Das Religiöse ist auch politisch
Fijáte 264 vom 17. Juli 2002, Artikel 1, Seite 1
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Das Religiöse ist auch politisch
Im folgenden Gespräch erzählt der guatemaltekische Befreiungstheologe Herbert Mauricio Alvarez López über seine Vorstellungen religiöser Politik bzw. politischer Religion. Alvarez López stammt aus dem Departement Santa Rosa, ist Primarlehrer und hat später Pädagogik an der USAC und Theologie an der Universität Landívar studiert. Im Moment studiert er an der Universität Freiburg i.B. 'Caritaswissenschaft', ein Studium, das auf dem Hintergrund der katholischen Theologie aufgebaut ist. Studienfächer sind u.a. christliche Soziallehre der katholischen Kirche (Ethik des Staates, der Familie, der Ökonomie und der Globalisierung), und auf der anderen Seite die psychologische Begleitung von Leuten mit unterschiedlichen Problemen. Sie haben katholische Theologie studiert und bezeichnen sich als Befreiungstheologe. Sind das nicht zwei unterschiedliche Dinge? Ich sehe keinen Widerspruch zwischen der Befreiungstheologie und der katholischen Kirche. Im Gegenteil, es waren katholische Priester, die das Fundament für die Befreiungstheologie gelegt haben. An der Universität Landívar wurde das befreiungstheologische Denken gefördert und da ich selber aus einem armen Elternhaus komme und meine Eltern sich innerhalb der Kirche bereits für soziale Gerechtigkeit eingesetzt haben, war diese Entwicklung für mich naheliegend. Was bedeutet für Sie Befreiungstheologie? Befreiungstheologie ist mehr, als nur die Messe zu besuchen, ist mehr, als die Religion nur als ein Ritual zu verstehen. Es bedeutet, sich auch der sozialen Realitäten bewusst zu sein und zu einem Akteur/einer Akteurin innerhalb dieser Realitäten zu werden. Wir sehen die Menschen als soziale Wesen, die nicht nur in einem Tempel leben, und fragen uns, wie wir diese Realität mitbestimmen und verändern können. Die Befreiungstheologie entstand nicht aus Konzepten und Theorien, sondern aus den Aktivitäten der Gemeinden. Die Methode der Befreiungstheologie beruht auf dem Beobachten/Sehen, dem Beurteilen, dem Handeln und dem Zelebrieren. Wichtig dabei ist der spirituelle Ansatz. Ohne den wären wir nichts anderes als SoziologInnen, was nicht heisst, dass die Arbeit der Soziologen schlecht wäre! Es muss in diesem Zusammenhang auch erwähnt werden, dass das Denken und Handeln der meisten Mitglieder zivilgesellschaftlicher Organisationen vom katholischen Glauben geprägt ist. Welche Tradition hat die Befreiungstheologie in Guatemala? Wenn man an Befreiungstheologie in Lateinamerika denkt, denkt man an Brasilien, Peru, Nicaragua oder El Salvador. Doch gleichzeitig gab es in allen lateinamerikanischen Ländern ab den 60er-Jahren befreiungstheologische Aktivitäten und Lebensformen. Alles begann damit, dass sich die Leute fragten, was sie der Armut, der Ausbeutung, der Marginalisierung etc., entgegensetzen konnten. Sie suchten die Antwort auf diese Frage aus einem spirituellen, religiösen Ansatz heraus. Daneben gab es auch die Gewerkschaften, die revolutionären Bewegungen, die StudentInnenbewegungen, die Antworten auf die selben Fragen suchten. Alle diese Bewegungen befanden sich im selben Kampf, benutzten jedoch unterschiedliche Mittel. Das Mittel der revolutionären Bewegung z.B. war der bewaffnete Kampf. Das Mittel der religiösen Bewegungen war die Organisation der Leute in den Kirchgemeinden. Es stimmt, in Guatemala gab es keine Persönlichkeiten der Befreiungstheologie wie z.B. Gustavo Gutiérrez oder Leonardo Boff, aber das heisst nicht, dass die Befreiungstheologie bei uns nicht gegriffen hätte. Ich selber hatte Professoren, die uns SchülerInnen diese Denkweise nahegebracht haben. Zum