Weltbank soll zur Rechenschaft gezogen werden.
Fijáte 211 vom 24. Mai 2000, Artikel 10, Seite 6
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Weltbank soll zur Rechenschaft gezogen werden.
Washington, 8. Mai. Carlos Chen Osorio, ein Überlebender des Massaker von Río Negro, Baja Verapaz, lancierte mit Hilfe der US-amerikanischen Menschenrechtsgruppe Right Action anlässlich deren Frühjahrssitzung einen Wiedergutmachungsprozess gegen die Weltbank. Die weltweite Kampagne fordert für Angehörige und Überlebende von Río Negro sowohl Entschädigung für das geraubte Land, als auch Wiedergutmachungsgelder für den Einkommensausfall während 17 Jahren, für psychologische Verletzung und den Kulturverlust der Achí Mayas. Zwischen 1975 und 1985 wurde mit massiver finanzieller Unterstützung seitens der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank in Chixoy, Baja Verapaz, ein gigantischer Stausee gebaut. Für den Bau wurden 3500 Familien umgesiedelt und 1440 Hektaren urbanes Land wurde überschwemmt. Dem Widerstand gegen die Umsiedlung begegnete die damalige Militärregierung mit Massakern an über 791 Personen. Carlos Chen Osorio ist einer der achtzehn Überlebenden des Massakers vom 13. März 1982 in Río Negro. Über fünf Jahre versteckte er sich in den Wäldern vor den Zivil- und Militärpatrouillen. 1992 kehrte er in die Region von Rabinal zurück, wo er zusamnmen mit anderen Vertriebenen im Modelldorf Pacux lebte. 1993 wurde das Witwen- und Waisenkomitee von Rabinal gegründet, dessen Ziel es war, für bessere Lebensbedingungn in Pacux zu kämpfen. Später schloss sich das Komitee einer breiteren Verbindung, der ADIVIMA (Entwicklungsorganisation für die Opfer von Gewalt in Maya Achí) an, die heute rund dreissig Gemeinden organisiert, die alle in den achtziger Jahren von der Militärmacht terrorisiert wurden. Seit 1995 wird ADIVIMA von der nordamerikanischen Menschenrechtsorganisation Right Action unterstützt. Die gemeinsamen Kampagnen sind beispielhaft im Kampf gegen die Straflosigkeit. Nach siebenjähriger Zusammenarbeit können sie auf einige Erfolge zurückschauen. Alles begann mit der Exhumierung der Massengräber, in Río Negro wurden 1993 hundertvierzig Leichen geborgen. Leider konnten nach so langer Zeit nur sehr wenige identifiziert werden. Die Überreste der Ermordeten wurden im Juni 1994 mit einer Mayazeremonie beigesetzt und es wurde ein Mahnmal mit den Namen der Mörder errichtet. Diese Gedenkstätte, die in der Nähe der Militärkaserne lag, wurde aber umgehend zerstört. Die Vermutung, dass das Militär dafür verantwortlich ist, liegt nahe. Durch Proteste in der Presse erreichten die Überlebenden eine breite Solidarität und konnten mit Hilfe von EPICA (Ökumenisches Programm für zentralamerikanische und karibische Organisationen) mit Sitz in Washington, ein weit grösseres Mahnmal für das Massaker von Río Negro errichten. Bereits 1993 wurden drei frühere Führer der Zivilpatrouille als Verantwortliche für das Massaker in Río Negro angeklagt. Es dauerte Jahre, um den Fall vor Gericht zu bringen, Bezugnehmend auf die Exhumierungen und die AugenzeugInnenberichte wurden die Angeklagten zuerst zum Tode, im Berufungsverfahren im letzten Okober zu 50 Jahren Zuchthaus verurteilt (siehe ¡Fíjate! Nr. 194). Nach oben |
Neben dieser Prozessführung ist der Kampf um Wiedergutmachung im Bereich der Landfrage und des verlorenen Einkommens sehr schwierig. Die Wiedergutmachungsklage basiert auf der Tatsache, dass die Gemeinde vom Elektrizitätswerk (INDE) nie einen adäquaten Ersatz für das durch den Bau des Stausee verlorene Land erhalten hat. Die Regierung bleibt indifferent und das INDE weicht seinen Verpflichtungen seit Jahren aus. Die Überlebenden von Río Negro haben sich daher entschieden, die Mitverantwortung der Weltbank und der Interamerikanischen Entwicklungsbank geltend zu machen. Denn beide haben, durch die massgebliche finanzielle Beteiligung am Stauseeprojekt, direkt das Elend der betroffenen Bevölkerung mitverursacht. Aufgrund einer Studie von Witness for Peace, in der die Weltbank scharf kritisiert wird, musste diese immerhin zugeben, dass die Massaker stattgefunden haben. Río Negro wird zum Gradmesser für Weltbankrichtlinien für Staudammprojekte und unfreiwillige Umsiedlung von Zivilbevölkerung. Zwei Themen, die Nichtregierungsorganisationen seit den frühen 80er-Jahren genau beobachten und infolge der hohen Infrastrukturkosten und Umweltbelastung stark kritisieren. Aufgrund dieser Kritik musste die Weltbank ihre Richtlinien verschärfen. So heisst es heute in den Direktiven, dass jedeR, die/der gegen den eigenen Willen umgesiedelt wird, Ersatz erhalten muss, der den bisherigen oder einen besseren Lebensstandard erlaubt. Oder auch, dass indigene Menschen, die durch ein von der Weltbank mitfinanziertes Projekt betroffen sind, direkt befragt werden und ihre kulturellen und sozialen Bedürfnisse vollständig respektiert werden müssen. All diese Vorgaben werden immer wieder aufs Stärkste verletzt. Der Chixoy-Staudamm ist nur eines der Beispiele. Daher empfehlen viele Nichtregierungsorganisationen, Darlehen für Staudammprojekte, die eine Umsiedelung lokaler Bevölkerung verlangen, grundsätzlich zu verbieten. Das Zentrum für Umweltrecht (CIEL) in Washington führt zudem Chixoy als Argument für die Forderung einer Stärkung der internen Kontrollorgane der Weltbank an. Viele UmweltkritikerInnen finden in Chixoy auch Argumente für eine neue Energiedebatte, die auf Energiesparen und erneuerbaren Ressourcen wie Sonne und Wind basieren, anstatt auf grossen, destruktuiven Stauseeprojekten. In der Frühjahrssitzng von Weltbank und IWF (Internationaler Währungsfonds) haben die AktvistInnen den Fall Chixoy anhand der Wiedergutmachungsklage von Carlos Chen neu aufgerollt. Bisher weigerte sich die Weltbank, Verantwortung für von ihr finanzierten Projekte zu übernehmen und versucht, sich umfassend vor einer gerichtlichen Klage zu schützen. So wichtig die Kampagne in Washington für den internationalen Kampf um Verantwortung auch immer ist, die Antwort auf Río Negro's Probleme liegt schlussendlich in Guatmala. Alfonso Portillo verspricht zwar Unterstützung für die Forderung der Wahrheitskommission nach Wiedergutmachung, hat aber in seiner bisherigen Amtszeit noch nichts in dieser Richtung unternommen. Insgesamt sehen sich die Überlebenden von Río Negro einem unfreundlichen politischen Klima gegenüber und bräuchten bei ihren Forderungen gegenüber der guatemaltekischen Regierung dringend den unterstützenden Druck durch die Weltbank. |
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