Vom Klassenzimmer auf die Strasse
Fijáte 277 vom 29. Jan. 2003, Artikel 10, Seite 6
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Vom Klassenzimmer auf die Strasse
Guatemala, 24. Jan. Für die guatemaltekischen Kinder hätte am 20. Januar offiziell das neue Schuljahr begonnen, ein bisschen später im Monat als in anderen Jahren, weil es wegen der Einführung neuer Schulpläne in der Primarschule vorgängig zu Verzögerungen kam. Doch bereits am Samstag vor Schulanfang gab die Nationale Magisterialvereinigung (ANM) die Devise heraus, die Eltern sollen ihre Kinder am Montag zu Hause behalten, da es im ganzen Land keinen Schulunterricht geben werde. Die LehrerInnen würden in unbefristeten Streik treten, bis ihre Forderungen erfüllt seien, über die sie seit über drei Jahren mit dem Erziehungsministerium verhandelten. Und so sah es denn zum Schulanfang in den Aulas aus: In Quetzaltenango blieben über 800 LehrerInnen dem Unterricht fern, deklarierten sich in ständiger Versammlung und forderten in erster Linie die Auslieferung des Schulmaterials vom Bildungsministeriums und die Verteilung von Schulfrühstücken an die Kinder. Auch eine Gehaltserhöhung steht auf ihrer Forderungsliste. In Escuintla stürmten Dutzende von LehrerInnen den Eröffnungsakt der neuen Markthalle, zu der Portillo eigens angereist kam, pfiffen den Präsidenten aus und gaben ihren Forderungen nach mehr Gehalt lautstark Ausdruck. In Jalapa protestierten die LehrerInnen des Schulprojekts für die entwurzelte Bevölkerung dagegen, dass sie vom regionalen Erziehungsdirektor als unfähig bezeichnet worden seien, weil sie Ex-Gueriller@s seien. Die LehrerInnen beschuldigten den Erziehungsdirektor, er wolle sie rausekeln und durch LehrerInnen seiner Parteilinie ersetzen und baten um die Intervention der nationalen Behörden. In Huehuetenango beschlossen die LehrerInnen, einem Weiterbildungskurs über die neuen Schulpläne fernzubleiben, solange das Erziehungsministerium das Versprechen nicht erfülle, sie auch während dieser Weiterbildung weiterhin zu entschädigen. In San Marcos schlossen sich die LehrerInnen von 29 Gemeinden dem Entschluss ihrer KollegInnen in Huehue an und blieben dem Weiterbildungskurs fern. Auch sie erklärten sich in permanenter Versammlung. Sie seien nicht grundsätzlich gegen eine Professionalisierung, sondern es störe sie, dass die FRG daraus wahlpolitisches Kapital schlage, erklärte ein Sprecher. So bekämen z.B. in San Marcos nur diejenigen LehrerInnen einen festen Anstellungsvertrag, die der Partei angehören und noch 15 weitere Personen dazu bringen, sich ins FRG-Parteiregister einzutragen. In Sololá besetzten fünftausend LehrerInnen das regionale Erziehungsministerium, weil dessen Vorsteher seine Versprechen nicht eingehalten habe. Sie fordern eine Erneuerung ihrer Verträge und die Annullierung all jener Verträge, die nur mit ParteigängerInnen der FRG abgeschlossen wurden. Auch in anderen Gemeinden und Departements kam es zu Protesten der LehrerInnen. Für den 22. Januar rief die ANM zu einer nationalen Demonstration in der Hauptstadt auf. Zehntausende (die OrganisatorInnen sprechen von 35'000) LehrerInnen aus dem ganzen Land kamen dem Aufruf nach. Die Hauptforderungen der DemonstrantInnen waren: Erhöhung des Gehalts um mindestens 60%, Bau und Einrichtung von mehr Schulhäusern, die Implementierung der Schulreform, die rechtzeitige Vergabe von Stipendien und Schulmaterialien, sowie eine definitive Regelung bezüglich der Schulmahlzeiten. Der Regierung wurde vorgeworfen, das Militär bevorzugt zu haben bei der Verteilung der Regierungsgelder, während die Posten für Erziehung und Gesundheit 2003 links liegen gesassen worden seien. Nach oben |
Ein ebenfalls auf den 22. angesetztes Treffen mit dem Erziehungsminister, Mario Torres, platzte, weil man sich mit ihm nicht einig wurde über die Grösse der Delegation der LehrerInnen. Der Minister weigerte sich, mit mehr als fünf VertreterInnen zusammen zu sitzen, worauf die LehrerInnen den Dialog abbrachen und den ganzen Tag die Korridore des Ministeriums besetzt hielten. Aber nicht nur die LehrerInnen, sondern auch die StudentInnen protestierten. An der Universität San Carlos in der Hauptstadt besetzten zukünftige Studierende der Rechtswissenschaften die Fakultät und protestierten gegen die geplanten Zulassungsexamen. Durch diese Examen werden offenbar 45% der interessierten StudentInnen ausgefiltert, womit ihnen laut den Demonstrierenden das Recht auf Bildung verwehrt werde. In der Hauptstadt schlossen sich auch andere Sektoren der Protestwelle an: BäuerInnen, Indígenas und ElendsviertelbewohnerInnen, die sich alle gegen die von der Regierung getroffenen wirtschaftlichen, politischen und sozialen Massnahmen wehrten. Eine gute Nachricht ist aus dem Schulwesen doch noch zu vermelden. Die SchülerInnen, LehrerInnen und Eltern von Chimaltenango erreichten nach jahrelangem Kampf, dass das Geländer der Schule Pedro Molina, welches seit 1982 von der Militärzone Nr. 302 besetzt wurde, vom Verteidigungsministerium an die Schulgemeinde zurück gegeben wurde. Bei der Übergabe waren alle staatlichen Vertreter mit Rang und Namen zugegen, nebst dem Präsidenten auch Ríos Montt und der Verteidigungsminister, internationale DiplomatInnen und rund 1400 SchülerInnen von Chimaltenango. Ein verdienter Erfolg dieses Kampfes, doch hat es die FRG geschafft, selbst aus diesem Anlass eine Politveranstaltung zu machen und irgendwelche Jugendlichen im Publikum mit FRG-Fähnchen zu bestücken. |
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