immer wieder gehörten Vorwurf, BefreiungstheologInnen seine Guerilleros: Es stimmt, dass Leute, die sich der Befreiungstheologie zugehörig fühlten, sich für den bewaffneten Kampf entschieden. Aber: Es waren nicht alle, sondern es war eine Minderheit. Wäre es die Mehrheit gewesen, wäre der Krieg in Guatemala anders ausgegangen. Aber vergegenwärtigen wir uns die damalige Situation: Es war die Zeit des kalten Krieges, sämtliche lateinamerikanischen Regierungen waren von den USA unterstützt und diese pflanzte den Glauben ein, dass alle Bewegungen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzten, Gewerkschaften, StudentInnenvereinigungen, marxistisch-leninistische Gruppen, religiöse Gruppierungen, oder die indigenen BäuerInnenorganisationen, bekämpft werden müssten. So kam es, dass alle zivilen und religiösen Organisationen als Guerilleros betitelt wurden. Sicher gab es Leute innerhalb unserer Organisation, die sich in einem bestimmten Moment dem bewaffneten Kampf zuwendeten, aber in diesem historischen Kontext finde ich das verständlich. Was hat die Befreiungstheologie in Guatemala erreicht? Wenn ein Krieg zu Ende ist, will niemand mehr darüber sprechen, das Erlebte ist zu schmerzhaft. Ein Erfolg der Befreiungstheologie in Lateinamerika ist die Verbreitung des Bewusstseins, dass Religion nicht eine interne Angelegenheit ist. Religion ist neben der Liturgie auch eine soziale Aktivität, die zur Gestaltung eines würdevollen Lebens beiträgt. Würde bedeutet hier: Zugang zur Bildung, zur Gesundheitsversorgung, zu Vergnügen, zur Entwicklung. Auch wenn sie sich selber nicht so definieren, beziehen sich heute viele Volksorganisationen auf die Grundsätze der Befreiungstheologie: Den Kampf für soziale Gerechtigkeit. Die Befreiungstheologie hat auch die Basis gelegt für die Rückbesinnung und das Wiederaufleben der indigenen Religionen in Lateinamerika. Sie selber sind indigener Abstammung. Wie bringen Sie diese beiden Religionen zusammen - oder sind es für Sie gar nicht zwei Religionen? Ich bin ein Produkt der Geschichte: Ich habe indigene Wurzeln, bin aber Katholik. In Guatemala ist es der indigenen Bevölkerung gelungen, ihre Identität als Mayas zu bewahren. Ich bin sehr daran interessiert, die religiösen Traditionen der Mayas, die nicht verschwunden sind, sondern verdeckt gelebt werden, wieder aufzunehmen und an die Oberfläche zu bringen. Ein Grossteil der guatemaltekischen KatholikInnen ist indigener Abstammung und lebt den Katholizismus aus der Perspektive der indigenen Kosmovision. In vielen indigenen Gemeinden gehen die Leute in die Kirche, nehmen an der Fastenwoche teil oder verehren die Jungfrau Maria und zur gleichen Zeit halten sie religiöse Zeremonien nach Maya-Tradition ab, z.B. bei der Aussaat oder der Ernte. Für die Leute ist die Vermischung der beiden Kulturen/ Religionen ein einschneidendes Erlebnis und hat die Inkulturationsbewegung gestärkt. Diese Entwicklung findet in der katholischen Kirche Guatemalas seit etwa zehn Jahren statt. Es geht darum, dass KatholikInnen indigener Abstammung eigene Liturgien zelebrieren und z.B. beim Beten die vier Himmelsrichtungen einbeziehen, die in der Maya-Kosmovision sehr wichtig sind. Daneben gibt es den eigentlichen Synkretismus, das heisst, das parallele Zelebrieren der katholischen und der Maya-Religion. Viele der katholischen Bischöfe und Priester haben das lange nicht akzeptieren können und deshalb ist es auch zu Fällen von Repression gekommen. Aber ich glaube, es ist auch ein Ergebnis der Befreiungstheologie und des Krieges mit all seinen Schrecken, dass heute diese Öffnung der katholischen Kirche stattfindet in Richtung Inkulturation der Religionen. Die Strategie der guatemaltekischen Indígenas, ihre kulturelle