Kleine Geschichte der Korruption in Guatemala
Fijáte 239 vom 10. Juli 2001, Artikel 1, Seite 1
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Kleine Geschichte der Korruption in Guatemala
Sei es der Ausbruch von 87 Gefangenen aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Escuintla oder das Fiasko um die Banken von Francisco Macdonald Alvarado, hinter fast allen politischen Skandalen in Guatemala steckt die Korruption. Korruption findet auf allen staatlichen Ebenen statt und das Justizwesen steht diesem Phänomen hilflos gegenüber. Korruption ist wie die Straflosigkeit ein Tabuthema, das anzugehen sich in Guatemala niemand traut, weil zu viele 'begrabene Hunde' zum Vorschein kommen würden, die man lieber ruhen lässt. Vor kurzem nun ist Guatemala von der deutschen Organisation Transparencia International auf die schwarze Liste der korrupten Länder gesetzt worden. Auf internationaler Ebene steht Guatemala an 65. Stelle von insgesamt 91 geprüften Ländern, im kontinentalen Vergleich schneiden nur Bolivien, Ecuador, Venezuela, Nicaragua und Honduras schlechter ab als Guatemala. Korruption ist aber kein neues Phänomen, wie der nachfolgende Artikel aufzeigt. Es gibt sie seit der Invasion der Spanier und es wird sie weiterhin geben, solange nicht klare politische und gesellschaftliche Massnahmen ergriffen werden, wie als jüngstes Beispiel die Diskussion über die Erhöhung der Steuern zeigt. Der Artikel ist der neusten Ausgabe der 'Voz del Pueblo' entnommen. Die 'Voz del Pueblo' ist eine monatlich erscheinende Publikation im Petén, die den Volksorganisationen als Organ und Diskussionsforum dient. So notwendig und unumgänglich es ist, in unserem Land über die Korruption zu sprechen, so bewusst müssen wir uns sein, dass die Korruption in Guatemala eine lange Tradition hat. Und so wie alle Übel hat sich auch das Übel der Korruption parallel zu den historischen Begebenheiten entwickelt. Es können zwei bestimmende Elemente ausgemacht werden, die die Entwicklung und Aufrechterhaltung der Korruption bestimmten: Das Militär und die wirtschaftliche Macht. Die unheilvolle Erbschaft wurde von Regierung an Regierung weitergegeben, unabhängig davon, ob sich eine solche nun liberal, konservativ, militärisch oder zivil nannte, unabhängig auch davon, welche Partei an der Macht war. Die bedeutenden historischen Momente in der Geschichte der Korruption waren: Die Zeit der Kolonie, mit den kreolischen Verwaltungen der Spanier. Ihre Aufgabe wäre es gewesen, die Steuern für den spanischen Hof einzutreiben. Sie umgingen jedoch dieses Gebot unter Ausnutzung ihrer politischen, militärischen und wirtschaftlichen Macht, wodurch ein Grossteil dieser Tribute in die Taschen der jeweiligen Verwalter floss. Während der Zeit der Militärdiktaturen (1954 1986) war das Militär die 'Hüterin' der Korruption im Land. Die Aufgabe des Militärs war es, die Interessen der landbesitzenden Oligarchie zu schützen und zu verteidigen. Die Oligarchie ihrerseits pflegte ihren 'Wachhund' gut, teilte mit dem guatemaltekischen Militär ein paar fette Knochen und millionenschwere Brosamen. Eindeutiges Beispiel für diese Praxis ist, dass viele illegal enteignete Ländereien in Alta Verapaz und im Petén in die Hände des Militärs fielen. In der Zeit des sogenannten 'demokratischen Überganges' kam zu den traditionellen Akteuren der Korruption ein neuer Protagonist: Die politischen Parteien. Die jeweiligen 'Zivilregierungen' wurden weitgehend vom Militär und der Wirtschaft manipuliert. Die Christdemokraten (DC) mit Vinicio Cerezo (1985-1991), die Bewegung solidarische Aktion (MAS) von Jorge Serrano (1991-1993), aber auch der dazumals parteilose Ramiro de Leon Carpio (1993-1995) sind drei beispielhafte Regierungen dieser Zeit. Vinicio Cerezo scheiterte am militärischen und wirtschaftlichen Druck, als er versuchte, eine Steuerreform durchzuziehen. Dies und seine Unfähigkeit, die Regierungsgeschäfte zu führen, entwickelte eine nicht zu stoppende Korruption innerhalb der Regierungspartei. Bei Jorge Serrano führten die klaren Beweise von Korruption und der Herrschaft des Militärs über die Regierung zu einem selbst initiierten Staatsstreich. Der Kongress war in dieser Zeit das Zentrum sämtlicher korrupter Geschäfte. 1995, mitten in den Friedensverhandlungen, übernahm die Partei des nationalen Fortschritts (PAN) die Macht. Ihre Ideologie und organisatorische Struktur entsprach einer Strategie der ökonomisch Mächtigen, Leute ihres Vertrauens und ihrer Klasse an den wichtigen Schaltstellen zu positionieren. Mit Alvaro Arzú, Sprössling einer der reichsten Familien des Landes, als Präsidenten gelang dies ausgezeichnet. Einmal an der Macht, beschleunigte er die Friedensverhandlungen und das definitive Abkommen über einen festen und dauerhaften Frieden wurde geschlossen. Die Friedensabkommen enthalten einige Massnahmen zur wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen Entwicklung des Landes. Unter anderem konnte eine Steuerreform eingebracht werden, deren Ziel es war, dass die Reichen ihren