Anschläge gegen soziale Organisationen nehmen zu
Fijáte 335 vom 25. Mai 2005, Artikel 3, Seite 4
Original-PDF 335 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte
Anschläge gegen soziale Organisationen nehmen zu
Guatemala, 15. Mai. Im vergangenen Jahr wurden 122 Attacken gegen den sozialen Sektor ausgeführt, 12 davon waren Überfälle auf Büros von Organisationen und 15 waren tödliche Anschläge auf AktivistInnen. Rund 40% dieser Attacken finden ihre Ursache in lokalen Machtkämpfen, der Rest entspricht der Vorgehensweise des militärischen Geheimdienstes. Während der vier Regierungsjahre von Alfonso Portillo wurden 68 Überfälle auf Organisationen und ihre Büros gezählt, durchschnittlich 17 pro Jahr. Allein seit Beginn bis zum 12. Mai des Jahres 2005 wurden 65 Attacken gezählt, davon 15 Überfälle. Acht dieser Überfälle fanden zwischen dem 7. und dem 12. Mai statt, also innerhalb kürzester Zeit. Wir übersetzen im Folgenden eine Analyse der jüngsten Einschüchterungsversuche gegen die sozialen Organisationen, verfasst von Claudia Samayoa von der Nationalen Koordination der Menschenrechtsorganisationen, CONADEHGUA. ,,Die Art und Weise, wie die jüngsten Attacken ausgeführt wurden, lässt auf einen neuen Stil schliessen. In den vergangenen fünf Jahren gab es immer wieder Wellen von Attacken nach dem Muster, dass verschiedene Organisationen auf ganz unterschiedliche Art bedroht wurden. Dies ging von Einschüchterungsversuchen über Todesdrohungen bis zu Überfällen auf ihre Büros. Seit dem letzten Jahr zeichnen sich zwei neue Muster ab: Das eine sind die systematischen und andauernden Attacken gegen das Menschenrechtszentrum CALDH, das im Verlauf des letzten Jahres 28 Drohungen erhalten hat. Das andere ist die Kriminalisierung von Personen, die sich für ihre eigenen oder die Rechte von anderen einsetzen, seien dies AnwältInnen, JournalistInnen oder OrganisatorInnen von Demonstrationen. Was unterscheidet nun die Anschläge der letzten sechs Tage von denen der vergangenen fünf Jahre? Eine Gemeinsamkeit der früheren und heutigen Überfälle ist die Tatsache, dass es um den Zugang zu Informationen geht. Sowohl bei der Nationalen Koordination der BäuerInnenorganisationen, CNOC, als auch bei der Organisation der Kinder von Verschwundenen, H.I.J.O.S., wurden während der Einbrüche Computer mitgenommen. An beiden Orten wurden Fotos durchsucht oder mitgenommen, jedoch wertvolle Gegenstände dort gelassen. Ziel dieser Art von Überfällen ist, Informationen zu erhalten über die politische, finanzielle und operative Unterstützung, welche die Organisationen erhalten. Bei der CNOC geht es auch darum, ihre buchhalterische Situation bzw. ihre ökonomischen und organisatorischen Schwächen zu erfahren. Sowohl die CNOC wie auch H.I.J.O.S. waren massgeblich an den Protesten gegen das Freihandelsabkommen mit den USA und das Konzessionsgesetz beteiligt, die CNOC war quasi die operative Zentrale, von wo aus die Proteste koordiniert wurden. Diese Überfälle gleichen sich in ihrer Art denen, die im Februar gegen sechs indigene und der Indígenabewegung nahestehende Organisationen ausgeführt wurden, die an den Protesten in Sololá gegen den Minenabbau beteiligt waren. Im Falle von H.I.J.O.S. ist es der zweite Überfall in kurzer Zeit, wobei das Muster dem gleicht, das zwischen 2000 und 2001 gegen das Zentrum für Studien, Informationen und Grundlagen für die soziale Aktion, CEIBAS, angewendet wurde und schliess-lich zum Verschwinden der Organisation führte. Anders dagegen waren die Überfälle auf das Büro der Nationalen Bewegung der Menschenrechtsorganisationen in Santa Rosa, das Büro der Vereinigung der Lutherischen Kirchen im Petén, das Institut für Vergleichende Studien im Strafrecht, die Konföderation der Gewerkschaftlichen Einheit Guatemalas, CUSG, und der versuchte, jedoch von anwesenden Personen verhinderte Überfall auf die Guatemaltekische Gewerkschaftszentrale CGTG. In diesen Fällen wurde nichts mitgenommen und nichts durchsucht, doch es wurden klare Spuren hinterlassen, dass eingebrochen wurde. Einzig in Santa Rosa wurden ein Aufnahmegerät und ein Computer mitgenommen. Ganz eigenartig und beunruhigend ist der bisher letzte Überfall auf das Haus eines Mitarbeiters der Nationalen Koordination der Kooperativen (CONGCOOP) und einer österreichischen Menschenrechtsbegleiterin. Nach oben |
