Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Exhumierungen für die Angehörigen von Opfern
Fijáte 237 vom 13. Juni 2001, Artikel 1, Seite 1
Original-PDF 237 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte
Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Exhumierungen für die Angehörigen von Opfern
Eine der Empfehlungen der Wahrheitskommission (CEH) und des REMHI war, die Exhumierungen voranzutreiben, als einen wichtigen Schritt auf dem Weg zur Versöhnung. Wichtig auf jeden Fall, aber auch sehr schmerzhaft für die Angehörigen. Trotzdem ist es ihnen ein Anliegen zu erfahren, wo ihre Angehörigen umgebracht und begraben wurden und sie wollen ihnen eine würdevolle Bestattung zukommen zu lassen. Erst dann können die Toten und vielleicht auch ihre lebenden Angehörigen, zur Ruhe kommen. Martina Greiter vom Guatemala-Netz Bern hat die Exhumierungsequipe der Diözese Quiché bei ihrer Arbeit begleitet. Im folgenden Artikel berichtet sie über ihre Erkenntnisse über die Wichtigkeit von Exhumierungen für die Angehörigen von Opfern. Im Jahr 1998 war Padre Rigoberto Pérez Garrido in der Schweiz zu Besuch, um in unseren Breitengraden die vier Bände "Guatemala - nunca más" vorzustellen. Er war in der Diözese Quiché Koordinator des in seiner Qualität herausragenden, von der katholischen Kirche initiierten REMHI-Projekts (Recuperación de la Memoria Histórica) zur Wiederaufarbeitung des historischen Gedächtnisses. Dieses Werk stellt in Guatemala eine sehr wichtige Grundlage für Friedens- und Versöhnungsarbeit dar, auch wenn seine Wirkungskraft durch den Mord an Bischof Gerardi stark eingedämmt wurde. In den Empfehlungen des REMHI haben Exhumierungen einen sehr wichtigen Stellenwert. Zu Beginn dieses Jahres hatte ich während meines Guatemala-Aufenthaltes die Möglichkeit, eine Gemeinde in Nebaj bei einer Exhumierung zu begleiten. Padre Rigoberto bot mir an, die Arbeit der Exhumierungsequipe der Diözese Quiché kennen zu lernen, und je nach Art der Arbeit auch mitzuhelfen. Obwohl ich sehr interessiert war, kamen mir im ersten Moment Zweifel auf. Ich fragte mich, wie ich wohl dieses tiefgehende Erlebnis verkraften würde - ich naive, vom Leben bisher gut behandelte Schweizerin mit bisher noch sehr wenig Erfahrungen mit Tod, geschweige denn mit Opfern von schlimmsten Massakern und deren Angehörigen. Natürlich habe ich mich mit dem Thema beschäftigt, gelesen, Videos gesehen, aber die Wirklichkeit ist eine andere Dimension und ehrlich gesagt, fürchtete ich mich ganz im Innersten etwas davor. Trotz dieser Zweifel entschied ich mich, nach Nebaj, in die vom internen Konflikt am schlimmsten betroffene Ixil-Region, zu reisen. Ich wurde kurz nach meiner Ankunft in das Labor der Equipe geführt, das ich mir etwas anders vorgestellt hatte. Ein PC und ein veraltetes Mikroskop sind die modernsten zur Verfügung stehenden Hilfsmittel. Sonst wird mit einfachsten Methoden gearbeitet. Die Equipe bestand zu jener Zeit aus zehn Personen aus verschiedenen Ländern, die aus den Bereichen Archäologie, Anthropologie, Zahntechnik, Sozialarbeit und Menschenrechte kamen. Ausserdem gehörte Don Marcelino zur Equipe und eine weitere Guatemaltekin, die für die Begleitung der Gemeinden vorwiegend auf administrativer Ebene zuständig war. Ich bin mir bewusst, das die folgende Beschreibung sich trocken und technisch anhört, aber so in etwa gestaltet sich die Laborarbeit der Equipe. Als erstes