Teil an Steuern bezahlen, damit der Staat die notwendigen Mittel für soziale Investitionen hat. Diese Steuerreform wurde jedoch nie umgesetzt, da sie den Interessen der Wirtschaftskreise widersprach. Dafür wurde von der Regierungspartei die "Modernisierung des Staates" proklamiert, die den Richtlinien internationaler Geldinstitute entsprach. Gepredigt wurde fortan nach der neoliberalen Bibel, was die Privatisierung staatlicher Unternehmen zur Folge hatte. Dieser Prozess verlief nach willkürlichen, bzw. korrupten Mustern, wobei sich die mittleren Kader der PAN bereicherten. Die Kontrolle über das Ganze behielten die wirtschaftlich Mächtigen und das Ziel war, die staatliche Einflussnahme im Wirtschaftssektor zu reduzieren. Die PAN tat sich hervor mit dem Bau und Unterhalt von Strassen. Dies beschränkte sich aber auf wirtschaftlich interessante Regionen und Strecken, hatte aber auch einen rein visuellen Effekt: Die Regierung 'tut' etwas. In diesem Zusammenhang wurden verschiedene Skandale bekannt, von Bauaufträgen, die innerhalb der Familie oder der Freundeskreise der Regierungsangehörigen vergeben wurden, ohne dass eine öffentliche Ausschreibung stattgefunden hätte. Nach oben |
Das Scheitern der Regierung PAN zeichnete sich immer klarer ab: Die Konsequenzen der Privatisierungen hinterliessen einen bitteren Geschmack im Mund der Bevölkerung, und die Umsetzung der Friedensabkommen liess zu wünschen übrig. So erstaunt es nicht, dass 1999, als eine neue Regierung gewählt werden musste, die Leute auf eine Partei, die Republikanische Front Guatemalas (FRG), hereinfielen, die ihnen ein Durchgreifen mit starker Hand gegenüber der Delinquenz und der Korruption versprach sowie das Wunder, Guatemala schnell aus der Armut zu erretten. Unter dem Schutz von Militärs, die des Genozid beschuldigt werden, konnte die Macht der FRG wachsen und gedeihen. Um diese Macht weiter zu festigen, schloss die FRG eine Allianz mit Sektoren, die von PolitologInnen als die 'neuen Reichen' bezeichnet werden, Leute, die ihren Reichtum in erster Linie aus dem Drogenhandel, Entführungen und Erpressungen schöpfen. Diese Allianz hat sich auf die Massenmedien ausgedehnt, speziell auf die Fernsehsender von Angel Gonzalez, Schwager von Luis Rabbé, dem vor kurzem (wegen Korruption) abgesetzen Kommunikationsminister. Später zeigte sich die wirkliche Strategie der FRG: Der Kongress gibt der Regierungspartei Rückendeckung und unterstützt sämtliche Vorstösse der Partei. Die Exekutive beschränkt sich im wahren Sinne des Wortes aufs 'Ausführen'. Die Korruptionsvorwürfe gegen die Regierung FRG sind hinlänglich bekannt: Die Fälschung des Alkoholgesetzes, überrissene Ausgaben für Reisen des Präsidenten und seiner MinisterInnen, den Kauf von Waffen fürs Militär aus Geldern des Friedensfonds, etc. Im Moment läuft die Debatte um das 'Steuerpaket', dem sich der Wirtschaftssektor, angeführt vom UnternehmerInnenverband CACIF und der Handelskammer Guatemalas, CCG, geschlossen widersetzt. Ihre Hauptargumente dagegen sind das schlechte Haushalten der Regierung mit Staatsgeldern und Korruption. Es soll aber daran erinnert werden, dass auch der wirtschaftlich mächtige Sektor in Korruptionsfälle der Vergangenheit und der Gegenwart verwickelt ist, wie z.B. Steuerflucht, Bestechung, um politische Vorteile zu erkaufen, wie z.B. die Annahme oder Ablehnung von Gesetzen zu ihren Gunsten. Insofern ist 'Korruption' ein denkbar schlechtes Argument des Wirtschaftssektors, um gegen das Steuerpaket loszuziehen. Die Tatsache, dass alle 'Dreck am Stecken' haben, soll aber nicht dazu führen, dass nichts gegen die Korruption unternommen wird. Es ist notwendig, sie zu benennen und zu bekämpfen. Es ist aber ebenso wichtig, dass ein Steuersystem eingeführt wird, damit die Reichen Steuern bezahlen, das aber nicht die Familienökonomie der armen GuatemaltekInnen trifft. Der Steuersatz in Guatemala ist einer der niedrigsten weltweit. Die 'makroökonomischen Indikatoren' steigen jedes Jahr, doch profitieren davon nur einige reiche Familien, die sich zudem weigern, Steuern zu bezahlen. Dies führt uns zu folgendem Schluss: Die Armen werden immer ärmer und die Reichen werden immer reicher. Die Armen bezahlen für die Reichen die Steuern, während die Reichen keine Steuern bezahlen. Die Regierenden bereichern sich während ihrer Amtszeit an den Steuern, die die Armen bezahlen. Es wird immer dringender, eine Lösung zu suchen, damit alle ihren Möglichkeiten entsprechend etwas bezahlen und die jeweilige Regierung die Staatsgelder korrekt verwaltet. Diejenigen, die mehr besitzen, sollen mehr bezahlen und dieses Geld soll in die Entwicklung des Landes investiert werden, so dass die arme Bevölkerung etwas davon hat. Die wichtigste Aufgabe der Bevölkerung dabei ist, mit allen Mitteln die Korruption anzuzeigen und zu bekämpfen. Es darf nicht mehr heissen "Sollen sie stehlen, solange sie damit etwas gutes tun!", es muss heissen "Wenn sie stehlen, müssen sie dafür in den Knast!". |
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