Zur Situation der Maya-Bewegung in Guatemala
Fijáte 404 vom 20. Feb. 2008, Artikel 1, Seite 1
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Zur Situation der Maya-Bewegung in Guatemala
Der Anwalt und Soziologe Carlos Guzmán Böckler ist mit seinen 77 Jahren einer der geistreichsten Intellektuellen Guatemalas. Mit einem marxistischen Background hatte er bereits vor Jahrzehnten den intellektuellen Mut, eine Interpretation der sozialen Realität seines Landes vorzuschlagen, die sich weder vom Marxismus noch vom Klassenkampf distanzieren müsse und gleichzeitig den ethnischen Aspekt, sprich den Rassismus, als Analysekriterium der heutigen Gesellschaft Guatemalas einbezog. Damit hat er sich die Kritik der lokalen Rechten eingetragen, die ihn wegen seinen sozialistischen Positionen und seiner revolutionären Militanz verfolgte. Er wurde aber ebenso von der Linken attackiert wegen seiner "vermessenen" Idee, die Indigenenfrage als Element höchster Wichtigkeit in die Geschichtsanalyse einzubeziehen. Diese Methode widersprach der eurozentristischen Vision des Sozialismus, in der Ethnizität nicht vorkam. Guatemala hat mit 60% einen hohen Anteil Indígenas in der Bevölkerung - dies nicht in die politische Analyse und Praxis einzubeziehen, bedeutet, eine wichtige Tatsache leichtfertig zu übergehen. Wir veröffentlichen ein Interview, das Marcelo Colussi von der Nachrichtenagentur Argenpress mit Carlos Guzmán Böckler führte und das am 4. Februar 2008 erschienen ist. Argenpress: Professor Guzmán Böckler, Sie sind ein ausgewiesener Kenner der Maya-Völker Guatemalas. Wie schätzen Sie deren Chancen auf Beteiligung und politischer Einflussnahme unter der neuen Regierung von Alvaro Colóm ein - vorläufig hat er ja bloss einen Maya-Vertreter in sein Kabinett aufgenommen? Carlos Guzmán Böckler: Das Panorama ist für die Mayas auch unter der Regierung Colóm sehr eingeschränkt. Ausser dem Minister für Kultur und Sport, dessen Budget sehr begrenzt ist, gibt es vielleicht noch vier oder fünf VizeministerInnen und ein paar rangniedrige Personen im Kabinett, die Indígenas sind. Die Szenerie ist also nicht sehr erfreulich für die Mayabevölkerung und dies obwohl sie vor allem in den ländlichen Gebieten die entscheidenden Stimmen abgaben, mit denen Colóm die Präsidentschaft gewann. Mir scheint, dass er sich eine Regierungsequipe zusammengestellt hat, in der die Rechten und ein paar mitte-rechts VertreterInnen dominieren und in der es nicht viel Spielraum für MayavertreterInnen gibt. Ein trauriges Beispiel ist das Bildungsministerium, denn solange dort keine Mayas vertreten sind, wird es schwierig sein, die eh schon harzig verlaufende Reform für ein mehrsprachiges und multikulturelles Erziehungsmodell weiterzubringen. Argenpress: Wie sehen Sie ganz allgemein das politische Panorama elf Jahre nach der Unterzeichnung der Friedensabkommen und ein Jahr nach Inkrafttreten des Freihandelsabkommens mit den USA? C.G.B.: Sowohl was die Friedens- wie auch was die Freihandelsabkommen betrifft, zeichnet sich ein Panorama ab, das von der Nichteinhaltung der Kernpunkte dieser Abkommen geprägt ist. Die Meistbegünstigten des Abkommens mit den USA sind die Zucker- und Fleischexporteure, in zweiter Linie dann die Gemüse-, Früchte- und Kunsthandwerkexporteure, deren Anteil aber zusammengenommen sehr gering ist. Aufgrund der Zusammensetzung der neuen Regierung muss davon ausgegangen