Xamán: Brief eines ermordeten Jungen
Fijáte 202 vom 19. Jan. 2000, Artikel 1, Seite 1
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Xamán: Brief eines ermordeten Jungen
Die Nachricht von der Aufhebung des Urteils gegen Camilo Antonio Lacán Chaclán und die anderen, am Massaker von Xamán beteiligten Soldaten sowie die mögliche Beförderung Lacán Chacláns, ist in der Bevölkerung und der guatemaltekischen Presse auf Unverständnis gestossen. Unterdessen ist die Möglichkeit einer Beförderung jedoch dementiert worden. Im folgenden veröffentlichen wir einen Brief, den der Kolumnist Estuardo Zapeta im Namen des beim Massaker ermordeten Knaben an Lacán Chaclán geschrieben hat. Der Brief ist am 14. Dezember in der Tageszeitung Siglo XXI erschienen. Mein Blut wurde - ich war knapp acht Jahre alt - bei diesem Gewaltakt vergossen, der heute Guatemala einmal mehr zur Wiege der Straflosigkeit macht. Höllische Kugeln im Kopf und in der Brust haben mich von meinem Land abgeschnitten. Mein Name ist Santiago Pop Tut und die beste Beschreibung meines Lebens wäre: Mayajunge, von der Armee ermordet, aus dem guatemaltekischen Gedächtnis verbannt und mit Straflosigkeit bestraft. Jetzt wäre ich schon fast zwölf Jahre alt. Ich würde bald die Primarschule abschliessen, aber die Lehrbeauftragten unserer Gemeinde wurden beim Massaker von Xamán auch ermordet. Ich schreibe Ihnen, Herr Lacán Chaclán, nicht weil ich Rache verlange, sondern um Ihnen zu sagen, dass mein Blut und dasjenige der anderen zehn Ermordeten an Ihnen, an Ihrer Familie, an Ihrem Gedächtnis und Ihrer Seele klebt. Sie wissen es schon, denn Sie haben es mehrmals gehört, wenn der gerichtsmedizinische Rapport verlesen wurde, dass eine Ihrer Kugeln mir den Arm zerstörte und dass dieselbe Kugel in meinem Schädel steckenblieb. Erinnern Sie sich, Herr Lacán Chaclán, dass derselbe Rapport erläutert, dass ich einen Gnadenschuss in die Brust bekommen habe, ins Brustbein, um genauer zu sein und dass dieser Knochen während der Autopsie verschwand? Alles was blieb, waren Fotos von meinem zerstörten Körper. Ein paar JournalistInnen haben diese Fotos. Sie werden weiterhin meine Geschichte erzählen, die nicht nur meine ist, sondern die Geschichte tausender Mayajungen und -mädchen, welche von Ihrer Armee bei den mehr als 400 Massakern umgebracht wurden. Alle nur möglichen Beförderungen dieser Welt, Herr Lacán Chaclán, werden Sie nicht von der Tatsache befreien, dass in Xamán zwei Kinder ermordet wurden. Das andere, ein Mädchen, wird Ihnen seinen Brief auch schicken. Von alldem, Herr Lacán Chaclán, erstaunt mich eine Tatsache, von der wenig gesprochen wird, am meisten: Bei der Truppe, von der ich ermordet wurde, waren auch fünfzehn- und sechzehnjährige Kinder dabei, die wahrscheinlich mit vierzehn oder fünfzehn Jahren zum Militärdienst gezwungen wurden. So ist es, während der Hölle des Todes sah ich, als ich schon auf der Seite des Todes war, ihre Gesichter: Andere Kinder, die eine aussergerichtliche Hinrichtung an mir verübten. Aha, Sie sagen, Sie können sich nicht mehr erinnern. Und was ist mit dem Soldaten Martín Tiul Xol, der knapp sechzehnjährig war, als ihr ihn ermordet habt? Und was ist mit den beiden siebzehnjährigen, und denen, die gerade erst achtzehn geworden waren? Wann, Herr Lacán Chaclán, kamen Sie zur Armee, oder besser gesagt, wann wurden Sie dazu gezwungen, in die Armee einzutreten? Nach oben |
Aber hier, von der Höhe der viertausend Sterne aus, sehe ich, dass Sie nur ein Resultat der Maschinerie sind, die ihre Taten mit der Anti-Guerilla-Politik rechtfertigt. Um Ihrer Ehre und um des Blutes der in Xamán ermordeten Kinder Willen sollten Sie jede Beförderung ablehnen. Diese 'Preise' sind mit meinem unschuldigen Blut befleckt. Sie können mich als Sozialist oder als Systemgegner verschreien. Was weiss ich schon von solchen Sachen? Was ich wollte, war leben, spielen, lernen, gross werden und arbeiten. Sie, Ihre Truppe, Ihre Kugeln haben es mir nicht erlaubt. Welche Tapferkeit, Kinder umzubringen! Aber ich hoffe, dass noch mehr GuatemaltekInnen von meiner Geschichte erfahren, denn wenn die Rechtsprechung sich über meine acht Jahre lustig gemacht hat und diejenigen freilässt, die mich ermordet haben, könnte das nächste Opfer die Person sein, die diesen einfachen Brief liest. Oder noch schlimmer, die Jungen und Mädcher dieser LeserInnen. Hoffentlich ist das Guatemala, in dem Ihre Kinder aufwachsen, Herr Lacán Chaclán, nicht mehr dasselbe Guatemala, das mich ermordete und dann vergass. Aufrichtig, Santiago Pop Tut, von irgendwo im Himmel |
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