Der Fussballkrieg von Chiquimula - Verurteilungen im Fall El Jute
Fijáte 451 vom 6. Januar 2010, Artikel 2, Seite 1
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Der Fussballkrieg von Chiquimula - Verurteilungen im Fall El Jute
Am 3. Dezember 2009 verurteilte das Gericht von Chiquimula vier Militärangehörige wegen illegaler Verhaftung und Verschwindenlassen von acht Personen im Jahr 1981. Ein historisches Urteil, ist es doch das erste Mal, dass ein guatemaltekisches Gericht einen Frage: Kannst du zusammenfassen, was im Jahr 1981 im Dorf El Jute geschah? Mario Polanco: Während der 60er und 70er Jahre fanden im Osten des Landes, also auch im Departement Chiquimula, militärische Auseinandersetzungen statt. In den 80er Jahren verlegten sich diese jedoch in den Westen, ins Hochland und an die Südküste, und man rechnete im Osten nicht mehr mit repressiven Übergriffen. Nichtsdestotrotz drangen aber auch in dieser Zeit immer wieder Militärpatrouillen in Dörfer ein, deren BewohnerInnen keinerlei Kontakt mit den Aufständischen hatten. Im Bericht der Untersuchungen ergaben, dass es immer wieder Militärangehörige und Militärkommissare gab (dem Militär gefällige Personen und Behörden, zuständig z.B. für die Organisation der Am 19. Oktober 1981 drangen rund 150 Soldaten und Offiziere ins Dorf, blieben dort fünf Stunden lang und nahmen die besagten acht Personen mit. Die Militärkommissare beschränkten sich darauf, den Soldaten die Leute zu denunzieren, die dann verhaften wurden. Später, am 17. Dezember, fielen die Soldaten erneut ins Dorf ein, verhafteten nochmals neun Personen, die dann während mehr als einer Woche in Gefangenschaft blieben. Man weiss, dass sie gefoltert und mindestens vier Frauen vergewaltigt wurden. Frage: Die Familienangehörigen suchten Hilfe bei der GAM. Wie verlief der Prozess in all diesen Jahren? M.P.: Im Jahr 1999 kamen die Familienangehörigen zur GAM und baten uns um Unterstützung bei ihrer Suche nach Gerechtigkeit. Nachdem wir den Fall studiert hatten, begannen wir im Jahr 2000 mit der juristischen Begleitung. Als erstes forderten wir die Anwendung des Gesetzes zum Schutz der persönlichen Freiheit (Habeas Corpus) für die Opfer. Erfolglos, da die Personen ja verschwunden waren. Doch es gibt ein spezielles Vorgehen für solche Fälle, und dies anzuwenden, forderten wir vom Obersten Strafgericht. Dem wurde stattgegeben, und das Mangelnder Wille und Angst führten dazu, dass der erstinstanzliche Richter von Chiquimula die Sache verlauerte, und wir mussten warten, bis es eine Neubesetzung des Gerichts gab. Erst im Jahr 2005 wurden dann Haftbefehle ausgestellt. Danach ging es noch fünf Jahre bis zum Gerichtsurteil. Wir müssen anerkennen, dass die RichterInnen sehr mutig waren und Charakterstärke bewiesen, als sie sich zu einem Urteil diesen Ausmasses durchrangen. Frage: Die Haftbefehle wurden 2005 ausgestellt und trotzdem dauerte es noch 4 Jahre bis zum Urteil? M.P.: Die Verteidiger der Militärs legten immer wieder Einspruch ein. Sie forderten Amnestie und beriefen sich dabei auf das sogenannte nationale Versöhnungsgesetz. In dessen Artikel 8 heisst es, dass Amnestie nicht anwendbar ist in Fällen von Frage: Wessen genau wurden die Verurteilten beschuldigt? Und warum wurden sie "nur" zu 53 Jahren verurteilt und nicht wie von der Anklage gefordert zu 530 Jahre? M.P.: Die Anklage der PDH lautete auf zwei Delikte: Missachtung der humanitären Pflichten und illegales Verschwindenlassen. Die PDH forderte, dass die beiden Delikte als eine Art Gesamtpaket behandelt würden. Wir lehnten dies von Anfang an ab, denn wir vermuteten, dass die PDH Angst hatte, das Verschwindenlassen allzu stark zu thematisieren, und verlangten unsererseits, das Verschwindenlassen als eigenes Delikt zu qualifizieren. Schlussendlich wurde unser Antrag angenommen, aber es wurde in realer Gesetzeskonkurrenz geurteilt, das heisst, ein Urteil für alle acht verschwundenen Personen. Die Staatsanwaltschaft forderte 560 Jahre ("reale Konkurrenz" = je ein Urteil pro verschwundener Person), durch die Anwendung der "idealen Konkurrenz" wurden es dann 54 Jahre und 4 Monate. Die GAM ist mit diesem Strafmass zufrieden, nur schon, weil es sich hier um die erste Verurteilung eines Militäroffiziers handelt, und zwar ist es nicht irgend einer: Marco Antonio Sánchez war der Kommandant der wichtigsten Militärkaserne ( Frage: Marco Antonio Sánchez wurde verurteilt. Was geschah mit den anderen Angeklagten? M.P.: Auch sie wurden mit derselben Strafe verurteilt. Aber noch viel wichtiger ist, dass das Gericht anordnete, weitere Untersuchungen einzuleiten: gegen den Verteidigungsminister und gegen den Chef des Präsidialen Generalstabs ( |