werden, dass die Umsetzung und Einhaltung dieser Abkommen sehr langsam und schwierig sein wird. Argenpress: Die Guerillabewegung wurde vor Jahren demobilisiert und hat sich in eine politische Kraft gewandelt, die innerhalb des demokratischen Kanons singt und in den letzten Jahren an Kraft und öffentlicher Präsenz verliert. Ausdruck davon ist das schlechte Ergebnis bei den letzten Wahlen. Fühlen sich die Mayas von der ehemaligen Guerilla repräsentiert? C.G.B.: Die Wahlen vom vergangenen September und November haben eine harte Wahrheit ans Tageslicht gebracht: Die Linke bzw. die Linken - man muss in der Mehrzahl sprechen, da sie keine Einheit bilden - haben einen schweren Rückschlag einstecken müssen. Es hat sich gezeigt, dass ihre Diskurse ohne Echo blieben, und zwar nicht nur bei den Menschen, die den bewaffneten Konflikt selber erlebt haben, sondern auch bei der Jugend. Die heutigen Linken haben keine Zeit, entsprechende Vorschläge zu machen. Vielmehr beschränken sie sich darauf, den Faden wieder aufzunehmen, der 1954 mit der von der CIA unterstützten Absetzung des damaligen Präsidenten Jacobo Arbenz unterbrochen wurde. Die heutigen Linken pflegen weder eine Kommunikation mit den Organisationen des sozialen Sektors noch mit der Mittelklasse, weder in der Stadt noch auf dem Land. Die ehemalige Guerilla ist sehr schweigsam geworden, und auch sie sticht nicht durch eine hohe Maya-Vertretung hervor. Viele Maya, welche der Guerilla angehört hatten, wollen diese Vergangenheit so schnell wie möglich vergessen. Dies beweist den Zerfall der Organisation und zeigt, dass niemand in der URNG in der Lage war, die Ex-KämpferInnen um sich zu scharen und sie zu einer Stimmabgabe für diese linke Partei zu bewegen. Argenpress: Wird die Friedensnobelpreisträgerin und Quiché-Maya Rigoberta Menchú in der Lage sein, in den nächsten Jahren den politisch-sozial-kulturellen Diskurs zu bestimmen? Wird es den Maya gelingen, eine stärkere Präsenz im intersektoriellen Dialog einzunehmen? Nach oben |
C.G.B.: Rigoberta Menchú hat ihre Kampagne auf einer schwachen Basis aufgebaut und ging zu optimistisch ans Werk. Es ist im Moment schwierig vorauszusehen, ob sie und ihre Gruppe sich erholen und in Zukunft zu einer wesentlichen Kraft im indigenen politischen Diskurs werden. Es scheint mir, dass Rigoberta Menchú im Ausland mehr Prestige geniesst als in Guatemala selber. Hier erstarkte eine Gruppe von Maya-Frauen, die aus ländlichen Regionen stammen und die mit ihren Familien Opfer der Verbrechen der Militärs waren. Zu ihnen gehört zum Beispiel Rosalina Tuyuc, die zwar nicht mehr über die Militanz und Sichtbarkeit vergangener Jahre verfügt, die aber eine Maya-Frauenbewegung vorangetrieben hat, aus der zukünftige Führungspersönlichkeiten hervorgehen können. Im Moment ist es schwierig, von einer Maya-Bewegung zu sprechen, weil es viele grössere oder kleinere Einzelgruppen gibt, die miteinander um einen Führungsanspruch ringen. Dies führt zu permanenten Zusammenstössen, unnötigem Kräfteverschleiss und verzögert eine Einigkeit, die ein Vorwärtskommen versprechen könnte. Die leitenden Persönlichkeiten dieser Gruppen beanspruchen die Führung über alle, und es gibt nicht wenige unter diesen realen oder selbsternannten Maya-FührerInnen, die von den neoliberalen Regierungen vereinnahmt und von diesen für ihre propagandistischen Zwecke missbraucht werden. Solange also