Militäreinsatz für Stan
Fijáte 346 vom 26. Okt. 2005, Artikel 9, Seite 6
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Militäreinsatz für Stan
Guatemala, 21. Okt. ,,Das Militär ist nicht der Feind des Volkes, es IST das Volk", betitelte Lionel Sisniega O. seine am 15. Oktober in Siglo XXI publizierte Kolumne und leitete damit eine Lobeshymne auf den Einsatz des guatemaltekischen Militärs (sowie des mexikanischen und US-amerikanischen) bei den Nothilfeaktionen nach Stan ein. Damit kopiert er ein Bild, das die Armee auch selber von sich geben will. Fast täglich werden Statistiken veröffentlicht, wie viele Tausend libras Bohnen und wie viele Liter Trinkwasser von den mutigen Soldaten in die abgelegensten Gemeinden des Landes gefahren oder, wenn es nicht anders geht, gebuckelt haben. Auch hier mag ein Ereignis, in diesem Fall aus Sololá, die Situation illustrieren: Nach den katastrophalen Regengüssen und Schlammlawinen, die zum Grossteil in der Nacht vom Dienstag, 4. Okt. auf den 5. und im Verlauf des Mittwochvormittags die grössten Schäden angerichtet hatten, tauchte das Militär mit den ersten 40 Mann erst Freitag morgen in Sololá auf. Anstelle die bereits tatkräftige Bevölkerung in ihren Räumungs- und Rettungsaktionen zu unterstützen, spielten sich die Soldaten als Kommandeure der freiwilligen HelferInnen auf. Zwei Szenarien boten sich derweil für den konkreten Einsatz der ausgestatteten Armee geradewegs an: Santiago Atitlán benötigte dringend Hilfe, doch das Militär war - unabhängig von der Ablehnung der Bevölkerung logistisch nicht in der Lage, sich dorthin zu begeben. Unterdessen hatte bereits der Bürgermeister aus Nahualá informiert, dass im Gebiet der Boca Costa von Nahualá, Sololá, dringend Hilfe nötig wäre und viele Gemeinden von der Aussenwelt abgeschnitten seien. Bis zum Kilometer 148 der Interamericana war der Verkehrszugang wohl eingeschränkt möglich, von hier aus musste die Hilfe per Fuss in ca. 2-3 Stundenmärschen an Ort und Stelle gebracht werden. Man sollte meinen, das Militär wäre genau für solche Aktivitäten trainiert doch der Kommandant belehrte die in Sololá engagierten Helfenden, die sich bis dahin recht erfolgreich mit der Organisation und Koordination der Rettungsaktionen beschäftigt hatten, eines Besseren: Die Boca-Costa- Aufgabe könne nicht übernommen werden, die Soldaten seien schliesslich auch nur Menschen und die nötigen Anstrengungen unzumutbar. Neben den Männern in Grün liessen sich in Sololá derweil noch weitere Persönlichkeiten sehen. Nach wochenlanger Abwesenheit aufgrund von Morddrohungen gegen ihn von Seiten der Bevölkerung, die im Zusammenhang mit den Anzeigen gegen die lokalen indigenen AktivistInnen gegen den Minenbergbau stehen, traute sich der GANA-Gouverneur erst wieder in "sein" Departement, als er sich der Begleitung durch das Militär sicher sein konnte. Derweil war Santiago Atitlán mehrmals frequentiertes Ziel von Oscar Berger, einmal gar in Begleitung von Rigoberta Menchú. Mit grossartigen Versprechen, innerhalb der nächsten sechs Tage in einem bewaldeten Teil Santiagos 400 Häuser für die aus Panabaj vertriebene Bevölkerung zu bauen, flog er schliesslich wieder von dannen. Auch der erfolgreiche guatemaltekische LatinpopSänger Ricardo Arjona stattete dem Munizip einen Besuch ab und kündigte ein Benefiz-Konzert zu Gunsten der Betroffenen an. Schliesslich liess sich auch die spanische Königin Sofía auf ihrer Reise durch Guatemala am Atitlán-See blicken und bot gleich 65 Mio. US-$ an Nothilfe an. In den Strassen Sololás patrouilliert das Militär unterdessen und steht in Grüppchen und stets in voller Ausrüstung und schwerbewaffnet nichtstuend an den Strassenecken. Bereits am 10. Oktober traf Bantz J. Craddock, Chef des Comando Sur der US-Army, in Guatemala ein, um das Ausmass der Schäden zu messen und eine Koordination der US-Hilfe an das guatemaltekische Militär zu koordinieren. Das Ganze macht einen höchst professionellen Eindruck, und man kommt nicht ganz aus dem Gefühl heraus, das alles nur eine Riesen-show ist. Zweifellos braucht das guatemaltekische Militär angesichts der Tatsache, dass einige ranghohe Militärs kurz vor einem Gerichtsprozess stehen, eine dringend notwendige Imageaufbesserung und die Nothilfe im Katastrophenfall Stan bietet sich geradezu an dafür. Es gibt aber auch harsche Kritik am offensichtlich nicht immer sehr effizienten Einsatz des Militärs. In einem Leitartikel von La Hora heisst es am 10. Nach oben |