Frage: Konnte rekonstruiert werden, was mit den Verschwundenen geschah, wo und wie sie umgebracht wurden und wo sie vergraben sind. Gab oder gibt es M.P.: Es ist sehr unwahrscheinlich, dass man diese Information je erhält. Die Angeklagten behaupten ja nach wie vor, dass sie unschuldig sind, und wenn sie sagen würden, wo die Verschwundenen begraben sind, würden sie damit ihre Schuld anerkennen. Frage: In Guatemala gab es während der 80er Jahre viele Fälle von erzwungenem Verschwindenlassen. Was macht den Fall El Jute so symbolträchtig? M.P.: Es ist das erste Mal, dass ein hochrangiger Militär wegen Verschwindenlassen verurteilt wurde. In Guatemala einen Militär zu verurteilen, ist eine sehr riskante Angelegenheit angesichts der herrschenden
Frage: Steht dieses Urteil in einem Zusammenhang mit der M.P.: Nein, die UNO-Konvention wurde in diesem Fall nicht angewandt, sondern wir stützten uns auf die Interamerikanische Konvention gegen das Verschwindenlassen. Frage: Was war das "spezielle Interesse" (so hiess es in den Medien) des US-amerikanischen Botschafters an dem Fall? M.P.: Angesichts des Ausmasses an Straflosigkeit, das in Prozessen gegen Militärs an der Tagesordnung ist und des Sicherheitsrisikos in diesem speziellen Fall wurde als eine Form der Prävention die Begleitung des US-amerikanischen Botschafters angefordert. Während des Prozesses wurde der Botschafter dann auch tatsächlich von Mitgliedern von Aber auch die Botschafter der Schweiz, Hollands und von
Frage: Es ist nicht der erste Fall von Verschwindenlassen, bei dem es dieses Jahr zu einem Urteil kam, es gab im Sommer den "Fall Cusanero". Bewegt sich da etwas in Sachen Straflosigkeit? Liegt das an den RichterInnen, an der Regierung von M.P.: Der Fall Cusanero ist sehr wichtig, aber Cusanero war "nur" ein Militärkommissar. Auch war das Urteil in diesem Fall nicht so schlüssig wie im Fall El Jute. Colom und seine Regierung haben sich für unseren Fall überhaupt nicht eingesetzt, nicht einmal wirklich Interesse daran gezeigt, etwas gegen die Straflosigkeit zu unternehmen. Sie reden viel und machen nichts. Die CICIG hat uns weder beraten noch begleitet. Als ich kürzlich mit Castresana sprach, stellte sich heraus, dass er den Fall El Jute nicht einmal kannte. Im Jahr 2009 konnten mehrere Fälle deshalb zu einem glücklichen Ende geführt werden, weil die Gesetze es einfach nicht mehr zulassen, dass solche Fälle in der Schublade landen. Frage: Wenn jetzt offenbar die Konjunktur gut ist, gibt es andere Fälle, die ihr in nächster Zeit vor Gericht bringen werdet? M.P.: Es gibt ein paar Fälle von Verschwindenlassen, deren Untersuchungsphase schon recht weit fortgeschritten ist, und die nächstes Jahr vor Gericht kommen werden. Da ist zum Beispiel der Fall von Fernando García (der Ehemann von Frage: Lohnt es sich wirklich, in die Aufklärung von Fällen zu insistieren, die 30 Jahre zurück liegen, statt sich auf Gewaltverbrechen zu konzentrieren, die heute geschehen, für die sich keine Menschenrechtsorganisation einsetzt und die sowieso straflos bleiben, weil sie in sogenannten Friedenszeiten ausgeübt werden? M.P.: Ich möchte mit dem sehr wahren Satz antworten: "Ein Volk, das seine Vergangenheit nicht kennt, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." Ausserdem ist die Gewalt, die heute ausgeübt wird, ein Resultat des internen bewaffneten Konflikts. Die Machtstrukturen, die das Militär zu Repressions- und Überwachungszwecken aufgebaut hatte, hätten nach Friedensschluss demontiert werden müssen. Aber das Gegenteil ist geschehen, diese Leute begannen sich zu organisieren und sind heute ein Teil der Gerechtigkeit ist ein Menschenrecht. Du kannst dir nicht vorstellen, was es für die Familienangehörigen der Opfer bedeutet, wenn endlich Gerechtigkeit gesprochen wird! Herzlichen Dank für das Interview! |
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