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Das Religiöse ist auch politisch

Fijáte 264 vom 17. Juli 2002, Artikel 1, Seite 1

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Das Religiöse ist auch politisch

Was empfiehlt in diesem Fall die katholische Kirche, bzw. die Befreiungstheologie?

Es ist wichtig anzuerkennen, und ich glaube, das ist auch ein Erfolg der Befreiungstheologie, dass es nicht nur die Hierarchie der katholischen Kirche gibt, sondern auch die Laien. Die Befreiungstheologie hat sehr stark mit Laien gearbeitet, weshalb sie auch Probleme mit dem Vatikan bekam. Wir gehen davon aus, dass innerhalb einer Kirchgemeinde der Bischof, der Priester und der Laie nicht in einem hierarchischen sondern in einem geschwisterlichen Verhältnis zueinander stehen sollen.

Seit den 70er-Jahren gibt es in der katholischen Kirche eine sehr langsame aber gute Bewegung, die die soziale Realität kritisiert. Viele Bischöfe kritisieren öffentlich diese Realität und rufen dazu auf, gemeinsam für ein besseres Land zu kämpfen. Auch aus den Basisgemeinden oder von anderen religiösen Gruppen, die sich zwar nicht als Befreiungstheologen definieren, aber so handeln (die Franziskaner, Jesuiten oder Dominikaner), werden solche Stimmen laut.

Die katholische Kirche, zusammen mit der evangelischen, hat im Rahmen der Vereinigung der Zivilgesellschaft (VGASCNF) am Friedensprozess teilgenommen. Daraus ist das Projekt VGREMHINF entstanden. In meiner Klasse an der Universität habe ich über das REMHI gesprochen. An der Universität Landívar, wo ich selber studiert und später unterrichtet habe, studieren vor allem Jugendliche aus dem Mittelstand. Als ich nun in meiner Klasse über das REMHI gesprochen habe, kam eine der SchülerInnen nach dem Unterricht zu mir und sagte: "Professor, wenn Ihnen Ihr Leben lieb ist, sprechen sie besser nicht von solchen Dingen". Ich wusste zu diesem Zeitpunkt nicht, dass 80% meiner SchülerInnen die VGKinderNF von VGMilitärsNF waren. Dies war im Jahr 2000! Ich habe dann aber weiter über dieses Thema gesprochen und als ich fragte, ob sie den REMHI-Bericht gelesen hätten, sagten die meisten sie wollten nichts davon wissen, weil der REMHI-Bericht von der katholischen Kirche käme und diese die Guerilla unterstützt habe. Ich habe es dann mit dem Bericht der VGCEHNF versucht, in dem ja auch das Militär Aussagen machte. Doch auch das interessierte sie nicht. Wir führten heftige Diskussionen in der Klasse, ich habe ihnen auch erzählt, was ich als Kind alles erlebt habe. Am Ende dieser Diskussionen kam diese Schülerin, die gescheiteste meiner Klasse, und sagte, dass mein Unterricht sehr informativ sei und alles, aber dass es ihr, als aktivem Mitglied des militärischen VGGeheimdienstesNF schwierig sei, zu akzeptieren, was ich gesagt habe. Doch es werde ihr ein Hilfe sein, um die Geschichten anders zu interpretieren, die sie in ihrem Elternhaus zu hören bekomme. Für mich zeigt dieses Erlebnis, dass darüber zu sprechen ein erster Schritt Richtung Veränderung ist.

Was halten Sie davon, dass Mitarbeiter von Monseñor VGGerardiNF, z.B. VGEdgar GutiérrezNF oder Ronald OchaetaNF, heute Regierungsposten innehaben, während die wirklich Verantwortlichen dieses Mordes ungestraft bleiben?

Dies ist natürlich eine heftige Kritik und es gibt dazu die unterschiedlichsten Positionen. Ich weiss nicht, was Leute wie Ronald Ochaeta und andere, nicht nur Leute der katholischen Kirche, sondern auch aus den Indígenabewegung (z.B. VGOtilia Lux de CotíNF) dazu bewogen hat, diese Posten anzunehmen. Einige von ihnen mögen sich gesagt haben, gut, machen wir mit und versuchen, unser Bestes zu tun, auch wenn wir nicht mit der Politik von VGRíos MonttNF einverstanden sind. Mit der politischen Entwicklung dieser Regierung hätten diese Leute aber merken müssen, dass sie mit ihrem guten Willen nichts ausrichten können und sie hätten aus einem ethischen Verständnis heraus zuerst protestieren und dann, wenn dies nichts nützt, zurücktreten müssen. Ich persönlich hätte niemals einen Posten angenommen in einer Regierung, von der ich weiss, dass ihr Leader VGMassakerNF veranlasst hat. Ich verurteile die Leute, die den Versuch machten, nicht per se, aber dass sie heute noch in dieser korrupten, diebischen und repressiven Regierung mitmachen, verstehe ich nicht. Mein Gott, es ist alles so offensichtlich - diese Geschichte mit den Banken oder die Konten in VGPanamaNF. Zur VGKorruptionNF kommt die Repression gegen MenschenrechtsaktivistInnen, gegen VertreterInnen sozialer Organisationen. In einer solchen Regierung kann man nicht arbeiten, ohne seine eigene Ehre, seine Ethik und seine Würde zu verlieren!