und religiöse Identität zu bewahren, bestand darin, dass sie nicht darüber sprachen und nur in den Dörfern, innerhalb kleiner Gemeinschaften, zelebrierten. Dabei darf nicht vergessen werden, dass es die katholische Kirche war, die die indigenen Religionen unterdrückt hat. Die katholische Kirche hat sich bis in die 70er-Jahre als Alliierte der Mächtigen verstanden. Die Befreiungstheologie hat auch dazu beigetragen, dass es zu einer Spaltung zwischen Kirche und Macht kam. Klar gibt es auch heute noch Priester oder Bischöfe, die sich in den Dienst der Mächtigen stellen, aber dieses Phänomen ist in allen Organisationen anzutreffen. Wie erklären Sie sich das Aufkommen evangelikaler Sekten, speziell seit Ende des Krieges? Das ist ja eigentlich ein Widerspruch zu all dem, was sie bisher erzählt haben. Es gibt sicher nicht nur eine Erklärung dafür. Sprechen wir von Guatemala: Nach dem Erdbeben 1976 kam viel Hilfe aus den USA. Ein grosser Teil dieser Hilfe kam von evangelikalen Sekten. (Ich möchte hier einen klaren Unterschied machen zwischen der evangelischen Kirchen, die eine gewisse Tradition haben und auch am sozialen Leben in Guatemala teilnehmen und evangelikalen Sekten, die einen religiösen Fanatismus betreiben, nicht aus ihren Tempeln herauskommen und nichts von der sozialen Realität um sie herum wahrnehmen.) Die Leute haben nicht gross danach gefragt, woher diese Hilfe kam und so konnten sich diese Sekten ausbreiten und verwurzeln. Diese Sekten waren auch ein Teil der US-amerikanischen Aufstandsbekämpfungsstrategie. Die USA liessen ihr Geld nicht nur in die Armee einfliessen, sondern auch in die evangelikalen Sekten, weil sie wussten, dass sie dadurch die Volksbewegungen spalten konnten. Und da die Leute das Geld brauchten, nahmen sie es. Für Sie ist das vielleicht schwierig zu verstehen, Ihnen kann ich kein Geld bieten und im Gegenzug verlangen, dass Sie Ihr Leben verändern, weil ihr Leben finanziell abgesichert ist, aber bei Leuten, die vor Hunger sterben, ist dies möglich. Während dem Krieg war die Tatsache, einer evangelikalen Sekte anzugehören, auch ein gewisser Schutz, weil man wusste, dass solche Leute nichts mit dem Kampf für soziale Gerechtigkeit oder mit der Guerilla zu tun hatten. Katechisten hingegen wurden viele umgebracht. So war es zumindest am Anfang des Krieges, mit der Zeit, während der Politik der verbrannten Erde, wurden dann alle umgebracht. Auch nach dem Krieg war es die materielle Not der Leute, die den Sekten Aufschwung verlieh. Es herrschte eine Kultur der Angst, des Schreckens und der Gewalt. Und heute noch, sechs Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen, bekommen die Leute Angst vor erneuter Repression, wenn wir von Organisation sprechen. Unsere aktuelle Regierung, die die Militarisierung vorantreibt, gibt allen Anlass zu dieser Angst. Das grösste Problem sehe ich in der Armut: Die Leute haben keine Perspektive. Ein Ausweg ist, Gott um Hilfe zu bitten. Beten ist nicht schlecht, das Schlechte daran ist zu glauben, dies sei der einzige Ausweg. Beten UND Handeln ist für gläubige Menschen der Weg in Richtung Entwicklung und Fortschritt. Dazu kommt, dass es schwierig ist, mit der Vergangenheit umzugehen. Es schmerzt, damit zu leben, dass mein Vater gefoltert und ermordet wurde, dass ich zusehen musste, wie meine Mutter von zwanzig Soldaten vergewaltigt wurde, und zu wissen, dass die Verantwortlichen dafür heute mein Nachbarn sind und dass sie nie dafür bestraft wurden. Nach oben |