Oktober: "Die operative Kapazität (des Militärs) hat sich verringert trotz des stetig ansteigenden Militärbudgets. Wenn das Militär wegen "schlechten Wetters" die Opfer einer Katastrophe nicht betreuen kann, dann müssen wir Gott bitten, dass am Tag, an dem wir zum Ziel eines feindlichen Angriffs werden, die Sonne scheint und kein Wind weht, da uns unsere Armee sonst nicht verteidigen kann". Da in der Frage der Effizienz offenbar Uneinigkeit herrscht, verlagerte sich die Diskussion in La Hora, ausgelöst von Chefredaktor José Carlos Marroquín, auf ein "wichtigeres" Thema. Während Tagen polemisierte er darüber, weshalb in so einem wichtigen und historischen Moment, wie der Katastrophe nach Stan, eine schmutzige und halb zerrissene Landesflagge vom Dach des Verteidigungsministeriums in der Hauptstadt wehte. Diese wurde aufgrund eines auf der Frontseite der Zeitung erschienen Fotos umgehend gewechselt und an La Hora ein öffentliches Schreiben des zuständigen Obersten geschickt: Der Zustand der Fahne spiegle die Tragödie wider, welche das Land derzeit durchlebe, auch sie habe unter Stan gelitten (als offenbar einzige Fahne in der ganzen Hauptstadt, alle anderen hätten Stan unbeschadet überstanden, wie Marroquín konterte). Sie sei beschädigt, genauso wie die Infrastruktur des Landes und die Herzen der Bevölkerung (Marroquín: Ob denn nun die Solidarität mit der leidenden Bevölkerung mit dem Auswechseln der Fahne zu Ende sei?). Man habe vorgehabt, die Fahne anlässlich des Jahrestags der Revolution am 20. Oktober zu wechseln (Marroquín: Weshalb habe man dann mit dem Wechseln nicht bis zu diesem Tag gewartet, sondern sie bei der geringsten Kritik heruntergenommen?). Und man werde diese Fahne als Zeugin des Moments im Militärmuseum ausstellen (Marroquín: Ob dafür nicht die Fahne von Sololá oder San Marcos besser geeignet wäre?). Ein paar Tage später entschuldigte sich dann auch Marroquín öffentlich, nicht für den Inhalt, sondern den Ton seiner Kritik. Während in Guatemala die Soldaten im Einsatz ihr Bestes gaben und ihre Chefs Öffentlichkeitsarbeit betrieben, traf sich der US-amerikanische Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in Miami mit seinen zentralamerikanischen Amtskollegen, um unter anderem über die Schaffung einer gemeinsamen Sofort-Eingreif-Truppe zu diskutieren. Der Aktualität zuliebe soll eine der Hauptaufgabe einer solchen Truppe sein, in Fällen von Naturkatastrophen Soforthilfe zu leisten, weitere Missionen sind, die Sicherheit der Region und die Aufrechterhaltung des Friedens zu garantieren, wobei Wert darauf gelegt wird, dass die "grossartige Idee" aus der Region komme, die die USA ihrerseits zu unterstützen wünschen. Ein weiteres Thema der Konferenz waren u.a. die 1´100 russischen Sam-7Misiles, die seit sandinistischer Zeit im Besitz des nicaraguanischen Militärs sind. Die USA befürchten, dass diese Raketen, die von der Schulter aus abgeschossen werden können und die Kapazität haben, ein Passagierflugzeug vom Himmel zu holen, in die Hände von Terroristen "fallen" könnten. In früheren Momenten verlangten die USA unter der Drohung, die Militärhilfe an Nicaragua zu kürzen, dass die Raketen vernichtet werden. Beim jetzigen Treffen konnten offenbar die Zweifel aus dem Weg geräumt werden und die Militärhilfe soll wieder aufgenommen werden. Auch die ,,nicht-traditionellen" Drohungen wie Drogenhandel und Jugendbanden wurden bei dem Treffen thematisiert. |
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