Wie sehen sie die Zukunft Guatemalas? Und was ist die Rolle der katholischen Kirche in dieser Zukunft?

Jährlich wächst in Guatemala die Armut um 10%. Das heisst, die Ursachen, die zum Krieg geführt haben, sind nicht verschwunden. Was damals unterzeichnet wurde, ist das Ende des bewaffneten Konflikts - aber nicht der Friede. Solange es Leute gibt, die Hunger haben, wird es keinen Frieden geben. Solange es keine funktionierende Justiz, keine funktionierende Polizei gibt und die Gewalt herrscht, werden die Probleme weitergehen. Es hat immer Widerstand gegeben, manchmal mehr, manchmal weniger. Den grössten Erfolg sehe ich im Spielraum, den sich die Medien erkämpft haben um zu informieren und zu kritisieren. Ihre Rolle war sehr wichtig im Prozess der letzten sechs Jahre. Einen weiteren Erfolg sehe ich in der erneuten Organisierung und Stärkung der Zivilgesellschaft. Die Arbeit der NRO's und der Kirche sind sehr wichtig. Das REMHI ist ein Beispiel der guten Organisation in den Gemeinden. Was den zivilgesellschaftlichen Organisationen noch fehlt, ist die Einheit. Diese Einheit zu schaffen, gemeinsame Forderungen und Positionen zu erarbeiten, darin sehe ich die Herausforderung der Zukunft.

Aber ich habe auch Angst. Ich sehe fast keinen Ausweg aus der heutigen Situation: Die Armut ist immens, die Korruption wächst und dazu kommen die Folgen der Globalisierung und des internationalen Handels. Gleichzeitig beginnt das Volk zu reagieren. Denken wir nur an die Fälle von VGSelbstjustizNF oder die Fincabesetzungen. Und wenn wir realistisch sind, müssen wir sagen: Wer hungert, kann sich nicht organisieren.

Ist es nicht vereinfacht, die Lynchjustiz und die Fincabesetzungen miteinander zu vergleichen?

Das stimmt, aber beides ist ein Ausdruck der Verzweiflung. Im Fall der Lynchjustiz ist es Verzweiflung über das Nichtfunktionieren des Justizapparates. Die Besetzung der Fincas kommt aus der Verzweiflung, keine Arbeit und kein Land zu haben, um das Überleben zu sichern. Für mich ist beides ein Ausdruck der Verzweiflung über die Ausweglosigkeit dieser Situation. Klar kann man die beiden Sachen nicht vergleichen aber man darf auch in keinem der beiden Fällen das Volk dafür verantwortlich machen. Die Situation ist einfach ausser Kontrolle geraten.

Gut, und nun zur Hoffnung. Meine Hoffnung ist, dass die Presse weiterhin Kritik ausübt, die zivilen Organisationen ihre Kämpfe und die NGO's ihre Projekte weiterführen und die katholische Kirche sich endlich politisch positioniert.

Die katholische Kirche als politische Partei?

Nein, aber dass die Kirche politisch aktiv wird. Es dürfte keine Ungerechtigkeit mehr geschehen, ohne dass die katholische Kirche sich klar dagegen positioniert. Die Kirche muss Druck ausüben, passiven Widerstand leisten. Ich würde gar soweit gehen zu sagen, die Kirche müsste sich dem Dialog verweigern. Denn der Dialog, so wie er in Guatemala geführt wird, trägt zur Aufrechterhaltung der bestehenden Situation bei. Ich bin mir bewusst, dass das, was ich eben gesagt habe, nicht das Wohlwollen aller innerhalb der katholischen Kirche erntet. Aber es hat immer schon Leute gegeben innerhalb der katholischen Kirche, die das gemacht haben, (einige mussten es auch mit ihrem Leben bezahlen), und für mich ist es der einzige gangbare Weg.


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