werden die Knochenteile mit Zahnbürstchen, Pinseln etc. sehr gründlich gereinigt und dann vor allem bei komplexen Körperteilen wie Schädel, Händen und Füssen in mühsamer Puzzle-Arbeit zusammengesetzt, um zu notieren, welche Teile fehlen. Der Zustand der Knochen und wichtige Erkenntnisse, die bezüglich der Todesursache gemacht werden können, werden notiert, um später in den Schlussbericht einzufliessen. Das Alter der Opfer wird durch die Zahntechnikerin geschätzt. Auch die sich teilweise noch in gutem Zustand befindende Kleidung wird gereinigt. In einem hinteren Raum, mit einem Altar und vielen Kerzen ein Ort der Stille und des Gebetes, wurden zu jener Zeit die Überreste von etwa 100 sich in Analyse befindenden Menschen, vielen Männern aber auch von sehr vielen Frauen und Kindern, in Kartonschachteln aufbewahrt. Man stelle sich vor, dass diese Menschen nur einen kleinen Teil aller Massakeropfer in der Region Nebaj darstellen, alles unschuldige Indígenas, die in tiefster Armut lebten. Für mich ist es ausserordentlich schwierig, einigermassen nachzuvollziehen, was sich in den 80er Jahren dort ereignete. Es ist einfach unfassbar. Nur die Überlebenden wissen, wie es wirklich war. Aber nicht nur die Vergangenheit ist schwierig nachzuvollziehen. Nein, auch die Gegenwart. Häufig leben Täter und Opfer heute noch in denselben Dörfern zusammen. Am nächsten Tag durfte ich einen Teil der Equipe bei der Feldarbeit begleiten. Ich möchte in der Folge die Eindrücke dieses Tages genauer schildern: Am Morgen stürzten wir uns in Gummistiefel, setzten uns in den Jeep und fuhren in ein Dorf, das etwas ausserhalb von Nebaj liegt. Don Marcelino, der als Katechet mit den Leuten der CPR-(Widerstandsdörfer) Sierra lebte und jetzt im Pfarreiteam von Nebaj mitarbeitet, begrüsste uns dort. Er lebt in diesem Dorf. Don Marcelino ist in der Exhumierungsequipe für den Bereich Salud Mental zuständig und begleitet die Angehörigen während des ganzen Prozesses. Nach oben |
Zusammen mit den Angehörigen machten wir uns auf einen einstündigen Fussmarsch an die Stelle, wo schon am Vortag die Grube ausgehoben wurde. Gemächlich kamen alle Angehörigen dort an, die Frauen ganz am Schluss. Sie setzten sich etwas entfernt auf den Boden und kamen erst später an den Grubenrand. Ein Ermordeter war schon vollkommen freigelegt. Zu seinen Füssen hatte er eine Tasse und einen Teller, wie auch seine zwei anderen Gefährten, die im Verlaufe dieses Tages ebenfalls freigelegt und Körperteil für Körperteil, Knochen für Knochen in die schon vorher beschrifteten Papiertüten und danach in drei Kartonschachteln gelegt wurden. Ihre Angehörigen hatten in diesem Fall noch die Zeit, ihre ermordeten Gefährten in aller Eile und wahrscheinlich unter Lebensgefahr in Holzkisten zu vergraben. Der Tag begann mit einer sehr eindrücklichen, kurzen Besinnung, worauf sich die drei Männer der Equipe an die Arbeit machten. Sie arbeiteten den ganzen Tag, nur mit einer einstündigen Mittagspause. An Essen fehlte es ihnen während der Feldarbeit nicht. Die Frauen überhäuften sie regelmässig mit mitgebrachten Lebensmitteln. Zur Mittagszeit wird in aller Ruhe zusammen gegessen. Was mich vor allem beeindruckte, war der langsame und ruhige, sehr schmerzhafte und heilende Prozess, der von den Menschen aber gemeinsam durchgemacht werden darf, dies mit unterstützender Begleitung eines Katecheten. Im Verlauf eines Prozesses, der über die