Panzós - Der Kampf gegen das Vergessen
Fijáte 466 vom 18. August 2010, Artikel 1, Seite 1
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Panzós - Der Kampf gegen das Vergessen
Die Jahre zwischen 1978 und 1982 waren die brutalsten des guatemaltekischen Bürgerkriegs, gipfelnd in jene Kampagnen der ethnischen Säuberung, die von der UN Wahrheitskommission(CEH) als Genozid bezeichnet wurde. Eines der ersten Massaker, sozusagen ein Fanal auf das, was folgen sollte, war das Massaker von Panzós am 29. Mai 1978. Nun wurde in Guatemala die Übersetzung des Buchs "The Masacre of Panzós" von Victoria Sanford präsentiert. Ein Anlass auch für ¡Fijáte!, einen Blick zurück in die Geschichte zu werfen. Rückblende: 1978:Der politische Hintergrund In den 1970er Jahren herrschten Militärs, die jedoch durch die Farce demokratischer Wahlen an die Macht kamen. Die beiden unternehmernahen Parteien Nationale Befreiungsbewegung (MLN) und Demokratisch-Institutionelle Partei (PID) kungelten ihre Präsidentschaftskandidaten aus, die dann vom Kongress gewählt wurden. 1970 war Carlos Arana Osorio Präsident, 1974 wurde der General Kjell Laugerud García, Verteidigungsminister unter Arana, zum Präsidenten gewählt. Laugerud zählte eher zur PID, die jenen Militärs nahe standen, die zum eigenen Nutzen eine wirtschaftliche Entwicklung, beispielsweise in der Transversal Norte oder dem Petén vorantreiben wollten, während die MLN eher den traditionellen UnternehmerInnen und GrossgrundbesitzerInnen nahestanden. Laugerud versuchte einerseits die unterschiedlichen Interessen der Mächtigen zu verteidigen, andererseits aber hat er den entstehenden Volksbewegungen, sofern sie nicht zu stark wurden, gewisse Handlungsmöglichkeiten eingeäumt. Die Jahre waren geprägt vom Beginn sozialer Kämpfe und Kämpfe um Landrechte von BäuerInnenverbänden wie die Nationale Bauernkonföderation (CNC) oder der Autonomen Gewerkschaftsföderation von Guatemala (FASGUA), die Landlose in Landstreitigkeiten beriet. In dieser Zeit konnte innerhalb der Bewegung eine zunehmende Einheit erreicht werden, in der auch Teile der Kirche, StudentInnen und BewohnerInnen von Armenvierteln einbezogen waren. Gleichzeitig haben die Guerillagruppen - Organisation des bewaffneten Volkes (ORPA) , die Aufständischen Streitkräfte (FAR), die Guatemaltekische Arbeiterpartei (PGT) und schliesslich die Guerillaarmee der Armen (EGP) neue Formen von Guerillaaktionen durchgeführt. Gut fünf Wochen vor dem Ende der Regierungszeit von Laugerud erreichten die Gewerkschaftskämpfe ihren Höhepunkt. Der lokale Hintergrund Panzós ist ein Munizip in Alta Verapaz, nicht weit vom Naturpark El Estor gelegen, zwischen der Sierra de Santa Cruz im Norden und der Sierra de las Minas im Süden. Die Stadt hat 5.000 EinwohnerInnen, das Munizip 60.000. Die Mehrheit sind Kekchi. Bereits seit vielen Jahrzehnten kämpften die BewohnerInnen um Landrechte gegen die Finqueros um den langjährigen Bürgermeister Flavio Monzón. 