Thema Sicherheit: Eine Bestandsaufnahme
Fijáte 396 vom 24. Oktober 2007, Artikel 6, Seite 4
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Thema Sicherheit: Eine Bestandsaufnahme
Guatemala 18. Okt. "Guatemala befindet sich derzeit in einer seiner schwersten Krisen was Sicherheit und Justiz betrifft, mit schwerwiegenden Beschuldigungen gegen die Autoritäten wegen aussergerichtlicher Hinrichtungen, mit den schlimmsten Jahren institutioneller Gewalt, mit 19´000 gewaltsamer Todesfälle während der aktuellen Amtszeit der Regierung und einem Durchschnitt von 17 Morden am Tag, die die höchsten Raten von Morden an Frauen, Jungen und Mädchen in ganz Lateinamerika umfassen." So beschreibt Sandino Asturias Valenzuela vom Zentrum für Strategische und Sicherheitsstudien CEESC-CEG die Lage der Nation in der politischen Beilage der Tageszeitung La Hora. 90% der Morde würden demnach mit Schusswaffen verübt und, gemäss der Staatsanwaltschaft, blieben 98,7% der Verbrechen völlig ungestraft. Gleichzeitig weist Asturias darauf hin, dass die indirekte Privatisierung der Sicherheit sich festigt und das Geschäft mit der Gewalt boomt. Allein 2006 wurden etwa 50 Mio. Stück Munition legal verkauft. Jedoch von den 150´000 Angestellten der privaten Sicherheitsfirmen haben gerade einmal 30´000 ihre Waffen in der entsprechenden, immer noch dem Militär unterstehenden Behörde DECAM registriert, die Hälfte dieser Firmen funktioniert ohnehin illegal. Kurz vor der zweiten Wahlrunde um die Präsidentschaft erörtert Asturias den politischen Willen angesichts dieser Situation anhand der eingeführten Massnahmen, wie die wenig effektive Militarisierung der öffentlichen Sicherheit, aber auch der im Kongress verabschiedeten Gesetze, die zum Grossteil aufgrund der fehlenden Ressourcen dennoch auf der Strecke geblieben sind. Danach sind gebilligt und im Prinzip gültig, das Gesetz zur Schaffung des Zivilen Geheimdienst als Abteilung des Innenministeriums, das vieldiskutierte Gesetz gegen das organisierte Verbrechen, das die als solches geltenden Delikte definiert, das Gesetz des Autonomen forensischen Instituts, deren Leiterin vor kurzem ernannt wurde, das Gesetz zum Gefängniswesen, dass die Kontrolle der Haftanstalten eindeutig dem Staat zuweist und dem Aspekt der Rehabilitation neues Gewicht verleiht. Und schliesslich ist das Gesetz verabschiedet, dass die Internationale Kommission gegen die Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) ins Leben ruft. Dagegen steht noch eine Reihe von Gesetzen aus, die seit Jahren diskutiert und analysiert werden und deren Verzögerung Asturias mit dem Schutz der Geschäfte mit der Gewalt erklärt. Zu nennen sind das Gesetz des Nationalen Sicherheitssystems, das neben dem System auch einen Sicherheitsrat vorsieht, das Gesetz zu den Privaten Sicherheitsfirmen, zur Kontrolle von Waffen und Munition, das Geheimdienstgesetz, das ein entsprechendes Nationales System schaffen soll, das Gesetz zum Zugang von Information von staatlichem Vorbehalt und deren Bearbeitung sowie die Reformen des Gesetzes der öffentlichen Ordnung, dessen Stand auf die Zeit während des Konflikts zurückdatiert ist. Tatsächlich scheint das Interesse der ParlamentarierInnen nicht allzu gross zu sein, hört man die Kommentare in Bezug auf das Waffengesetz. So meint der vertretende Fraktionschef der aktuellen Regierungspartei Grosse Nationale Allianz (GANA) Jaime Martínez Lohayza: "Es gibt einige Gesetze, von denen es sein könnte, dass sie nicht mehr gebilligt werden, aber vielleicht können wir noch Vereinbarungen suchen." Der Generalsekretär der Nationalen Einheit der Hoffnung (UNE) hat derweil klar, dass der "November dafür genutzt werden muss, den Haushalt für das nächste Jahr zu verabschieden". Mitte Dezember fängt die parlamentarische Weihnachtspause an und am 14. Januar tritt der nächste Präsident sein Amt an. Nach oben |
Für die konkrete Verbesserung der Sicherheit ist nun ein Vorschlag auf Grundlage einer Untersuchung des Instituts für vergleichende Strafwissenschaften (ICCPG), der Organisation Sicherheit in Demokratie (SEDEM) und dem Zentrum für forensische Analyse und Angewendete Wissenschaften (CALCA) eingereicht worden. Gemäss deren Schlussfolgerung ist die Schaffung einer ganz neuen Kriminalpolizei unerlässlich. In der Studie wurden verschiedene Länder in Sachen Polizeistruktur verglichen: Guatemala, El Salvador, Costa Rica, Panama und Venezuela. In Guatemala und El Salvador vereint die Polizei die Funktionen der Prävention und Ermittlung von Verbrechen. In Costa Rica obliegt die Ermittlung dem Justizwesen, in Panama untersteht der Investigationsbereich der Staatsanwaltschaft und in Chile und Venezuela ist die Polizei ein Spezialkörper und hängt von der Exekutive ab. Letztere Variante resultiert laut Statistiken als erfolgreichste. Dabei verblüfft schon der zahlenmässige Vergleich: So kommen in Guatemala 5 ErmittlerInnen auf 100´000 EinwohnerInnen, dagegen 14 in El Salvador, 19 in Costa Rica und 24 Chile. Die Untersuchung streicht zudem die Bedeutung heraus, die einer speziellen Ausbildung der Staatsanwälte zukommt sowie Reformen des Strafprozesskodices. In Guatemala ist zudem nicht nur die Verteilung der Anlaufstellen völlig unzureichend. Zwar hat die Staatsanwaltschaft eine lokale Repräsentanz in den 22 Departements, ist aber nur in 35 von (bald) 333 Munizipien präsent; 67% der Kräfte der aktuellen Kriminalpolizei (DINC) ist in der Hauptstadt konzentriert. Während die Kommunikation zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft per amtlicher Mitteilung im Schnitt eine Woche braucht, zählen zu den gewöhnlichen Fehlhandlungen bei den Ermittlungen von Verbrechen die unzureichende und fehlerhafte Bearbeitung des Tatortes, die Verzögerung von forensischen Berichten, die zudem unvollständig sind, das Fehlen von Handlungsprotokollen, eine mangelhafte Verwahrpraxis und die unnötige Wiederholung der Befragung von ZeugInnen und Angehörigen. Die von Sandino Asturias genannte Quote der Verbrechensaufklärung ist unter diesen Umständen wenig verwunderlich. |
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