Hijóle, die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Verzeihung, aber ich glaube euch nicht
Fijáte 448 vom 18. November 2009, Artikel 7, Seite 5
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Hijóle, die monatliche Kolumne von Fernando Suazo: Verzeihung, aber ich glaube euch nicht
Ramiro Choq, der Maya-Q'eqchi'-BäuerInnenführer, der in einem zweifelhaften Gerichtsprozess zu einer achtjährige Haftstrafe verurteilt wurde, hat in diesen Tagen das folgende eindrückliche Testimonio aus dem Gefängnis schaffen können: An meiner Entführung waren sechs Soldaten beteiligt. Die Leute, die mit mir im Bus reisten, sind ZeugInnen davon, dass ich in meinem Koffer einzig ein Buch, meine Agenda und die heilige Bibel bei mir trug. Ich sagte den Soldaten, dies seien meine einzigen Waffen, weil sie immer wieder danach fragten, wo ich denn die Waffen versteckt hätte ... Nachdem sie mich aus dem Bus genommen hatten, wollten sie mich eigentlich exekutieren. Kurz vor Entre Ríos verliessen sie die asphaltierte Strasse und brachten mich zu einer abgelegenen Weide. In diesem Moment gelang es mir, einen Telefonanruf zu machen, was meine Rettung war. Kurz darauf erhielten sie einen Anruf, brachten mich zurück zur Asphaltstrasse und sagten, sie würden mich nun nach Puerto Barrios zum Richter bringen. Auf dem Weg dorthin erhielt der Fahrer einen Anruf und sagte, er kenne einen versteckten Ort in Santo Tomas de Castilla, und dorthin brachten sie mich dann mit auf dem Rücken gefesselten Händen. Gegen 17 Uhr wurden meine Entführer langsam unruhig, und als endlich der Staatsanwalt (José Eduardo Cabrera) kam, schrie er sie an, weshalb sie mich nicht umgebracht hätten. Sie sagten, "Chef, der Patron rief an, als wir ihn aus dem Bus holten, und ordnete an, ihn lebend hierherzubringen". Verärgert trat Cabrera zu mir heran und schrie "Invasor, Hurensohn ...". In diesem Moment erhielt auch er einen Anruf, und darauf hin sagte der Staatsanwalt zu den Männern: "Okay, Jungs, heute hat es nicht geklappt, wir müssen die Sache auf dem gesetzlichen Weg machen." Diese Ereignisse vom 14. Februar 2008 geschahen im Kontext des Konflikts der Guatemaltekischen Nickelcompanie (CGN), in der mehrheitlich ausländisches Geld steckt, und den rund 20 Q'eqchi'-Bauernfamilien des Dorfes Las Nubes. Die CGN beschuldigt diese Leute, ein Gelände besetzt zu haben, von dem sich das Unternehmen vor 10 Jahren zurückgezogen hatte. Das Dokument von Ramiro Choc zeigt einen in der vergangenen und aktuellen Geschichte Guatemalas wolhlbekannten modus operandi auf: Militärangehörige im Dienste ausländischer Unternehmen, in aussergerichtliche Hinrichtungen involviertes Justizpersonal und indigene Führungspersonen, die vom Staat lächerlich gemacht und bedroht werden ... Zum Glück hat es diesmal nicht geklappt, was uns erlaubt, dieses mutige Testimonio des Opfers überhaupt zu kennen. Ein Jahr und sieben Monate später, ein weiterer gewaltsamer Übergriff auf dasselbe Dorf: Am 27. September 2009 wurde ein Indígena umgebracht, vermutlich von Sicherheitsagenten der Guatemaltekischen Nickelcompanie (CGN), einem Tochteruntenehmen der kanadischen HudBay Minerals INC., nachdem sich die BäuerInnen versammelt hatten als Massnahme gegen eine mögliche gewaltsame Räumung. ZeugInnen und MenschenrechtsaktivistInnen wiesen darauf hin, dass die Sicherheitsleute von CGN gewaltsam die Mitglieder des Dorfes auseinandertrieben. Mehrere ZeugInnen belegen, dass die Sicherheitsagenten den Lehrer Adolfo Ich Chamán mit der Machete attackiert und mit Schüssen umgebracht haben (Amnesty International, 13.10.09). Der Lehrer Adolfo Ich Xaman, besorgt um die Sicherheit der Kinder inmitten der Auseinandersetzung, wollte sich um sie kümmern, wurde jedoch vom Sicherheitschef der CGN auf