Geiselnahmen als Druckmittel und Grund für Druck
Fijáte 406 vom 19. März 2008, Artikel 2, Seite 3
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Geiselnahmen als Druckmittel und Grund für Druck
Izabal, 16. März. Im Departement Sololá hatten sich Fälle der "Schnellen Geiselnahmen" in der letzten Zeit massiv und ungebremst ausgebreitet. Mutmassliche Mitglieder von Jugendbanden und denen affine Täter nahmen BürgerInnen als Geisel, um von den Familien Schutzgeld zu erpressen. In einer ersten Reaktion darauf wurde von den 59 (indigene) Hilfsbürgermeistereien eine Volksversammlung einberufen und unter Anwesenheit der rund 20´000 erschienenen SololatekInnen der (offiziellen) Gemeindeverwaltung ein Ultimatum gesetzt, die bereits identifizierte Gruppe von GeiselnehmerInnen dingfest zu machen. Trotz ursprünglich friedlicher Absichten und dem erreichten Dialog mit der lokalen Regierung, machte sich am Nachmittag eine Gruppe von erzürnten EinwohnerInnen auf den Weg durch die Stadt Sololá und beschädigte die Wohnhäuser von fünf der vermeintlichen GeiselnehmerInnen, setzte diese zum Teil sogar in Brand und kündigte weitere Massnahmen an, sollte der Bürgermeister den Forderungen nicht nachkommen. In Livingston, Departement Izabal, setzte eine Gruppe von BäuerInnen das Instrument der Geiselnahme derweil als Druckmittel gegen die Regierung ein. Mitte Februar war ihr Anführer und lokaler Vertreter von der Nationalen Koordinationsstelle der Bäuerlichen Organisationen (CNOC), Ramiro Choc, während einer Protestveranstaltung festgenommen worden, an der die Bevölkerung ihren Unmut über das fehlende Interesse der Regierung ob der bestehenden lokalen Landproblematik Ausdruck verliehen. Choc, der seitdem in Haft ist, wird schwere widerrechtliche Aneignung, schwerer Raub, illegale Festnahme und Beschädigung von Privat- und Öffentlichem Eigentum vorgeworfen. Für die Bevölkerung dagegen ist Choc unschuldig und selbst wiederum Opfer illegaler Verhaftung, da es überhaupt keine Ermittlungen im Vorfeld gegeben habe; sie führt die Festnahme auf eine Anzeige eines Grossgrundbesitzers zurück, mit dem es einen Streit um die Legalisierung einer Finca in Livingston gibt. Um die Freilassung Chocs zu erreichen, nahm die Bevölkerung bei einem nächsten Protest 29 Mitglieder der Nationalen Zivilpolizei (PNC) als Geiseln, die als Verstärkung der lokalen Sicherheitskräfte nach Izabal entsendet worden waren. Durch Vermittlung des Menschenrechtsprokurates (PDH) wurden diese nach 33 Stunden wieder freigelassen. Doch die Regierung erfüllte ihrerseits nicht die Forderung der Freilassung Chocs mit der Begründung, der Fall läge den Gerichtsinstanzen vor, darauf hätte sie keinen Einfluss. Nach oben |
Besonderen Verdruss bei den BäuerInnen löste dabei die brüske Reaktion von Präsident Álvaro Colom aus. Im Gegensatz zu seiner sonst auf Dialog und Verständigung ausgerichteten politischen Haltung sprach er auf einmal von Terrorismus, den die Bevölkerung ausübe, da es sich um mehr als fünf Geiseln handle. Er machte die klare Absage, er setze sich nicht mit Leuten zusammen, die Illegales - in diesem Fall die Festnahme von unschuldigen Dritten - machten. Eine Woche lang zog sich die Polizei komplett aus Livingston zurück. Als Ramiro Choc auch weiterhin nicht freigelassen wurde, ging die Bevölkerung noch einen Schritt weiter und nahm letzte Woche vier belgische TouristInnen im Pensionsalter, die eine Tour auf dem Río Dulce antreten wollten, deren Reiseleiter und den Bootsfahrer als Geiseln und versteckten sie. Das Riesenaufgebot von Militär und PNC hatte mit seiner Suche nach den belgischen TouristInnen und ihren Begleitern kein Glück, sie artete eher in ein Katz und Maus-Spiel aus, das von einer Delegation der PDH vom Hubschrauber aus begleitet wurde. Dieser gelang es schliesslich, von einer Gruppe von BäuerInnen den tatsächlichen Aufenthaltsort der Geiseln zu erfahren und diese ohne weitere Komplikationen zu befreien. Die TouristInnen wurden gleich in die Hauptstadt gebracht und dort ins Flugzeug Richtung Belgien gesetzt. Welche rechtlichen Konsequenzen der Fall nach sich ziehen wird, ist bis dato noch unklar. Es ist nur bekannt, dass fünf der Ende Februar festgehaltenen PolizistInnen Anzeige gegen die BäuerInnen erstattet haben. Und Ramiro Choc sitzt immer noch in Haft. Für die BäuerInnen aus Livingston gilt er unter den gegebenen Umständen als politischer Gefangener. |
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