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Ein historisches Urteil, aber nicht das Ende der Straflosigkeit

Fijáte 238 vom 27. Juni 2001, Artikel 1, Seite 1

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Ein historisches Urteil, aber nicht das Ende der Straflosigkeit

Angesichts seines momentan politisch unsicheren Standes, hat er es dringend nötig, den Boden, auf dem er steht, etwas zu festigen. Und zumindest die internationale Gemeinschaft gibt sich mit dieser Erklärung zufrieden, womit das Terrain geebnet ist für weitere Kredite und finanzielle Unterstützung aus dem Ausland.

VGRíos MonttNF: "Mir ist immer noch unklar, wer Gerardi umgebracht hat"

Auch Kongresspräsident Ríos Montt muss sich durch das Urteil nicht bedroht fühlen. Die Verurteilung der beiden Limas und Villanuevas schadet wohl eher der alten VGPANNF-Regierung als der jetzigen Hardlinergruppe um Ríos Montt. Dieser war schon seit längerer Zeit mit Oberst Lima verfeindet, obwohl sie ursprünglich die gleiche Ideologie und ähnliche Repressionsmethoden vertreten hatten. Ob das Urteil im Fall Gerardi auch diejenigen RichterInnnen zu einem mutigen Urteil bestärkt, die die von elf Gemeinden gegen Ríos Montt eingereichte Anklage behandeln werden, bleibt abzuwarten.

Immerhin hat es Ríos Montt vor einigen Wochen geschafft, politisch gestärkt aus dem Skandal um die Fälschung des Alkoholsteuergesetzes herauszukommen, ein Beweis dafür, dass seine Beziehungen noch funktionieren und seine Macht noch intakt ist.

Weiterführung des Prozesses: politisch sinnvoll?

Die Tatsache allein, dass das Urteil die Tür zu weiteren Ermittlungen öffnet, heisst noch lange nicht, dass tatsächlich VGRudy PozuelosNF, Eduardo Villagrán, Francisco Escobar Blas und weitere Angehörige der damaligen Präsidentengarde von VGAlvaro ArzúNF vor Gericht gestellt werden, so wie es die Staatsanwaltschaft fordert und dass sie eventuell sogar verurteilt werden. Es heisst ebenso wenig, dass die ehemaligen Verteidigungsminister Espinoza und Barrios Celada oder sogar Alvaro Arzú und sein Bruder Antonio vorgeladen werden. Würde dies tatsächlich passieren, könnte man es als einen wirklichen Versuch der guatemaltekischen Justiz bezeichnen, den Kampf gegen die Straflosigkeit aufzunehmen. Viel grösser ist aber leider die Chance, dass nach ein paar Monaten oder Jahren ganz einfach die Ermittlungen eingestellt werden... womit die Straflosigkeit dann juristisch abgesegnet wäre. Einige JuristInnen sind der Meinung, die Höhe der Strafen widerspreche der offensichtlich schlechten Beweislage und fragen sich, ob dies nicht Absicht des Gerichts gewesen sei, um einer eventuellen Berufung gegen das Urteils zu einer grösseren Chance zu verhelfen.

Priester Orantes und die katholische Kirche

Priester Mario Orantes wurde zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt wegen "Mithilfe bei der Planung des Verbrechens" sowie wegen "Nicht-Anzeigen des Verbrechens", womit er die Veränderung des Tatortes zuliess und sich zum Komplizen machte.

Einige SpezialistInnen stehen dieser Verurteilung sehr skeptisch gegenüber, da es, wie sie sagen, offensichtlich ist, dass Orantes nicht an der Vorbereitung des Verbrechens beteiligt war.

Innerhalb der katholischen Kirche ist man sich offenbar nicht einig, was man vom Urteil gegen Orantes halten soll. Auf die Frage, was die Verurteilung Orantes' für die katholische Kirche bedeute, wollte VGBischof Mario Ríos Montt, der Koordinator des VGerzbischöflichen MenschenrechtsbürosNF (ODHA) und Bruder von General Efraín Ríos Montt, keine Antwort geben. Unmittelbar nach der Urteilsverkündung zog er noch die Möglichkeit in Betracht, dass Orantes sich auch vor einem kirchlichen Gericht zu verantworten hätte.

Erzbischof VGPróspero PenadosNF de Barrios widersprach jedoch dieser Aussage und erklärte, es gäbe keinen kirchlichen Prozess gegen Mario Orantes. Die katholische Kirche akzeptiere das Urteil des weltlichen Gerichts. Gleichzeitig betonte er jedoch, dass die Schuld Orantes noch überhaupt nicht bewiesen sei.

Bis Redaktionsschluss lag noch kein offizielles Kommuniqué der katholischen Kirche vor.

Einspruch der Verurteilten

Die Anwälte der verurteilten Militärs und Orantes reichten eine Einsprache gegen das Urteil ein. Ihr Hauptargument sind unter anderem die widersprüchlichen Aussagen des Kronzeugen, Ruben Chanax Sontay. Dieser modifizierte seine Aussage in der Schlussverhandlung dahingehend, dass er jetzt nicht mehr nur ein in der Nähe des Tatortes sich aufhaltender Bettler ist, sondern von den Angeklagten in eine Spionageaktion gegen Gerardi verwickelt wurde und am Tatort selber zugegen war. Nebenbei versuchte er gleich noch den schwächsten Punkt seiner bisherigen Aussagen zu stärken: Er gab in einer früheren Aussage eine Beschreibung von Oberst Lima Estrada ab, die in keiner Weise der Realität entspricht. Ein Grund für seine widersprüchlichen Aussagen waren sicherlich Drohungen gegen ihn, Tatsache ist aber, dass seine Aussagen umstritten sind, was zu einem späteren Zeitpunkt Wind in den Mühlen der Verteidiger sein könnte.

Ende gut, alles gut?

Neben dem "Fall Hänggi" (der Drogengeschichte des ehemaligen VGschweizerischenNF Geschäftsführers von Nestlé), waren die Ermittlungen rund um den Mordfall Gerardi das Thema, das in den vergangenen Jahren Guatemala dazu verhalf, in den (schweizerischen) Medien präsent zu sein. Bei einer Analyse dieser Artikel kann durchaus gesagt werden, dass das Thema Menschenrechtsverletzungen in Guatemala, der REMHI-Bericht und die Aufarbeitung der jüngsten Geschichte, Teil dieser Berichterstattung war. Leider gingen bei all den Lobreden auf die guatemaltekische Justiz hierzulande die kritischen und warnenden Stimmen der Menschenrechtsorganisationen meist unter. Von diesen wird nämlich befürchtet, dass die seit einigen Monaten stattfindenden Bedrohungen und Einschüchterungen von MenschenrechtsaktivistInnen und die Überfälle auf deren Büros nach der Urteilssprechung gegen die drei Militärs und Priester Orantes weiter zunehmen. Verschiedene Organisationen hätten Massnahmen zum Schutz ihrer Mitglieder ergriffen, erklärte VGMiguel Angel AlbizuresNF von der VGAllianz gegen StraflosigkeitNF (ACI). Nicht zu Unrecht, wie der (zum Glück misslungene) Überfall auf die Amnesty International-Mitarbeiterin Barbara Bocek beweist (siehe Artikel in diesem ¡Fijáte!)

Mit der "Aufklärung" des Mordes an Bischof Gerardi, wird denn wohl Guatemala wieder auf die "letzte Seite" der (schweizerischen) Medien verbannt - es sei denn, es käme zu einer Verhandlung gegen Ríos Montt - oder die richtigen Leute im Fall Gerardi würden doch noch auspacken!


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