002, Artikel 6, Seite 6
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Unruhe im Hinterland
Guatemala, 7. Juli. In den letzten Wochen ist es in verschiedenen Gemeinden zu Protesten der Bevölkerung gegen ihre Obrigkeiten gekommen. Zu hohe Steuern, das nicht Fertigstellen begonnener Infrastrukturarbeiten und brutale Landräumungen sind einige der Gründe, die zu Demonstrationen und Handgreiflichkeiten geführt haben. Einige Beispiele: Am 10. Juni brannten BewohnerInnen aus 43 Dörfern der Gemeinde Tecpán, Chimaltenango, die Bürgermeisterei nieder und zerstörten die Polizeistation. Grund dafür war die Ankündigung der Gemeindeverwaltung, die sehr umstrittene, einmalige Steuer über Gebäudebesitz einzutreiben. Am 22. Juni zerstörten BewohnerInnen in San Juan Atitán, Huehuetenango die Polizeistation aus Rache für die willkürlichen Verhaftungsmethoden der lokalen Polizei. Am 2. Juli blockierten BewohnerInnen verschiedener Gemeinden die Stras-se, die um den Amatitlansee führt. Sie protestierten gegen den unbegründeten Unterbruch der Strassensanierung, wodurch der Zugang zu acht Dörfern für unbestimmte Zeit erschwert ist. Mit einem übertriebenen Polizeieinsatz und unter dem Einsatz von Tränengas wurde die Strassenblockade aufgehoben. Am 4. Juli besetzten die BewohnerInnen von San Juan Sacatepéquez den Ort aus Protest gegen ihren Bürgermeister, den sie der Korruption beschuldigen. Dabei kam es zu einer dreistündigen Strassenschlacht mit der Polizei. In Jalapa sah sich der Bürgermeister gewungen, die Gemeindeverwaltung zu schliessen, da alle seine Angestellten in den Streik traten. Sie forderten die Auszahlung von je 250 Quetzales, die ihnen als Zusatzleistung versprochen wurden. Nach oben |
Diese Liste könnte endlos weiter geführt werden. Gemeinsam ist all diesen Fällen, dass sich die BewohnerInnen gegen die Willkür der Gemeindebehörde auflehnt und keinen Weg sieht, durch Verhandlungen und Dialog zu ihrem Recht zu kommen. Ob die entsprechenden Behörden nun an sich korrupt sind oder schlicht mit der ihr beauftragten Verantwortung nicht zurecht kommen, ist zweitrangig und daran wird auch das neue Gemeindegesetz und das kürzlich verabschiedete und vielgelobte Dezentralisierungsgesetz nichts ändern. Laut diesem soll den Gemeinden mehr Autonomie zukommen und die Bevölkerung mehr Einfluss auf die Gemeindepolitik nehmen können. Auch will man die finanzielle Bürokratie etwas vereinfachen. Dies mögen ja gute Vorsätze sein, doch stellt sich unweigerlich die Frage, ob die Gemeinden auf dieses "Demokratiespiel" vorbereitet sind. In Dörfern, die seit Jahrzehnten autoritär und zum Teil militärisch beherrscht wurden ist es schwierig, die Behörden zu Transparenz und Mitsprache für die Bevölkerung zu bewegen. Und für eine Bevölkerung, die Jahre der Repression hinter sich hat und die aus Frustration über die Justiz zur Selbstjustiz greift, ist es schwierig, Vertrauen in die Behörden aufzubauen. Solange die Regierung sich nicht darum bemüht, sowohl die Institutionen wie auch die Position der Bevölkerung zu stärken, sprich, rechtsstaatliche Grundstrukturen zu garantieren, werden die Gemeinden weiterhin wahlpolitischer Spielball sein und je nach der persönlichen Integrität oder der Parteizugehörigkeit ihrer BürgermeisterInnen entweder Glück oder Pech haben. |
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