1963 wurde der Ort kurzzeitig von Guerilleros eingenommen. Im selben Jahr wurde das Staatliche Institut für Landwirtschaftliche Entwicklung (INTA) gegründet, bei dem sowohl die BäuerInnen wie Monzón immer wieder Anträge auf Landtitel stellten. Eindeutig ist, dass die Demonstration vom 29. Mai 1978 um Land und Landtitel ging. Uneinheitlich sind die Informationen darüber, ob die Minenkonzessionen für die Internationale Nickel Company (INCO) im nahen El Estor bei den Ereignissen eine Rolle spielten oder nicht. Im kanadischen Artikel "Portraits of Strength - The women of Panzós" von Moira Peters steht, dass im Mai 1978 weite Teile der Ländereien, Behausungen und Felder vom Staat enteignet und der Internationalen Nickel Company (INCO) im Rahmen der Minenkonzession überlassen worden seien. Ein solcher direkter Zusammenhang mit INCO wird jedoch weder in dem Bericht der UN-Wahrheitskommission (CEH) hergestellt, noch im REMHI-Bericht des Menschenrechtsbüros des Erzbischof (ODHA) und auch nicht in den Büchern der forensischen Anthroplogin und Autorin Victoria Sanford ("Buried Secrets", The Masacre of Panzos") hergestellt. Das Massaker Die Mächtigen des Ortes versammelten sich mit dem Polizeichef und anderen Verwaltungskräften ein paar Tage vor der Demonstration und beschlossen, Militär kommen zu lassen. 60 Militärs kamen in die Stadt. Nach Aussagen gegenüber Sanford führten sie sich durch mehrere Vergewaltigungen von Frauen in der Stadt ein. Laut CEH gingen einige Bauern des Dorfes San Vicente am 27. Mai auf ihr Maisfeld am Ufer des Flusses Polochic, als Soldaten in Begleitung der Söhne des Grossgrundbesitzers auf sie zukamen und sie bedrohten. Am gleichen Tag wurden zwei Campesinos des Dorfes La Soledad, Panzós, verhaftet und von Militärs misshandelt. Bei Streitigkeiten innerhalb der Gemeinde kam es am selben Tag zu einem Todesopfer. Nach oben |
Am Morgen des 29. Mai 1978 versammelten sich mehr als 800 Menschen auf dem Marktplatz und demonstrierten für eine Landreform. Sie hatten Arbeitswerkzeuge, Stöcke und Macheten bei sich. Der ladinische Polizeichef berichtete, die Macheten seien blutrot gewesen, da zuvor ein Opfer für die Mayagötter damit geschlachtet worden sei ("Hexerei"). Daher habe er sich vor den BäuerInnen gefürchtet. An den wichtigsten Punkten des Marktplatzes, auf dem Dach des Rathauses und der Kirche, hatten sich die Soldaten postiert. Ein Demonstrationsteilnehmer sagte später: "Wir wollten uns mit niemandem streiten, wir wollten die Frage der Landrechte geklärt haben. Die Leute kamen aus vielen verschiedenen Orten und sie hatten keine Feuerwaffen bei sich." Der Bürgermeister Walter Overdick Garcia und die städtischen Funktionäre berieten im Rathaus hinter verschlossenen Türen. Um 9 Uhr wollten die DemonstrantInnen mit dem Bürgermeister sprechen. Dieser sagte zu, mit einer Delegation von vier bis fünf Personen zu reden. Die Stimmung war aufgeheizt, das Gespräch kam nicht zustande. Ein Augenzeuge berichtete, dass ein Soldat gegenüber der protestierenden Menge gesagt habe: "Wenn ihr Land wollt, könnt ihr es haben - auf dem Friedhof." Gleichzeitig beschimpfte er die DemonstrantInnen als Guerilleros. Über den Verlauf des Massaker gibt es unterschiedliche Versionen. Einige sagten, dass die Schüsse begannen, als eine der Führerinnen der DemonstrantInnen, "Mama Maquin", (zu ihr später mehr) einen Soldaten zur Seite stossen wollte, der ihr im Weg stand. Ein anderer Augenzeuge erklärte, ein Demonstrant habe einem Soldaten eine Feuerwaffe abgenommen, habe aber nicht gewusst, wie er damit umgehen solle. Viele wollen gehört haben, wie ein Militär rief: "Eins, zwei, drei, Feuer!" Die CEH vermutet, dass letztendlich der Grossgrundbesitzer den Befehl gab, auf die Menge zu schiessen. So wurden in jedem Fall 53 Menschen getötet, die im CEH-Bericht namentlich aufgeführt werden. Weiterhin ist dort von 44 weiteren "kollektiven, unbekannten Opfern" die Rede. Einige Soldaten sollen durch Macheten, keiner jedoch durch Feuerwaffen, verletzt worden sein. Der REMHI-Bericht spricht von über 100 massakrierten Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, und von 300 Verletzten. Möglicherweise sind in der Zeit danach weitere Kekchi umgebracht worden; viele BewohnerInnen von Panzós versteckten sich jedenfalls in den umliegenden Wäldern oder Bergen. Die Ereignisse gingen um die Welt. Zunächst hiess es in den guatemaltekischen Zeitungen "EIN MOB VON TAUSEND BAUERN ÜBERFIEL MILITÄREINHEIT IN PANZÓS!". Nach und nach drangen jedoch die Proteste aus den sozialen Bewegungen an die Öffentlichkeit. Und für die katholische Kirche war dieses Ereignis - so schrieb die Informationsstelle Guatemala 1983 - "der auslösende Faktor, um die Militärregierung und das zugrundeliegende gesellschaftliche System zu verurteilen." Mindestens zehn Stellungnahmen christlicher Organisationen erschienen in guatemaltekischen Zeitungen. Am 1. Juni nahmen an einer von der Studierendenvereinigung AEU angemeldeten Protestdemonstration gegen das Massaker von Panzós in der Hauptstadt Guatemala-Stadt - je nach Zählung - zwischen 60.000 und 100.000 Menschen teil: Studierende, Mitglieder der Volksbewegungen und Gewerkschaften und zahlreiche kirchliche Gruppen. Mama Maquin und ihre Enkelin Die Führerin des Protests in Panzós war unbestreitbar Adelina Caal Maquin, genannt "Mama Maquin". Sie war damals 60 Jahre alt. Ihre damals zwölfjährige Enkelin Maria, die das Massaker überlebte, da sie sich tot stellte, erinnerte sich gegenüber Victoria Sanford: Ihre Grossmutter habe zu den Soldaten gerufen, sie sollten ihre Waffen herunternehmen und ihr erlauben, mit dem Bürgermeister zu sprechen. Sie erinnerte sich auch an das plötzliche laute Krachen des Maschinengewehrs, das Mama Maquins' Körper von ihrem Kopf trennte. Sie war eine der wenigen Frauen, die Spanisch sprachen und organisierte die Gemeinde seit längerer Zeit in ihrem Kampf um Landrechte. Die Guerilla machte sie publizistisch zu einer Märtyrerin und Guerillera der 1960er Jahre. Ob sie es tatsächlich war, lässt sich nicht mehr herausfinden. Alle gedenken ihrer jedoch als eine "die stets für unsere Landrechte eingetreten ist". Ihr Name und ihr Engagement ist in zweierlei Hinsicht weitergetragen worden: 1990 haben sich guatemaltekische Flüchtlingsfrauen in Mexiko zu einer Frauenorganisation zusammengeschlossen, die sie Mama Maqin nannten. "Unsere Geschichte als Flüchtlingsfrauen" - so heisst es in einer Schrift der Organisation - "ist nicht anders als die Geschichte unseres Landes: eine Geschichte des Krieges, der Armut, des Elends, des Schmerzes und der Menschenrechtsverletzungen." Und Mama Maquin lebt weiter in ihrer Enkelin Maria. Sie hatte sich damals tot gestellt. Anschliessend lebte sie - wie so viele in dieser Zeit - versteckt mehrere Jahre in den Bergen. Nun hat sie wieder eine führende Rolle in ihrer Gemeinde inne. |
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