eigentliche Ausgrabung hinausreicht, erfahren die Angehörigen direkte Anteilnahme, sie dürfen von dem sprechen, was lange Zeit und aus Angst verdrängt werden musste. Auch die Opfer erlangen dadurch ihre Würde wieder. Sie sind nicht einfach verscharrte Tiere oder gefährliche Guerillas, wie von der Regierungspropaganda ständig verkündet. Es sind Menschen, die das Anrecht auf eine würdige Beerdigung haben. Die Equipe arbeitet am Tag der tatsächlichen Ausgrabung sehr hart unten in der Grube und die Angehörigen dürfen am Rand in Ruhe zuschauen, sie, die sonst immer unter misslichsten Bedingungen arbeiten müssen, sie dürfen an diesem Tag nachdenken, weinen, miteinander Erfahrungen austauschen, staunen, was da unten geschieht. Zwischendurch legt sich der eine oder die andere für ein Nickerchen hin, kommt dann wieder zurück und schaut wieder zu. Es war sehr eindrücklich und an diesem Tag habe ich erkannt, welche grosse Wichtigkeit dieser heilende Prozess für die Angehörigen hat. In der Maya-Kultur haben die Menschen ein sehr enges Verhältnis mit ihren Toten. Ich denke, dass Exhumierungen für alle ähnlich betroffenen Menschen, egal welcher Kultur, sehr wichtig sind zur Wahrheitsfindung, um mit etwas ganz Schlimmen abzuschliessen und neu zu beginnen, aber gerade in der Maya-Kultur ist es äusserst wichtig. Nach vollbrachter Arbeit wurde am Abend wieder eine kurze Andacht gefeiert und danach machten sich die Männer aus dem Dorf daran, die Grube eigenhändig wieder zuzuschaufeln, was ebenfalls ein höchst symbolischer und wichtiger Akt war. Nach diesem endgültigen Zuschaufeln von etwas Grausamen, das die Menschen jetzt aber benennen können, wird später die feierliche Beerdigung ihrer Angehörigen stattfinden. Die Männer buckelten die drei Schachteln und zusammen wanderten wir wieder ins Dorf zurück. Man konnte die Erleichterung der Menschen sehr gut spüren. Sie bedankten sich herzlich bei der Equipe und wir fuhren zurück nach Nebaj, wo die Überreste analysiert werden. Grundsätzlich werden alle Überreste untersucht, auch diejenigen von Leichen, die identifiziert werden konnten. Es geht dabei um eine genaue Bestandsaufnahme der gefundenen Knochen, ihren Zustand, vor allem aber auch darum, die mögliche Todesursache (Machete, Kugeln, etc.) herauszufinden. Die Zukunft der Exhumierungsequipe ist sehr unsicher. Wie so oft fehlt es an Finanzen. Auch personeller Mangel besteht und der Staat und obskure Kräfte aus der Vergangenheit legen ihnen so viele Steine wie möglich in den Weg. Die Equipe trifft mit ihrer Arbeit natürlich den Nerv der verantwortlichen Täter. Anfang Mai wurde Schwester Barbara Ann Ford ermordet, die zuletzt im Quiché Angehörige bei Exhumierungen begleitete. Exhumierungen haben neben der heilenden Wirkung für die Angehörigen auch eine wichtige Funktion bei der Vorbereitung von möglichen Gerichtsprozessen und somit im Kampf gegen die Straflosigkeit. Dies steht allerdings bei dieser kirchlichen Equipe eher im Hintergrund. Im Vordergrund stehen die lebenden und toten Opfer, deren Würde zurückgegeben werden soll. Es wäre schlimm, wenn diese Equipe nicht fortfahren könnte mit ihrer Arbeit. Noch sehr viele Menschen, nicht nur im Ixcán sondern im ganzen Land, warten auf eine Exhumierung von Gräbern, in denen sie die Leichen ihrer Angehörigen vermuten. |
Original-PDF 237 --- Voriges Fijáte --- Artikel Nr. 1 - 2 - 3 - 4 - 5 - 6 - 7 - 8 - 9 - 10 - 11 --- Nächstes Fijáte