Korruption im Sozialversicherungswesen
Fijáte 287 vom 18. Juni 2003, Artikel 5, Seite 4
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Korruption im Sozialversicherungswesen
Guatemala, 9. Juni. Am 22. Mai ist in Guatemala erneut eine Korruptionsbombe geplatzt: Rund 30 Mio. US-$ sind aus dem Pensionsfonds der Sozialversicherung IGSS "verschwunden". Seit der Skandal vor gut zwei Wochen öffentlich wurde, jagen sich die gegenseitigen Anschuldigungen der Verantwortlichen, die Kritik an der Regierung, tatenlos zuzuschauen, bzw. falsch einzugreifen und die Gerüchte darüber, wer wohl auch noch alles in den Betrug involviert ist. Alles ist ziemlich undurchsichtig und verwischt, doch gibt es ein paar Details, die zum Nachdenken Anlass geben: Im IGSS werden Pensionsgelder in Höhe von 7 Millarden US-$ verwaltet, womit jährlich etwa 130'000 PensionärInnen versorgt werden. Das IGSS gilt als einer der grössten Investoren im Lande, der traditionellerweise das Geld bei nationalen Banken angelegt hatte, die z.T. bis zu 12% Zinsen zahlten. Seit der aktuelle Vorstandspräsident der Institution (und Mitglied der Parteiführung der Regierungspartei FRG), Carlos Wohlers, sein Amt übernommen hatte, nahm eine neue Investitionspolitik Einzug ins IGSS. Es wurde nun immer mehr Geld im Ausland angelegt, eine Entwicklung, die parallel zu einer Senkung der nationalen Zinssätze erfolgte. Im Oktober 2002 wurde der damalige IGSS-Geschäftsführer, César Sandoval, vom Vorstand damit beauftragt, Pensionsgelder in zwei Wohnungsbaufonds der Banken UNO und Banrural anzulegen. Anfang Mai nun wurde bekannt, dass mit einem Teil dieses Geldes Grundstücke zu völlig überhöhten Preisen von vier offshore-Unternehmen abgekauft wurden, die das Geld in Panama anlegten. Nun ging die Gerüchteküche los: Hinter einer dieser off-shore-Firmen stehe Gustavo Adolfo Herrera Castilla, einer der Financiers der letzten FRG-Wahlkampagne. Hinter einer anderen Firma stünden die Brüder von Generalstaatsanwalt Carlos David de León Argueta. Und weiter: Der ExGeschäftsführer des IGSS, Sandoval, sei Besitzer luxuriöser Villen und ebensolcher Autos und hätte wegen Visafälschung in den USA zwei Jahre im Gefängnis gesessen. Der Skandal führte dazu, dass Vizepräsident Francisco Reyes López die Intervention des IGSS veranlasste, das heisst, es unter staatliche Aufsicht stellte. Präsident Portillo war, wie so oft bei grossen Skandalen, zu dieser Zeit gerade im Ausland, wobei er in Argentinien unter anderem einen Ehrendoktortitel entgegennahm. Anlass für diesen gab sein unermüdlicher Einsatz für den Frieden und gegen das organisierte Verbrechen... Nach oben |
Als Folge der Intervention wurde vorübergehend der Vorstand des IGGS aufgelöst, in dem VertreterInnen der Regierung, der Universität San Carlos, dem Ärztekolleg sowie der ArbeitnehmerInnen und -geberInnenverbänden vertreten sind. Reyes López schlug die aktuelle IGGS-Geschäftsleiterin, Blanca Odilia Alfaro Guerra, vor, um die Intervention zu leiten, was diese jedoch ablehnte. Überhaupt löste die Rechtmässigkeit der Intervention hitzige Debatten aus: Eine autonome Institution wie das IGSS könne gar nicht von der Regierung interveniert werden, war die Meinung der einen. Das IGSS sei schon immer ein Spielball der Politik gewesen; dass die Autonomie nie gewährt war, sei mit ein Grund, dass dieser Skandal überhaupt geschehen konnte. Und wenn jetzt die Regierung eine Person zur Überwachung des IGSS bestimme, sei das nicht mehr als eine Farce, argumentierten die anderen. Anfang Juni wurde die Intervention vom Verfassungsgericht als ungültig erklärt und Jorge Peréz als neuer Vorstandspräsident des IGSS eingesetzt. Dies löste von Seiten verschiedener Kreise wiederum Kritik aus. Peréz war stellvertretender Leiter der Intervention und früher Pressesprecher der Regierung, also eng mit der FRG verbunden. Erstaunlich ist, dass der Millionenbetrug quasi unter den Augen der Staatsanwaltschaft geschehen konnte. Im Dezember 2002 forderte die Kongressabgeordnete Anabella de Léon eine Untersuchung über die Gründung eines Wohnbauförderungsfonds des IGSS. Generalstaatsanwalt de León Argueta bestätigte, dass Untersuchungen gemacht worden seien, doch habe man nichts Auffälliges entdeckt. Ein Teil der Konten, auf denen das Geld aus dem IGSS liegen, konnten gesperrt werden, unklar ist aber noch, ob das Geld dem IGSS zurückgegeben werden kann, oder ob es im Laufe der Untersuchungen konfisziert wird. Aktuell sind 23 Haftbefehle ausgestellt, unter anderem gegen den gesamten Vorstand des IGSS und den ehemaligen Geschäftsführer César Sandoval. Der Betrugskandal im IGSS wird wohl noch einige Monate lang die Gemüter bewegen. Doch scheint es, dass sich vor allem die JournalistInnen für die Geschichte interessieren. Erstaunlicherweise ist der Protest der Oppositionsparteien oder der Bevölkerung, die ja brav jeden Monat ihren Beitrag ans IGSS leistet, sehr verhalten. Und dies, obwohl die Leute am eigenen Leib erfahren, dass der Service in den Spitälern und Gesundheitszentren des IGSS miserabel ist und die Pensionen nicht zum Überleben ausreichen. |
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