ein Grundstück des Unternehmens gezerrt und dort angeschossen (Avancso, 29.09.09). Ein anderes Mitglied der Sicherheitskräfte griff ihn mit der Machete an. All dies in Anwesenheit seines Sohns, der alles mitangesehen und auch die klaren Befehle von Oberleutnant Mynor Padilla, dem Chef der Sicherheitskräfte des Unternehmens, gehört hat. Zweifellos verbreitet das Unternehmen eine andere Version des Geschehens, die nichts gemeinsam hat mit jener der ZeugInnen. Adolfo Ich war der Schwager von Ramiro Choc. Am folgenden Morgen schossen schwerbewaffnete Männer aus dem Hinterhalt auf die Reisenden eines Busses, der Richtung Cobán fuhr. Im Bus fuhren auch VertreterInnen des Dorfes Las Nubes, die in der Departementshauptstadt eine Klage einreichen wollten. Bei dem Überfall wurden acht Personen verletzt; eine von ihnen verlor ein Auge, eine andere erhielt Schüsse in den Kopf. Der Verdacht fällt auf die Sicherheitsleute von CNG, die in Komplizenschaft mit den staatlichen Sicherheitskräften agierten. Nach oben |
Die Internationale Kommission zur Prüfung von Menschenrechtsverletzungen gegen die Indigene Bevölkerung dokumentierte in einem Zeitungsinserat (Prensa Libre, 5.10.09) unzählige Vorkommnisse dieser Art in sechs von ihr besuchten Konfliktregionen, in denen Minen oder andere Megaprojekte im Gange sind, deren Bestehen schwerwiegende Auswirkungen auf die Natur und die sozialen Strukturen der betroffenen Bevölkerung haben. Die Kommission weist darauf hin, dass die Gemeinden, die sich gegen die Präsenz dieser Unternehmen wehren, Drohungen, Diffamierungen und Einschüchterungen erhalten, speziell die Führungspersonen ... und dass Angriffe, in vielen Fällen in Gewaltexzessen, in der Spaltung der Gemeinden, in der Kriminalisierung des legitimen Protestes, in sexuellen Übergriffen auf Frauen bei gewaltsamen Räumungen oder - tödlich enden. Es wird auch dokumentiert wie der Staat nicht unparteiisch ist: Wenn Opfer oder Familienangehörige die Geschehnisse bei den verschiedenen Behörden anzeigen wollen, stossen sie auf eine manifeste staatliche Parteilichkeit, und ihre Anträge oder Forderungen versinken in tiefem Vergessen. Demgegenüber werden die Klagen der Unternehmen rasch und unbürokratisch erledigt und sofort Haftbefehle gegen Mitglieder der protestierenden Gemeinden ausgestellt. Heute ist Allerheiligen. Von meinem Schreibtisch aus höre ich die Marimba-Klänge, welche die Lebenden ihren Toten auf dem Friedhof darbieten. Es ist der Tag, an dem man von beiden Seiten des Todes her zusammenkommt. Ich rieche das Aroma des Weihrauchs, der Blumen, des Basilienkrauts. Und eingehüllt in den stickigen Geruch des Weihrauchs umfangen mich an diesem Nachmittag die schmerzhaften Erinnerungen meines Volkes. Und ich werde von Zweifeln geplagt: Wenn die Regierungen und die Oligarchen "Hunger" sagen, was meinen sie damit? Mit Sicherheit nicht das, was die Hungrigen fühlen, denen sie ihre Lebenskräfte entreissen und ihnen Megaprojekte vorsetzen, an denen sich die ausländische Unternehmen bereichern und die nichts als ausgebeutetes Land und kranke Menschen zurücklassen. Und wenn sie "Frieden" sagen, was meinen sie damit? Wehalb haben die Länder des Nordens so sehr auf den Frieden in unserm Amerika insistiert? Jetzt sehen wir, dass "Frieden" für sie soviel bedeutet wie "vorteilhaftes Klima für Investitionen", das heisst für ihre ambitiösen Ausbeutungsprogramme, die sie unter legalen und erniedrigenden politischen Konditionen ausführen. Herr Obama hat den Nobelpreis um den Hals gehängt bekommen. Vielleicht weil die USA auf ihre kolossalen und tödlichen Kriegs- und Ölgeschäfte verzichten werden, die sie auf der ganzen Welt betreiben? Verzeihung, aber ich glaube euch nicht. |
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