Dieses Haus wurde am helllichten Tag ausgiebig durchsucht und es wurden Spuren hinterlassen, wie z. B. ein T-shirt von Karl Marx, ein Bündel mit Fotos von Personen, die die beiden nicht kennen sowie der Brief eines Gefängnisinsassen. Verändert hat sich auch der Umgang der Organisationen mit den Attacken. Seit Anfang des Jahres werden aktiv die Polizei und die Staatsanwaltschaft involviert und alle Überfälle und Einschüchterungsversuche angezeigt. In allen Fällen wurden sofort Untersuchungen eingeleitet, auch wenn die Vergangenheit gezeigt hat, dass diese meist erfolglos blieben und die Fälle nach spätestens zwei Jahren archiviert wurden. Das Verhalten der Polizei und des Innenministeriums ist widersprüchlich. Einerseits werden polizeiliche Untersuchungen eingeleitet und anderseits die soziale Bewegung reprimiert. Gegen aussen zeigt man sich besorgt und leitet Schutzmassnahmen ein. Polizisten werden vor die Büros der Organisationen abkommandiert, die aber nur unregelmässig oder gar nicht anwesend sind. Mögliche Gründe für die Verschärfung der Situation sind u. a. das Scheitern der Untersuchungskommission für illegale Strukturen und klandestine Körperschaften, CICIACS, als Resultat eines politischen Abkommens der Patriotischen Partei, der Republikanischen Front Guatemalas, FRG, der Partei des nationalen Fortschritts, PAN, und der Unionistas, sowie der nicht vorhandene Wille der Regierungspartei GANA, diese Kommission wirklich durchzusetzen. Dies hat jene Kräfte gestärkt, die in- oder ausserhalb der Regierung agierend, eine Destabilisierung anstreben. Die Angriffe mit dem Ziel, an Informationen heranzukommen, ergänzen die Gerüchte, dass der zivile Geheimdienst SAE ExponentInnen der sozialen Bewegungen überwacht. Zwar gibt es dafür keine Beweise, doch die Anwesenheit beobachtender unbekannter Personen im Umkreis von Organisationen, die in die Anti-Freihandelsproteste involviert waren, lässt aufhorchen. Es bleibt die Frage, wer und mit welchem Interesse hinter diesen Informationen her ist. RegierungsfunktionärInnen haben eine Kampagne gestartet, um die VertreterInnen sozialer, umweltschützerischer und BäuerInnenorganisationen zu diffamieren, ihnen Korruption nachzusagen, sie des Terrorismus zu beschuldigen und als überholte Linke zu bezeichnen. Ebenso wurden Gerüchte verbreitet, dass die soziale Bewegung von dem venzolanischen Präsidenten Hugo Chavez und dem Kubas, Fidel Castro, finanziert würden. In den Verleumdungsdiskursen werden ferner die alten antikommunistischen Werte wieder ausgegraben. Das Andauern der Attacken gegen MenschenrechtsaktivistInnen hat zur Folge, dass selbst die Regierung sich gezwungen sieht, darüber Statistik zu führen, nebst Zahlen über Autodiebstähle, Frauenmorde, und Totschlag gibt es in der Statistik jetzt auch eine Rubrik ,,Attacken gegen MenschenrechtsverteidigerInnen". Obwohl immense Anstrengungen unternommen werden, um punktuell zusammen zu arbeiten, gibt es nach wie vor Spaltung und Konflikte zwischen und innerhalb der von den Attacken betroffenen Sektoren. Es braucht eine gemeinsame Strategie, um diesen Attacken zu begegnen und den Sektoren zu garantieren, dass sie ihre Arbeit und Aktivitäten sicher durchführen können." |
Original-PDF 335 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 --- Nächstes Fijáte