die internen Streitereien von den neuen und jüngeren Generationen nicht überwunden werden, wird es keinen realen Fortschritt geben. Argenpress: Gemäss den Prognosen des US-amerikanischen Geheimdienstes sind die spontanen sozialen Bewegungen Lateinamerikas wie z.B. die Piqueteros, die Landlosenbewegung, die BäuerInnenbewegungen gegen die Freihandelsabkommen etc. die grössten Feinde für die geopolitischen Interessen der USA. Unter all diesen Bewegungen fürchten sie die Indígenabewegungen am meisten. Weshalb? C.G.B.: Zweifellos könnte sich die geopolitische Vision der USA verändern, wenn es eine interne Machtverschiebung gäbe und jemand wie Obama zum Präsidenten gewählt würde. Zuviel darf man sich nicht erhoffen, aber eine Regierung unter Obama wäre sicher sensibler bezüglich rassistischer und anti-indigener Vorurteile innerhalb der US-amerikanischen Politik. So oft ich mich frage, weshalb die GringopolitikerInnen in der indigenen Bevölkerung Lateinamerikas ihren Hauptfeind sehen, den es auszumerzen gilt, so wenig weiss ich eine Antwort darauf. Aber es ist ihr Ziel, seit sie die Hegemonie über unsere Hemisphäre beanspruchen. Vielleicht erklärt sich das Misstrauen den spontanen Bewegungen gegenüber damit, dass sie, so unorganisiert sie auch sind, die prekäre Stabilität der Regierungen ins Wanken bringen können, die die USA unterstützen. Das heisst, diese fürchten die sozialen Aufstände, die in Momenten der Angst und Verzweiflung von denen ausgehen, die nichts zu verlieren haben. Ein Beispiel dafür ist der Caracazo (mehrtägiger Volksaufstand Ende Februar 1989, der vom damaligen Präsidenten Venezuelas, Carlos Andrés Pérez, brutal niedergeschlagen wurde, die Red.). Argenpress: Die zapatistische Bewegung im mexikanischen Chiapas, die schon länger als 10 Jahre existiert, hat starke indigene Wurzeln. Was bedeutet das, in einer historischen Perspektive und aus einem politischen und sozialen Verständnis heraus? C.G.B.: Leider hat die zapatistische Bewegung ausserhalb ihres direkten Wirkungsradius stark an politischer und sozialer Kraft verloren. Die Politik der mexikanischen Regierungen bestand darin, die Bewegung zu isolieren und ihre Kommunikation mit dem Rest des Landes zu unterbinden, ohne sie jedoch direkt physisch anzugreifen. Der eigentliche Guerillakampf der ZapatistInnen dauerte ja nur wenige Stunden, und ihre Bekanntheit im Ausland wuchs dank dem damals noch neuen Internet rasch. Die Mehrheit der MexikanerInnen kümmerte sich mehr um den politischen Wettkampf zwischen den Mestizen und vergass - der Rassismus stand dabei Pate - den Zapatismus, dem es an Projektion gegen aussen und Schutz gegen innen fehlte. Es war eine Guerilla zur falschen Zeit. Die anderen Guerillas der Region beendeten ihren Kampf als die ZapatistInnen begannen und hatten zu ihren Zeiten starke ausländische Unterstützung. Die guatemaltekische Guerilla zum Beispiel wurde via Mexiko bestens beliefert, umgekehrt war dies dann nicht der Fall. Die Isolierung einer bewaffneten Gruppe ist die Präambel ihrer Liquidation. Wenn die Zapatisten nicht einen politischen Weg finden, werden sie ausgerottet wie der Urwald von Chiapas, und keine NachfolgerInnen haben. So traurig dies tönt, ist es weder pessimistisch noch fatalistisch gemeint. Es gibt immer einen Ausweg, egal wie aussichtslos die Situation gerade erscheint. |
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