Femi(ni)zid in Guatemala - Thema auf internationalen Ebenen
Fijáte 339 vom 20. Juli 2005, Artikel 8, Seite 6
Original-PDF 339 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte
Femi(ni)zid in Guatemala - Thema auf internationalen Ebenen
Guatemala, 2. Juli. Anfang des letzten Monats veröffentlichte Amnesty International (AI) einen Bericht über die gewalttätigen Morde an Frauen und Mädchen. Unter dem Titel ,,Weder Schutz noch Justiz: Morde an Frauen in Guatemala" hebt die internationale Menschenrechtsorganisation in ihrem Dokument hervor, dass die Straflosigkeit, die Diskriminierung und das Fehlen einer Koordination zwischen den Regierungsinstanzen die Hauptfesseln seien, die die Justiz in diesem Zusammenhang einschränkten. Laut Yanette Bautista, AI-Beauftragte des Regionalbüros für Amerika, beobachtet AI Guatemala bereits seit 20 Jahren; die bestehende Gewalt gegen Frauen und der Femizid seien aktuell extrem beunruhigend und müssten sofort angegangen werden. Der Bericht resümiert die Schlussfolgerungen einer Untersuchung, die seit etwa einem Jahr durchgeführt wurde und mit der Unterstützung von Autoritäten, zivilen Organisationen und Angehörigen von Betroffenen zustande kam. Zudem wurden Überlebende von Übergriffen, Aggressionen und häuslicher Gewalt interviewt. Die Studie betont dabei den Anstieg an Brutalität, mit der die Morde an Frauen in Guatemala durchgeführt würden sowie die Anzeichen an sexueller Gewalt, die an den Leichen vorgefunden worden seien. 152 von den untersuchten Fällen zwischen Januar und August 2004 zeigten demnach Merkmale einer Vergewaltigung, in 31% der Fälle seien die Frauen vor der Tat bedroht worden. Gemäss Informationen des Menschenrechtsprokurats wurden von den Morden an Frauen, die seit 2001 begangen wurden, insgesamt nur in 9% der Fälle ermittelt. Signifikant für die Haltung der Autoritäten sind zudem die Differenzen der offiziellen Daten: Während die Staatsanwaltschaft im letzten Jahr 817 Morde an Frauen zählte, berichtet das Innenministerium von 494 Fällen im selben Zeitraum. Seit Anfang des Jahres 2005 bis zum 20. Juni wurden von diesem Staatsressort 263 ermordete Frauen registriert, derweil das Netz gegen Gewalt gegen Frauen bereits von mehr als 290 durch Gewalt umgekommene Frauen in diesem Jahr spricht, die Nationale Zivilpolizei reportiert 313, andere Quellen nennen rund 400 Opfer. Zu den ermordeten Frauen in den letzten Jahren gehörten sowohl Studentinnen, Hausfrauen, Akademikerinnen, Hausangestellte, Arbeiterinnen als auch Mitglieder und Ausgestiegene von Jugendbanden und Sexarbeiterinnen. Die Behörden machen es sich derweil leicht, indem sie die Problematik der Morde an Frauen von vorneherein auf ein Phänomen in den letztgenannten gesellschaftlichen Sektoren beschränken und sich demgegenüber als machtlos erklären. ,,Das Fehlen von Untersuchungen und angemessenen Strafurteilen vermittelt die Botschaft, dass in diesem Land die Gewalt gegen Frauen akzeptabel ist", argumentiert Bautista während der Präsentation des Berichts. ,,Die wahre Dimension der Morde an Frauen in Guatemala bleibt weiterhin unbekannt", schliesst der Bericht von Amnesty. Die Morde an Frauen waren auch Thema beim Zweiten Interparlamentarischen Dialog über feminizide Gewalt, der Ende Juni in Antigua Guatemala geführt wurde und an dem, nach einem publikumsoffenen Teil in der Hauptstadt, Abgeordnete und VertreterInnen der Zivilgesellschaft aus Mexiko, Spanien und Guatemala teilnahmen. Nach oben |
Diskutiert wurden Gesetzeslagen, spezifische Sicherheitspolitiken, die Ermittlungssituation, die das Thema umrankende Straflosigkeit sowie die Pläne, die aufgegriffen werden sollen, um Normen aufzustellen. Im protokollarischen Auftakt, der vom Legislativorganismus Guatemalas koordiniert wurde, skizzierte die Anwältin und Amnesty-Botschafterin Hilda Morales, deren Name sich unter den sechs guatemaltekischen Frauen findet, die für den Friedensnobelpreis nominiert sind (siehe ¡Fijáte! 338), den Ursprung der Definition der Verbrechen gegen Frauen, die sich durch die sexuelle Zugehörigkeit der Opfer auszeichnet. Der Feminzid sei ein Problem der Politik, brachte Morales die Situation auf den Punkt. Auch wenn vor Jahren die Gewalt gegen Frauen noch dem persönlichen Umfeld zugeschrieben worden sei, sei doch gerade dieses Persönliche politisch. Von daher sei es unerlässlich, dass die zuständigen FunktionärInnen Schritte unternähmen, um diesem Phänomen zu entgegnen. Diese Forderung wurde auch von den VertreterInnen der Zivilgesellschaft unterstützt und nicht nur auf die Notwendigkeit einer Reform des guatemaltekischen Strafgesetzes beschränkt, dessen aktuelle Version aus dem Jahre 1973 stammt. Morales erläuterte als Ziele der Interparlamentarischen Dialoge die Analyse der Eigenheiten des Phänomens der Gewalt gegen Frauen in den verschiedenen Ländern und das Wecken des Interesses bei RegierungsvertreterInnen, sich für eine Strafgesetzgebung in Bezug auf diese Verbrechen einzusetzen. Marcela Lagarde, Präsidentin der Spezialkommission für Feminizid der Abgeordnetenkammer Mexikos, wies darauf hin, dass die Gewalt gegen Frauen ein wahnsinniges Niveau erreicht habe mit neuen Arten, diese zu foltern. Dies mache es notwendig, neue Begriffe in die Gesetzgebung einzuführen, um die Verbrechen benennen und bestrafen zu können. Die Kongressabgeordnete Sofia Castro machte deutlich, dass für sichtbare Veränderungen in den gleichberechtigten sozialen Beziehungen ein Wandel in der Haltung der Abgeordneten notwendig sei, da der politische Wille Hand in Hand gehe mit der entsprechenden Erkenntnis, um eine positive Wirkung zugunsten der Typifizierung und der endlichen Ausradierung dieser Verbrechen zu erreichen. Die Abgeordnete Myrna Fryneé Ponce, Mitglied der Frauenkommission des Kongresses, wies abschliessend darauf hin, dass die heuer verabschiedete Deklaration von Antigua die Fortschreibung der Verpflichtungen darstelle, die während des Ersten Dialogs im Mai 2005 in Mexiko von den teilnehmenden LändervertreterInnen übernommen wurden. In diesen war die technische und wirtschaftliche Stärkung für die Verbreitung von Massnahmen gegen die Verbrechen gegen Frauen beschlossen worden. Der nächste Interparlamentarische Dialog wird planmässig in Spanien stattfinden, Ort und Zeitpunkt blieben bei der Schliessung des Treffens noch offen. |
Original-PDF 339 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 --- Nächstes Fijáte