Was empfiehlt in diesem Fall die katholische Kirche, bzw. die Befreiungstheologie? Es ist wichtig anzuerkennen, und ich glaube, das ist auch ein Erfolg der Befreiungstheologie, dass es nicht nur die Hierarchie der katholischen Kirche gibt, sondern auch die Laien. Die Befreiungstheologie hat sehr stark mit Laien gearbeitet, weshalb sie auch Probleme mit dem Vatikan bekam. Wir gehen davon aus, dass innerhalb einer Kirchgemeinde der Bischof, der Priester und der Laie nicht in einem hierarchischen sondern in einem geschwisterlichen Verhältnis zueinander stehen sollen. Seit den 70er-Jahren gibt es in der katholischen Kirche eine sehr langsame aber gute Bewegung, die die soziale Realität kritisiert. Viele Bischöfe kritisieren öffentlich diese Realität und rufen dazu auf, gemeinsam für ein besseres Land zu kämpfen. Auch aus den Basisgemeinden oder von anderen religiösen Gruppen, die sich zwar nicht als Befreiungstheologen definieren, aber so handeln (die Franziskaner, Jesuiten oder Dominikaner), werden solche Stimmen laut. Die katholische Kirche, zusammen mit der evangelischen, hat im Rahmen der Vereinigung der Zivilgesellschaft (ASC) am Friedensprozess teilgenommen. Daraus ist das Projekt REMHI entstanden. In meiner Klasse an der Universität habe ich über das REMHI gesprochen. An der Universität Landívar, wo ich selber studiert und später unterrichtet habe, studieren vor allem Jugendliche aus dem Mittelstand. Als ich nun in meiner Klasse über das REMHI gesprochen habe, kam eine der SchülerInnen nach dem Unterricht zu mir und sagte: "Professor, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, sprechen sie besser nicht von solchen Dingen". Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass 80% meiner SchülerInnen die Kinder von Militärs waren. Dies war im Jahr 2000! Ich habe dann aber weiter über dieses Thema gesprochen und als ich fragte, ob sie den REMHI-Bericht gelesen hätten, sagten die meisten sie wollten nichts davon wissen, weil der REMHI-Bericht von der katholischen Kirche käme und diese die Guerilla unterstützt habe. Ich habe es dann mit dem Bericht der CEH versucht, in dem ja auch das Militär Aussagen machte. Doch auch das interessierte sie nicht. Wir führten heftige Diskussionen in der Klasse, ich habe ihnen auch erzählt, was ich als Kind alles erlebt habe. Am Ende dieser Diskussionen kam diese Schülerin, die gescheiteste meiner Klasse, und sagte, dass mein Unterricht sehr informativ sei und alles, aber dass es ihr, als aktivem Mitglied des militärischen Geheimdienstes schwierig sei, zu akzeptieren, was ich gesagt habe. Doch es werde ihr ein Hilfe sein, um die Geschichten anders zu interpretieren, die sie in ihrem Elternhaus zu hören bekomme. Für mich zeigt dieses Erlebnis, dass darüber zu sprechen ein erster Schritt Richtung Veränderung ist. Was halten Sie davon, dass Mitarbeiter von Monseñor Gerardi, z.B. Edgar Gutiérrez oder Ronald Ochaeta, heute Regierungsposten innehaben, während die wirklich Verantwortlichen dieses Mordes ungestraft bleiben? Dies ist natürlich eine heftige Kritik und es gibt dazu die unterschiedlichsten Positionen. Ich weiss nicht, was Leute wie Ronald Ochaeta und andere, nicht nur Leute der katholischen Kirche, sondern auch aus den Indígenabewegung (z.B. Otilia Lux de Cotí) dazu bewogen hat, diese Posten anzunehmen. Einige von ihnen mögen sich gesagt haben, gut, machen wir mit und versuchen, unser Bestes zu tun, auch wenn wir nicht mit der Politik von Ríos Montt einverstanden sind. Mit der politischen Entwicklung dieser Regierung hätten diese Leute aber merken müssen, dass sie mit ihrem guten Willen nichts ausrichten können und sie hätten aus einem ethischen Verständnis heraus zuerst protestieren und dann, wenn dies nichts nützt, zurücktreten müssen. Ich persönlich hätte niemals einen Posten angenommen in einer Regierung, von der ich weiss, dass ihr Leader Massaker veranlasst hat. Ich verurteile die Leute, die den Versuch machten, nicht per se, aber dass sie heute noch in dieser korrupten, diebischen und repressiven Regierung mitmachen, verstehe ich nicht. Mein Gott, es ist alles so offensichtlich - diese Geschichte mit den Banken oder die Konten in Panama. Zur Korruption kommt die Repression gegen MenschenrechtsaktivistInnen, gegen VertreterInnen sozialer Organisationen. In einer solchen Regierung kann man nicht arbeiten, ohne seine eigene Ehre, seine Ethik und seine Würde zu verlieren! Wie sehen sie die Zukunft Guatemalas? Und was ist die Rolle der katholischen Kirche in dieser Zukunft? Jährlich wächst in Guatemala die Armut um 10%. Das heisst, die Ursachen, die zum Krieg geführt haben, sind nicht verschwunden. Was damals unterzeichnet wurde, ist das Ende des bewaffneten Konflikts - aber nicht der Friede. Solange es Leute gibt, die Hunger haben, wird es keinen Frieden geben. Solange es keine funktionierende Justiz, keine funktionierende Polizei gibt und die Gewalt herrscht, werden die Probleme weitergehen. Es hat immer Widerstand gegeben, manchmal mehr, manchmal weniger. Den grössten Erfolg sehe ich im Spielraum, den sich die Medien erkämpft haben um zu informieren und zu kritisieren. Ihre Rolle war sehr wichtig im Prozess der letzten sechs Jahre. Einen weiteren Erfolg sehe ich in der erneuten Organisierung und Stärkung der Zivilgesellschaft. Die Arbeit der NRO's und der Kirche sind sehr wichtig. Das REMHI ist ein Beispiel der guten Organisation in den Gemeinden. Was den zivilgesellschaftlichen Organisationen noch fehlt, ist die Einheit. Diese Einheit zu schaffen, gemeinsame Forderungen und Positionen zu erarbeiten, darin sehe ich die Herausforderung der Zukunft. Aber ich habe auch Angst. Ich sehe fast keinen Ausweg aus der heutigen Situation: Die Armut ist immens, die Korruption wächst und dazu kommen die Folgen der Globalisierung und des internationalen Handels. Gleichzeitig beginnt das Volk zu reagieren. Denken wir nur an die Fälle von Selbstjustiz oder die Fincabesetzungen. Und wenn wir realistisch sind, müssen wir sagen: Wer hungert, kann sich nicht organisieren. Ist es nicht vereinfacht, die Lynchjustiz und die Fincabesetzungen miteinander zu vergleichen? Das stimmt, aber beides ist ein Ausdruck der Verzweiflung. Im Fall der Lynchjustiz ist es Verzweiflung über das Nichtfunktionieren des Justizapparates. Die Besetzung der Fincas kommt aus der Verzweiflung, keine Arbeit und kein Land zu haben, um das Überleben zu sichern. Für mich ist beides ein Ausdruck der Verzweiflung über die Ausweglosigkeit dieser Situation. Klar kann man die beiden Sachen nicht vergleichen aber man darf auch in keinem der beiden Fällen das Volk dafür verantwortlich machen. Die Situation ist einfach ausser Kontrolle geraten. Gut, und nun zur Hoffnung. Meine Hoffnung ist, dass die Presse weiterhin Kritik ausübt, die zivilen Organisationen ihre Kämpfe und die NGO's ihre Projekte weiterführen und die katholische Kirche sich endlich politisch positioniert. Die katholische Kirche als politische Partei? Nein, aber dass die Kirche politisch aktiv wird. Es dürfte keine Ungerechtigkeit mehr geschehen, ohne dass die katholische Kirche sich klar dagegen positioniert. Die Kirche muss Druck ausüben, passiven Widerstand leisten. Ich würde gar soweit gehen zu sagen, die Kirche müsste sich dem Dialog verweigern. Denn der Dialog, so wie er in Guatemala geführt wird, trägt zur Aufrechterhaltung der bestehenden Situation bei. Ich bin mir bewusst, dass das, was ich eben gesagt habe, nicht das Wohlwollen aller innerhalb der katholischen Kirche erntet. Aber es hat immer schon Leute gegeben innerhalb der katholischen Kirche, die das gemacht haben, (einige mussten es auch mit ihrem Leben bezahlen), und für mich ist es der einzige gangbare Weg. |
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